Bewertung
****
Originaltitel
Suzhou he
Kategorie
Neo Noir
Land
CHN/GER
Erscheinungsjahr
2000
Darsteller
Zhou Xun, Jia Hongsheng, Zhongkai Hua, Anlian Yao, An Nai
Regie
Lou Ye
Farbe
Farbe
Laufzeit
79 min
Bildformat
Widescreen
Shanghai, China: Der Videofilmer, er spricht und der Zuschauer sieht durchs Auge seiner Kamera, sprayt seine Visitenkarte an Hauswände. Ob Hochzeiten, Geburtstage oder andere Feierlichkeiten, er filmt alles. Eines Tages hält er für den „Boss“ (Hua Zhongkai) des Nachtclubs Happy Tavern die Show der Meerjungfrau Meimei (Zhou Xun) fest. Sie schwimmt in einem gläsernen Bassin inmitten des Lokals, wo ihr die Gäste von der Bar und den Tischen aus zusehen. Meimei und der Videofilmer freunden sich an. Schleßlich verbringen sie all ihre Zeit miteinander, werden ein Paar. Nur manchmal ist Memei, die von Anfällen der Traurigkeit heimgesucht wird, für einige Tage verschwunden. Hier beginnt die Geschichte von Mardar (Jia Hongsheng) und Moudan (auch Zhou Xun), die mit derjenigen des Videofilmers verknüpft ist. Mardar war ein Kurier in Shanghai, der mit seinem Motorrad viele Botengänge durchführte. Für einen verwitweten, stadtbekannten Wodkaschmuggler brachte er einmal wöchentlich dessen Tochter Moudan zu ihrer Tante. Mardar ist zugleich mit den Kriminellen Xiao Hong (An Nai), seiner früheren Geliebten, und deren skrupellosem Freund Lao B. (Anlian Yao) verbunden. Sie planen, Moudan zu kidnappen und von ihrem reichen Vater ein Lösegeld zu erpressen. Und Mardar, der Moudan mehr liebt, als er sich eingestehen will, hat nicht das Rückgrat, sich ihrem Einfluss zu entziehen…
„Beguiling… Stylish film noir“, schlussfolgerte das Filmmagazin Empire. Abseits vom beinharten Neo Noir aus Hong Kong oder Japan, den Gangsterdramen von Regisseuren wie Johnnie To oder Takeshi Kitano, kommt Lou Yes asiatische Version von Alfred Hitchcocks Vertigo - Aus dem Reich der Toten (USA 1958) als verträumte Tragödie im Stil des klassischen Film Noirs daher. Ein Erzähler aus dem Off und eine doppelte Femme fatale – sowohl Meerjungfrau in einem Nachtclub, herrlich bizarr inszeniert, als auch Kindfrau voller Hingabe – und dazu eine exquisit in Rückblenden entwickelte narrative Struktur erinnern ans traditionelle Film-Noir-Kino. Das Nachtgewächs Meimei, faszinierend porträtiert von der jungen Zhou Xun (Balzac und die kleine chinesische Schneiderin, CHN 2002), lebt auf einem Hausboot – wie auch Charaktere in Samuel Fullers Tokio-Story (USA 1955) und Polizei greift ein / Lange Finger – harte Fäuste (USA 1953). Mit Tokio-Story, Samuel Fuller selbst war ein Asienfreund, und einem Film Noir wie Jules Dassins Stadt ohne Maske / Die nackte Stadt (USA 1948) teilt Suzhou River zudem die ästhetisch so eigenwillige wie intensive Liebeserklärung an den Großraum der Metropole. Mit oft wackliger Handkamera und einer durchgehenden Videoästhetik gelingt Lou Ye ein überraschend hypnotischer Eindruck Shanghais, dessen von Zerfall und Poesie geprägte Charakteristik dieser Film stark stilisiert.
Suzhou River ist ein ebenso innovatives wie modernes Kinoerleben, das in der Konzentration aufs Erzählen den eigenen Stilmitteln nie auf den Leim geht. Der Videofilmer erzählt seine Geschichte: er hat dem Publikum etwas mitzuteilen, und fraglos obsiegt die Substanz gegenüber dem Formalismus. Zweierlei bleibt auch in Nachbildern, die der Zuschauer am folgenden Tag mit sich trägt, deutlich erhalten: jene Ruhe, die Regisseur Lou Ye dem trägen Lauf des Flusses Suzhou mitten durch die Stadt abgeguckt zu haben scheint. Und die Musik Jörg Lembergs, die sich subtil und nie übermächtig in solche Bilderwelten einfügt. Beides wertet den ansonsten schlicht produzierten Neo Noir Suzhou River deutlich auf. Seine Variation von Alfred Hitchcocks Vertigo - Aus dem Reich der Toten (USA 1958) erscheint dem Cineasten als höchst eigenständig entwickelte Hommage und nie als Kopie. Ist das Ergebnis auch nicht vollends großartig, ist Suzhou River doch allen zu empfehlen, die einen Kinofilm fern vom Mainstream als zumeist die bessere Wahl zu schätzen wissen.
Die englische DVD (2003) von Artificial Eye hat, was es braucht: eine Tonspur auf Mandarin mit englischen Untertiteln, Originalformat und ungekürzte Laufzeit, den Kinotrailer und Lou Yes Kurzfilm In Shanghai als Extras.