Stadt ohne Maske / Die nackte Stadt

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Bewertung
*****
Originaltitel
The Naked City
Kategorie
Film Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1948
Darsteller

Barry Fitzgerald, Howard Duff, Dorothy Hart, Don Taylor, Ted de Corsia

Regie
Jules Dassin
Farbe
s/w
Laufzeit
97 min
Bildformat
Vollbild
 

 

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© Universal-International Pictures Inc.
 
New York: Die junge Jean Dexter wird in ihrem eigenen Apartment ermordet aufgefunden – in der Badewanne ertränkt, nachdem sie zuvor betäubt worden war. Das Fotomodell unterhielt Beziehungen zu einer Bande von Dieben, wie Det. Lt. Dan Muldoon (Barry Fitzgerald), seit 22 Jahren Polizist bei der New Yorker Mordkommission, und Det. Jimmy Halloran (Don Taylor) im Zug ihrer Ermittlungen über den dubiosen Dr. Lawrence Stoneman (House Jameson) heraus finden. Zudem hatte sie eine Affäre mit Frank Niles (Howard Duff), dem Verlobten von Ruth Morrison (Dorothy Hart), Jean Dexters Kollegin und Freundin. Niles hatte sich erst hoffnungslos in einem Netz von Lügen verstrickt, wird schließlich jedoch wegen der Hehlerei mit Juwelen verhaftet. Für die Tatzeit des Mordes hat er allerdings ein Alibi. Damit erweist sich die weitere Spurensuche als ungemein schwierig. Bis plötzlich der polizeibekannte Einbrecher Peter Backalis (Walter Burke) tot im East River gefunden wird...
 
Der New Yorker Polizeifotograf Weegee, ein Pseudonym des aus Galizien stammenden Einwanderers Arthur Fellig, publizierte 1945 eine Fotodokumentation seiner Arbeiten als Naked City in Buchformat – schonungslose Aufnahmen vom Tatort. Das inspirierte den Regisseur Jules Dassin 1948 zu seinem nach Zelle R 17 (1947) zweiten Film Noir mit genau dem Titel The Naked City. Vierzig Jahre später gründete der New Yorker Avantgardemusiker John Zorn eine Band gleichen Namens und brachte auf dem Debütalbum der Combo (1989) ein Foto aus der Kollektion Weegees. Jules Dassins Film Noir Stadt ohne Maske / Die nackte Stadt war wiederum der Anstoß für die schwarzweiße TV-Krimiserie namens Naked City, die es zwischen 1958 und 1963 in den USA auf 138 Folgen brachte.
 
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© Arrow Films

 
Die in der Inhaltsbeschreibung so übermäßige Krimihandlung ist nur ein Aufhänger. Jules Dassins semidokumentarischem Film Noir geht es um ein Portrait der Metropole New York als Schicksalsmühle, das sich der polizeilichen Ermittlungen als roten Fadens bedient. Die Menschen und ihre Dramen inmitten des unübersehbaren Dschungels aus Stein und Metall werden nicht im Studio sondern vor Ort auf der Straße in all ihrer Nüchternheit, Tristesse und Härte festgehalten: „Actually filmed on the sidewalks of New York!“ Der völlig ideologiefreie, kühle Charakter des Films erreicht, dass er sich zu Propagandawerken in der Film-Noir-Maske à la Geheimagent T (USA 1947) oder Straße ohne Namen (USA 1948) genau konträr positioniert. Alles und jeder erscheint zuletzt fragwürdig und anrührend, wenn aus dem Jäger der Gejagte wird. Nichts und niemand triumphiert. Es wird bloß eine Geschichte unter vielen zu Ende gebracht, wie uns der Produzent Mark Hellinger mit sonorer Erzählerstimme aus dem Off zu erläutern weiß.
 
Stadt ohne Maske / Die nackte Stadt ist für seine Zeit eine unerreichte Meisterleistung, die für die beste Kameraarbeit (William H. Daniels) und den besten Schnitt mit je einem Oscar belohnt wurde. Ein Jahr später musste sich der Regisseur Jules Dassin vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe (HUAC) verantworten, erhielt in den USA Berufsverbot und ging nach Frankreich ins Exil, wo er fast völlig verarmte. Nach dem Welterfolg seines preisgekrönten Film Noirs Rififi (FRA 1955) arbeitete er noch bis 1980 als Filmregisseur vornehmlich in Europa und verstarb im Jahr 2008 mit 96 Jahren in Athen, wo er seit 1974 lebte.
 
Die französische und die US-amerikanische DVD-Editionen (Criterion Collection) bringen den Film in ungekürzter Spielzeit mit original englischem Ton in einer bildtechnisch exzellent überarbeiteten Fassung. Ein Muss!
 

Film Noir | 1948 | USA | Jules Dassin | William H. Daniels | Arthur O'Connell | Barry Fitzgerald | Howard Duff | John Marley | John Randolph | Robert H. Harris | Russ Conway | Ted de Corsia | Walter Burke | Dorothy Hart

Gespeichert von Gast (nicht überprüft) am 22. August 2013 - 13:47

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Nach meiner Differentialdiagnose zu Fritz Langs 'Scarlet Street' (USA, 1945) möchte ich dem Betreiber & Rezensenten auch bei Jules Dassins 'Naked City' teilweise widersprechen: Zwar besitzt 'Naked City', wie oben geschrieben steht, durchaus "Nüchternheit, Tristesse und Härte". Doch als ausschließlich kühl würde ich den Charakter des semidokumentarisch angelegten Werkes keineswegs beschreiben.

Der Film besitzt viel Sarkasmus und Ironie. Dies beginnt bereits beim Einstieg, als parallel zum fröhlichen Partytreiben lakonisch eine Mordszene gezeigt wird. Und ein solch drolliger Chefermittler wie Barry Fitzgerald alias Lieutenant Dan Muldoon findet sich wohl in keinem anderen 5-Sterne-Streifen der klassischen Film-Noir-Periode. Messerscharf kombinierend und ungemein erfahren, lockert er die Tristesse am Tatort durch diverse Schäkereien mit seinen Mitarbeitern und Kollegen von der Spurenbsicherung und aus der Pathologie immer wieder auf.

Auch die Einvernahme offensichtlich nicht voll zurechnungsfähiger Hinweisgeber und Zeugen: eine betagte Anwohnerin, die sich für Mitte 20 hält; ein verwirrter Mann, der sich selbst der Tat bezichtigt... sorgt für so manche Erheiterung.

Barolojoe

Gespeichert von Tonio Klein (nicht überprüft) am 18. April 2017 - 3:29

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Zeigt der Film die Stadt nackt oder schenkt er ihr ein Kleid?

Morgengrauen am Hafen. Zwei einsame Killer, mindestens einer kein Profi. Er hat sich ob der gemeinsam begangenen Untat betrunken und lallt Dinge, die die Polizei besser nicht höre. Also gibt’s einen mit dem Kantholz auf den Kopp, rein zufällig von einem Gegenstand verdeckt, und dann ab in den Fluss. Schon diese Szene zeigt, was „The Naked City“ nicht ist: ein dokumentarisch gefilmter Streifen. Sondern reinster film noir. Immer wieder haben wir dies: sehr ausgefeilte und alles andere als zufällige Kadrierungen, wichtige und übergroß-verzerrte Gegenstände im Bild, Schatten, tiefenscharfe Mehrebenenbilder und was weiß ich nicht noch alles. Zu Beginn überrascht dies, hatte doch Produzent Mark Hellinger aus dem Off angekündigt, dass jetzt mal ein ganz anderer Film komme, einer, der an Originalschauplätzen gedreht sei und die Stadt New York mitsamt ihren Bewohnern zeige, wie sie sei.

Das ist natürlich ein Stück weit übertrieben, und wie gesagt, Kamera, Beleuchtung, Schnitt, die ganze mise-en-scène zeigen sogleich eine künstlerische Gestaltung, die den angeblich semidokumentarischen Ansatz konterkariert. Ist das nun so schlimm? Nein, aus mehreren Gründen. Zum einen ist das ja immer noch ein guter film noir. Zum anderen: Wer behauptet, dass dokumentarische Objektivität mit einem nüchternen Stil einhergehen müsse und umgekehrt, der versteht von Film wie überhaupt von Kunst recht wenig (oder hat mit drei anderen Dänen besoffen in der Kneipe das „Dogma '95“ geschrieben). Zum dritten: Ganz so wie jeder andere Krimi auch ist dieser Film dann doch nicht, und viertens ist er zum Glück nicht so propagandistisch wie manches Eagle-Lion-Machwerk mit FBI- und Mc-Carthyismus-Glorifizierung unter dem Deckmantel des „Semidokumentarischen“.

Auffällig sind, nicht nur am Beginn, Aufnahmen aus der Vogelperspektive, mit denen die Kamera, die ansonsten aber auch wieder in das Leben „eintaucht“, die beobachtende und die empathische Perspektive miteinander verbindet. Seht her, acht Millionen Menschen leben hier, und seht auch her, was nur eine von acht Millionen Geschichten in sich haben kann. Bei dieser einen Geschichte geht es um einen Mord, s.o. Ein bildschönes Mädchen vom Lande hat den Tod gefunden, aber selbst noch das Klischee, dass es sich in der Stadt die Finger verbrannt hat, wird bei der nuancierten Darstellung der trauernden Eltern gebrochen. Eine gebrochene Existenz ist auch der Hauptverdächtige (Howard Duff – bitte gebt mir Robert Ryan!), einer dieser typischen verunsicherten Männer des film noir, denen entweder der Krieg den Job und die Selbstsicherheit genommen hat oder der (so hier) nicht mal für den Krieg gut genug war, als alles andere ebenfalls schiefging. Der Film verzichtet allerdings darauf, diesen Mann zum Zentrum seiner Geschichte zu machen – schließlich soll es um das Besondere im Alltäglichen gehen. So verknüpft Regisseur Jules Dassin das Ganze mit der Darstellung von Routine-Ermittlungsarbeit und stellt einen älteren, erfahrenen Lieutenant (Barry Fitzgerald) in den Vordergrund. Und dieser trägt einiges dazu bei, dass die routinierten Ermittlungen nicht zum allzu routinierten Film werden! Mit einer Mischung aus Scharfsinn und verschmitztem Humor, der aber nie altväterlich-gütig ist, belebt dieser Charakter, der ständig unterschätzt werden könnte, Film wie Ermittlungen ungemein! Ein bisschen abgefahrenes Beiwerk gibt’s noch hinzu. So ist eine Episode für den Film scheinbar völlig überflüssig: Ein Ermittler kommt nach Hause, idyllische Vorgartenszene mit Heimchen am Herd, aber dieses Heimchen ist absurd sexy und trägt bauchfrei; die beiden knutschen auch gleich einmal jenseits des keuschen „Bussis“ und führen die seltsame Diskussion, wer das Söhnleinchen vermöbeln möge, das andauernd ausreiße und sich dadurch in Gefahr begebe. Hier geht der Film mit Klischees satirisch-überhöhend um (die Frau ist eigentlich eine reine Männerfantasie, Sexbombe und gleichzeitig Anti-femme-fatale, nämlich „dienende Hausfrau“). Natürlich wird der Cop vom Liebesnest wegbeordert. Natürlich sollen wir nicht glauben, dass jedes Mannes Alltag so aussieht. Aber bei acht Millionen Menschen gibt es eben auch solche Alltage… (oder nicht? Ist auch egal!).

Im Übrigen sehen wir bei solchen Einsprengseln mehr halbwegs realen Alltag, East Side River, Ladenbesitzer in nicht so feinen Gegenden, eben „der Mann (oder die Frau) von der Straße“, Männer beim Wrestling, die immergleichen Fragen der Polizisten an alle möglichen Menschen, bis ein Puzzleteil der Nadel im Heuhaufen gefunden ist. Die Kamera an Originalschauplätzen scheut nicht einmal, sich in die Höhen eines Baugerüstes zu schwingen, wo die Ermittler mit einem Hochbauarbeiter, der zudem einen unnachahmlichen Akzent hat, sprechen. Hier dann wieder die Verbindung zur klassischen Kunst: Die Episode führt direkt zur Spur des Täters, der in einem Orson-Welles-James-Cagney-mäßigen Finale (man sehe „The Stranger“ und „White Heat“) ebenfalls ein Baugerüst erklimmt, diesmal aber klassisch expressiv statt naturalistisch gefilmt.

Was ist das unter’m Strich? Ein sehr solider film noir, der teils neue Wege beschreitet, das Schicksalsdrama mit der Ermittlungsschilderung verbindet, eine klassische Liebesgeschichte übrigens nur am Rande hat und uns immer mal wieder mit schrägen Details erfreut. Aber wenn ich zwischen einem etwas anspruchsloseren Werk zu wählen hätte, das seine Versprechen vollständig einlöst, und einem, das etwas zu viel verspricht, würde ich immer Ersteres nehmen. „The Naked City“ ist gut bis sehr gut, aber nimmt den Mund ein wenig voll, grad in den einleitenden Worten, nach denen „jetzt mal was ganz anderes“ komme. Auch ansonsten ist die Erzählstimme, ganz gegen ihre Tradition im film noir, zu penetrant, weil sie nicht aufdeckt, sondern gelegentlich schlicht sagt, was wir sowieso sehen, einmal sogar einen gut lesbaren Polizei-Aushang Wort für Wort vorlesend. Mein Gott, blöd sind wir Zuschauer auch nicht! Und so ist dies bei allen Stärken immer auch ein Film, der mir bei der Frage, ob sein Stil die Stadt maskieren oder demaskieren will, nicht ganz stringent scheint.

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