Film Noir
| USA
| 1947
| Vincent Sherman
| James Wong Howe
| Bruce Bennett
| Harry Shannon
| James Flavin
| John Alvin
| John Ridgely
| Kent Smith
| Ralph Dunn
| Ann Sheridan
| Wanda Hendrix
Bewertung
****
Originaltitel
Nora Prentiss
Kategorie
Film Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1947
Darsteller
Ann Sheridan, Kent Smith, Bruce Bennett, Robert Alda, Rosemary DeCamp
Regie
Vincent Sherman
Farbe
s/w
Laufzeit
111 min
Bildformat
Vollbild
© Warner Bros.
San Francisco: Am Fährhafen unweit der Golden Gate Bridge erwarten die Reporter bereits den von der Polizei eskortierten Hauptverdächtigen im Mordfall Dr. Richard Talbots (Kent Smith), der zwecks Untersuchung und Prozessbeginn in die Stadt gebracht wird. Aber der Mann schweigt und gibt Pflichtverteidiger Fleming (Rory Mallinson) keine Auskunft darüber, ob er wirklich der Mörder sei und was ihn zur Tat trieb. Der Jurist informiert den Angeklagten darüber, dass der Staatsanwalt von einer langwährenden Erpressung des Ermordeten ausgehe und möchte wissen, womit jener den respektablen Doktor unter Druck setzte… Der 43jährige, gut situierte und etwas schüchterne Dr. Richard Talbot betrieb zusammen mit Dr. Joel Merriam (Bruce Bennett) in San Francisco eine Arztpraxis. Er war mit Lucy Talbot (Rosemary DeCamp) verheiratet und die beiden hatten mit dem folg- und strebsamen Gregory (Robert Arthur) und der chaotischen doch lebensfrohen Bonita (Wanda Hendrix) zwei Kinder, die inzwischen Teenager sind. Zuhause gab Lucy Talbot den Ton an, die einen korrekten, pflichttreuen Lebenswandel ohne Geheimnisse und heimliche Laster bevorzugte. In der Praxis war es Miss Judson (Helen Brown), die Talbot eines schönen Morgens im Frühling daran erinnerte, dass er 20 Minuten zu spät sei, indessen sie ihm den herzkranken Walter Bailey (John Ridgely) ankündigte. Der war ursprünglich Merriams Patient, doch Talbots Partner war Jungesselle, neigte zu einem unregelmäßigen Lebensstil und war noch nicht in der Praxis…
”In a big city you don’t even know your next door neighbor. Is this too tight?” Der Rollencharakter, der dem Film seinen Namen gab, taucht nach über 11 Minuten erstmals auf, obendrein bewusstlos auf der abendlichen Straße liegend - Nora Prentiss in der Verkörperung durch Ann Sheridan Zu dem Zeitpunkt sind wir mitten in der Geschichte Dr. Richard Talbots, der das Zentrum dieses Films ist und der von Kent Smith (Katzenmenschen, USA 1942), dem lediglich Zweitgenannten und auf den Filmplakaten gar nicht Sichtbaren, in wunderbar triftiger Weise verkörpert wird. Es ist Talbots Geschichte, die ausführlich erzählt wird, und der die Nachtclubsängerin Nora Prentiss als treibende Kraft lediglich beigeordnet ist. Ann Sheridan, die schon hier älter aussieht als die 31 Jahre, die sie zählte, ist hervorragend in ihrer Rolle. Aber sie war keine Joan Crawford, für deren Part der Mildred Pierce in Solange ein Herz schlägt (USA 1945) sie einst vorgesehen war, und sie war keine Bette Davis und keine Ida Lupino. Ann Sheridan spielte in der Klasse von Joan Bennett, Ann Sothern oder Joan Blondell die großstädtische, erfahrene Frau mit der flinken Zunge und dem guten Stehvermögen bei den Drinks – ein Mädchen zum Pferdestehlen, aber mit Herz und ohne doppelten Boden. Was an ihr Femme fatale zu sein schien, war eben nur Schein, und so ist es auch hier. Sie folgt Dr. Richard Talbot auf eine Reise, an deren Beginn die Liebe sie dazu einlädt und an deren Ende sie die Hölle seines Schicksals wieder auf die Straße speit. Zu jeder Zeit gibt jedoch er die Richtung vor, drängt er sie zu Entscheidungen, die sie ohne ihn nicht getroffen hätte. Damit sind sowohl der Titel des Films als auch die „Femme fatale“ der Filmplakate irreführend.
© Warner Bros.
Doch das nimmt Vincent Shermans Film nicht seine Qualität. Womöglich sollte das Nora-Prentiss-Image nicht nur Ann Sheridans Karriere bei Warner Bros. wieder in Schwung bringen, wie das mit Joan Crawfords Mildred Pierce in Solange ein Herz schlägt ja gelungen war, sondern auch die Härte des Finales verschleiern. Nora Prentiss ist ein Film Noir und zwar im Sinne von Straße der Versuchung (USA 1945) oder Konflikt / Tatort Springfield (USA 1945), ein Film, dessen Finale eines Cornell Woolrichs würdig gewesen wäre. Es krönt eine düstere und in der Charakterentwicklung sorgsam und fein ausgeführte Geschichte, die zu verblüffen und zu berühren weiß. James Wong Howes Kameraarbeit sowie die teils exzellent besetzten Nebenrollen runden das Werk zusätzlich. Dass solches konsequent harte Drama im Nachkriegsdeutschland dennoch nicht ins Kino kam, verwundert nicht. Vincent Sherman arbeitete im gleichen Jahr wieder mit Ann Sheridan und brachte mit Ehebruch (USA 1947) eine Neuverfilmung von W. Somerset Maughams Stück The Letter, das bereits William Wylers Das Geheimnis von Malampur (USA 1940) zugrunde lag. Drei Jahre später holte er Kent Smith in die Warner-Produktion Im Solde des Satans (USA 1950) mit Joan Crawford in der Hauptrolle, die sich ebenso als klassischer Film Noir erwies. Die Karriere Ann Sheridans verebbte in den Spätvierzigern allerdings zusehends, obgleich sie sich in dem Film Noir Einer weiß zuviel (USA 1950) nochmals ganz auf der Höhe ihres Könnens zeigte.
Sehr gute DVD-R der Warner Archive Collection (2009) mit dem Film ungekürzt im Originalformat, bildtechnisch topp, mit dem englischen Ton ohne Untertitel und ohne Extras.