Nastassja Kinski, Sergio Rubini, Ennio Fantastichini, Veronica Lazar, Umberto Raho
Mailand, Italien: In einem für die Zwecke ausgestattteten Schulungsraum sitzen Lehrlinge der Uhrmacherkunst des Abends an ihren spärlich beleuchteten Werktischen. Mit einem Lupenglas vorm Auge und feinmechanischen Werkzeugen zur Hand folgen sie den Anweisungen des Meisters Giacomini (Umberto Raho), der weit vorn an seinem Schreibtisch ein Journal liest und aus dem Gedächtnis seinen Lehrtext aufsagt. Unter seinen Schülern ist der aus Süditalien stammende Tommaso Montefusco (Sergio Rubini), ein schüchterner junger Mann mit einem lahmen Bein, der selbst die Großstadt nicht mag und darauf hofft, nach dem Prüfungsende wieder in seine Heimat zurückzukehren, wo er von Familie und Freundin erwartet wird. Giacomini kündigt für den folgenden Tag eine Prüfung an; die Studenten platzieren im Hinausgehen ihre Werkstücke auf seinem Schreibtisch und verabschieden sich. Auch Montefusco begibt sich auf den Heimweg, zu der kleinen Wohnung eines Onkels, die jener im Augenblick nicht nutzt. Um halb acht ist es draußen bereits dunkel und er besteigt seinen weißen Fiat. Er fährt eine belebte Geschäftsstraße entlang und muss an einer Fußgängerampel stoppen. Als sie auf Grün umspringt, fährt er los, aber plötzlich läuft von rechts eine junge Frau (Nastassja Kinski) vor sein Auto und bleibt blutend und benommen auf dem Pflaster liegen. Tommaso spricht sie an, schon ist ein Polizist zur Stelle…
“An amnesiac femme-fatale (…) is fate’s doleful instrument in this little known neo-noir from Italian writer and director Sergio Rubini”, schreibt Tony D’Ambra in FilmsNoir.net über diesen Film Sergio Rubinis, der neben der Regie und der Co-Autorschaft am Drehbuch zugleich die männliche Hauptrolle übernahm. D’Ambra ist damit einer der wenigen Cineasten, die den extrem obskuren Film überhaupt kennen und das trotz der aus Deutschland stammenden und seinerzeit weltweit bekannten Darstellerin Nastassja Kinski. Über sie lässt sich sagen, dass sie ähnlich wie Debra Winger, Jennifer Beals oder Madeleine Stowe nie die Anerkennung und den Respekt erhielt, die sie jeweils verdient hätte. War sie in den späten 70er und in den frühen 80er Jahren unter der Regie von Roman Polanski, Paul Schrader, Tony Richardson und Wim Wenders leidlich erfolgreich, verblasste ihre Karriere in den 90er Jahren schnell. Die Hauptgründe dafür waren wohl Fehlentscheidungen bei der Auswahl ihrer Filmangebote oder wie im Fall von La bionda einfach Pech, denn das Werk hat für Freunde des geruhsam fortschreitenden und auf seine Rollencharaktere bezogenen Thrillers viel zu bieten. Allerdings sollte man sich darauf gefasst machen, dass La bionda, und Tony D’Ambra deutet es bereits an, das Gegenteil leichter Kost ist. Im ersten Drittel ist der Film ein Zwei-Personen-Stück und baut seine Figuren mit Erfolg zu Persönlichkeiten auf, die in ihrer Unterschiedlichkeit nur mit Mühe zueinander finden. Sobald die Welt der bis dahin von ihrer Amnesie im Nebel der Ahnungslosigkeit verharrenden Christine auf solchem Spielfeld sichtbar wird, ahnen die Zuschauer bereits, dass es dramatisch zugehen wird. Aber selbst ich war auf den Furor und die Härten des Finales nicht gefasst, das in solcher Art seinesgleichen sucht.
Unter dem Titel Die geheimnisvolle Blonde finden sich online diverse Hinweise, dass der Film auch für ein deutschsprachiges Publikum zu sehen war, aber wo und wie bleibt unklar. In Italien lief er im Kino, in Deutschland eher nicht. In den USA gab es sowohl eine VHS-Videokassette als auch eine DVD des Werks. Beides ist noch gelistet, aber längst vergriffen. Warum ist die zweite Regiearbeit des seither zunehmend bekannten und renommierten Autors, Regisseurs und Schauspielers Sergio Rubini nach 30 Jahren quasi vergessen? Nun, es war schon für seine Zeit ein Film, der eher in die Ära der 70er Jahre gepasst hätte, ein kompromissloses Stück Autorenkino, das an Bestleistungen New Hollywoods oder an europäische Neo Noirs à la Jacques Derays Brutale Schatten (FRA/ITA/USA 1972), Duccio Tessaris Tödlicher Hass (ITA/FRA 1973) und Niklaus Schillings Rheingold (GER 1978) erinnert. Solche Attitüde „alter Schule“, die einem Publikum quasi etwas zumutet, war in den frühen 90er Jahren längst der Ironie und dem Zeitgeist gewichen. Davon hat Rubinis Film allerdings nichts. Er meint es wirklich ernst. Und dieser Ernst steht 30 Jahre später noch für ein Drama, das unbedingt wiederentdeckt und neu veröffentlicht werden müsste.
Der Film wurde allein in den USA als DVD-Edition (2003) veröffentlicht, ungekürzt (und wahrscheinlich auch nicht) im Originalformat sondern im Vollbild (4:3) mit dem italienischen Originalton inklusive englischer Untertitel, bild-und tontechnisch solide, inzwischen ist er jedoch vergriffen. Die Version ist (leider eben nicht im Originalformat) auch online greifbar, die Untertitel sind eingebettet.