Bewertung
***
Originaltitel
Der amerikanische Soldat
Kategorie
Neo Noir
Land
GER
Erscheinungsjahr
1970
Darsteller
Karl Scheydt, Elga Sorbas, Jan George, Margarethe von Trotta, Hark Bohm
Regie
Rainer Werner Fassbinder
Farbe
s/w
Laufzeit
77 min
Bildformat
Vollbild
© Studiocanal GmbH
München: Drei Männer sitzen nachts um einen von einer einzigen Lampe erleuchteten Tisch und trinken Bier und spielen Poker. Auch eine Frau namens Rosa von Praunheim (Elga Sorbas) ist bei ihnen, lackiert sich die Fußnägel und verfolgt die Duelle um immer höhere Einsätze. Ganze 5000 Mark nimmt Jan (Jan George) seinem Freund (Marius Aicher) ab, nachdem Doc (Hark Bohm) ausgestiegen war. Doch der kaltschnäuzige Jan ist trotzdem gereizt, als endlich das Telefon klingelt und der lang ersehnte Anruf kommt. Ein Mann, den sie längst erwarten, ist endlich eingetroffen. Ein weißer Cadillac, ein Cabriolet, fährt eine große Hauptstraße hinab, und ein Herr im weißen Anzug, Ricky Murphy (Karl Scheydt), und eine Frau im Sommerkleid (Irm Hermann) sitzen darin und lassen eine Flasche schottischen Whiskys hin und her gehen. Aber Ricky, ein nach eigenen Angaben in Deutschland aufgewachsener Amerikaner, ist von seiner Begleiterin genervt. Er fährt in eine Seitenstraße und wirft die Frau aus dem Wagen. Dann zieht er unterm Jackett eine Pistole hervor und schießt mehrfach direkt vor ihr in den Boden. Die Frau schreit auf, doch Ricky lacht nur, setzt sich ins Auto und lässt sie dort zurück…
Schon in der Eröffnungsszene zeigt Fassbinder mit dem „Doc“ eine Figur, die er vom Äußeren und auch mit der beim Pokerspiel geäußerten Vorliebe für die Damen auf den pornografischen Spielkarten Eins zu Eins aus John Hustons Asphalt-Dschungel / Raubmord (USA 1950) entnommen hat. Dort ist Doc Erwin Riedenschneider (Sam Jaffe) ein Dieb, der die raffiniertesten und sichersten Einbrüche auszutüfteln versteht. Bei Fassbinder erinnert die erste Tischrunde an John Hustons Film Noir und ebenso an Stanley Kubricks Die Rechnung ging nicht auf / Killing (USA 1956). Die Geschichte mit dem Berufskiller, einem angeblichen Vietnamveteranen, der im Auftrag der deutschen Polizei – möglicherweise verdeckt operierende Agenten eines Geheimdienstes, doch das wird so wenig benannt wie deren Motive oder Hintergründe! – bezahlte Morde ausführen soll, ist ein Verweis auf die Tradition des Gangsterfilms und des Film Noirs der USA von den Dreißigern bis in die Fünfziger. Gerade Irving Lerners Der Tod kommt auf leisen Sohlen (USA 1958) und Allen Barons Explosion des Schweigens (USA 1961) fallen einem als späte B-Filme ein, darin die Desillusionierung und Hoffnungslosigkeit der Protagonisten deren alltägliches Leben prägen. Wie bei Jean-Pierre Melville, der die Film-Noir-Welt mit eigenen Figuren und Dramen bevölkerte und voll Wertschätzung den Stil bereicherte, tragen Fassbinders Gestalten altmodische Accessoires und sind einer Romantik verpflichtet, die sie selbst zerstören müssen. Jede Unachtsamkeit wird als Schwäche interpretiert und führt unwiderruflich zu Bedrohung an Leib und Leben. Doch im Jahr 1970 nimmt sich der Autor und Regisseur das Recht auf eine oberflächliche Romantisierung, das traditionelle Zuckerwerk der Unterhaltungsbranche, komplett zu verzichten und vollendet quasi jenen Schritt, den seinerzeit Jules Dassin mit Stadt ohne Maske / Die nackte Stadt (USA 1948) einleitete. Hier liegt eine Stärke von Fassbinders Films.
Seine Schwäche sind die Schauspieler und das Zeitkolorit westdeutscher Film- und Theatermoden jener Sechziger. In Der amerikanische Soldat wirken manche Rollencharaktere an Stellen verkrampft, an denen sie es nicht sein dürften. Natürlich demaskiert Fassbinder mit einem Gestus, den man zuvor von Jean-Luc Godard gewohnt war, etwa in Lemmy Caution gegen Alpha 60 (FRA 1965), die Coolness und Manierismen männlicher Herrschaft, die auf Gewalt und Materialismus beruht. Aber die Darsteller werden der Intention nicht gerecht und wirken oft laienhaft. Dann passiert, was sicher nicht passieren soll – der Film wird zäh, seine Charaktere wirken fade, die Geschichte lahmt. Sobald aber ein solches Werk, das als historischer Verweis nie und nimmer funktioniert, da es als Film über Filme diesen „Romantizismus“ demontiert, seine Relevanz einbüßt, wird es kritisch. Der amerikanische Soldat muss aus sich heraus überzeugen, so ist er angelegt, doch das Schauspiel Karl Scheydts, Ingrid Cavens, - ihre Gesangseinlage ist einer der Tiefpunkte! - Marius Aichers oder Gustl Datz’ gewährleistet das nicht. Richtig gut sind Regie und Kameraarbeit, aber auch das Drehbuch überzeugt im Ganzen nicht. Dem oft mit Bewunderung verknüpften Verweis auf Fassbinders Produktivität in frühen Schaffensjahren lässt sich hier der Ruf nach mehr Sorgfalt und Gehalt entgegen setzen. Zu viele (heute peinliche) Posen und öde Charaktere machen aus Der amerikanische Soldat ein Werk von geringem Stellenwert. Wie und wieso er von der Filmbewertungsstelle Wiesbaden das Prädikat „Besonders wertvoll“ erhielt, erscheint mit einigen Jahrzehnten Abstand zum Zeitkontext als ein Rätsel. Definitiv kein Muss, auch für den Film-Noir-Freund nicht.
Sehr gute DVD-Edition (2007) von Arthaus / Studiocanal, die den Film ungekürzt im Originalformat mit der deutschen Tonspur bringt, eine Fassbinderbiografie (Text), eine Galerie mit Standfotos und den Kinotrailer als Extras.