Bewertung
****
Originaltitel
La citta’ si difende
Kategorie
Film Noir
Land
ITA
Erscheinungsjahr
1951
Darsteller
Gina Lollobrigida, Renato Baldini, Cosetta Greco, Paul Muller, Fausto Tozzi
Regie
Pietro Germi
Farbe
s/w
Laufzeit
84 min
Bildformat
Vollbild
Rom: Bei einem Fußballspiel im voll besetzten Stadio Nazionale rauben Paolo Leandri (Renato Baldini), Guido Marchi (Paul Muller) und der Teenager Alberto Tosi (Enzo Maggio jr.) die Einnahmen. Sie haben alle Mitarbeiter gefesselt und geknebelt; hastig stopfen sie ihre Beute in zwei mitgebrachte Koffer, die sich für die Menge an Bargeld als zu klein erweisen. Als sie fliehen wollen, kommt ihnen ein älterer Herr entgegen. Paolo will ihn erschießen, doch Guido kann es verhindern, und Paolo schlägt ihn nieder. Sie haben Schwierigkeiten, ihren Weg aus dem Stadion hinaus zu finden, doch draußen wartet bereits Luigi Girosi (Fausto Tozzi) mit dem Fluchtwagen. Inzwischen konnte einer der Überfallenen per Telefon Alarm schlagen. Im Nu rast die Polizei heran und drei der Amateurdiebe liefern sich eine halsbrecherische Verfolgungsjagd, während Paolo, ohne Aufsehen zu erregen untertaucht. In einem verwinkelten, an Bahndämmen gelegenen Gelände können die drei ihre Jäger abschütteln. Sie machen sich einzeln und zu Fuß auf und davon - Alberto und Guido mit den Koffern voller Geld, Luigi ohne alles. Es gelingt ihnen, zurück in die Stadt und in ihre Viertel zu gelangen. Die Polizei versucht hektisch, anhand der ihnen bekannten Verdächtigen, den spektakulären Raub aufzuklären. Als der Abend anbricht, lässt Guido seinen Geldkoffer am Bahnhof in der Gepäckaufbewahrung. Sodann begibt er sich in sein Stammlokal, begleicht seine Schulden und bestellt eine üppige Mahlzeit. Kurz darauf erscheint Paolo, der extrem nervös wirkt…
Jagd ohne Gnade / Bis zum bitteren Ende ist heute ein zumindest in Deutschland fast vergessener Film. Er lief seinerzeit in beiden deutschen Staaten im Kino und wurde 1951 auf den Filmfestspielen in Venedig als bester italienischer Film ausgezeichnet. Sogar in den USA kam er unter dem Titel Four Ways Out in synchronisierter Fassung zur Aufführung. Als Hybrid aus italienischem Neorealismus und US-amerikanischem Film Noir (der härteren Gangart) ist er alles andere als leichte Kost. Genau die war jedoch im Deutschland der Fünfziger gefragt. Die Tragik des Weltkriegs galt es hinter sich zu lassen, anstatt sich mit weiteren, zeitgenössischen Dramen konfrontiert zu sehen. Das mussten vor allem deutsche Filme wie Epilog – Das Geheimnis der Orplid (GER 1950) oder Der Verlorene (GER 1951) mit ihrem Misserfolg büßen. So verschwanden auch von der Filmkritik gefeierte Werke wie Jagd ohne Gnade / Bis zum bitteren Ende schnell in der Versenkung. Dass der Film just eine Wiederauflage erfuhr, mag der Beteiligung Federico Fellinis am Drehbuch zu verdanken sein, der kurz darauf selbst als Regisseur zu Ruhm und Ansehen gelangte. Hier erinnert manches an Robert Siodmaks Schrei der Großstadt (USA 1948), an Jules Dassins Stadt ohne Maske / Die nackte Stadt (USA 1948) und an John Berrys Steckbrief 7-73 (USA 1951). Auch diese Filme verstanden sich als sozialkritischer Kommentar zu einer Gegenwart, darin die Entfremdung bis in die Keimzelle der Familie vorgedrungen war und der Entwertung und Demütigung Einzelner kaum Grenzen gesetzt schienen. Sowohl Pietro Germis sichere Hand bei der Regie, die exzellente Kameraarbeit Carlo Montuoris (Fahrraddiebe, ITA 1948) als auch die Leistungen der zentralen Schauspieler beeindrucken über die ganze Länge des Films.
Vor allem ist jedoch die Wahl der Schauplätze im Rom seiner Zeit ein Musterbeispiel für die effektive Bebilderung eines Film Noirs mit der Dramatik einer so entwickelten wie zugleich morbiden Urbanität. Zwischen der vitalen Funktionalität des Fernbahnhofs und den vom Zerfall bedrohten Mietskasernen, die der Familie Girosi ein Armenquartier sind, bewegen sich die Flüchtigen im Spannungsfeld von glücklichem Entkommen oder unwiderruflichem Scheitern. Der Film trägt seine beiden deutschen Titel mit vollem Recht; auch der wörtlich mit Die Stadt wehrt sich übersetzte Originaltitel ist für den Charakter des Dramas triftig gewählt. Gina Lollobrigida, die erst mit Fanfan, der Husar (ITA 1952) auch international zu Starruhm gelangte, ist nur zwischen der 21. und 30. Minute überhaupt an der Handlung beteiligt. Die wirklichen Stars sind für mich Cosetta Greco als Lina Girosi und die Engländerin Tamara Lees, die mit dem ebenfalls brillanten Paul Muller eine wunderbare Szene in einem Restaurant hat. Die 20jährige Greco zeigt mit Fausto Tozzi eine grandiose Chemie, die sie beide in Terroristi à Madrid (ITA/ESP 1954) erneuerten. Zwar gibt es im Ensemble auch Schwachpunkte, - etwa Emma Baron und Ferdinando Lattanzi als Albertos Eltern - zudem ist der Schlussakt im Verhältnis überraschend süßlich geraten, doch überwiegt der positive Eindruck bei weitem. Ein zupackendes und oft anrührendes Film-Noir-Drama aus einem Land, dessen Filmhistorie hierzulande bis heute kaum greifbar ist.
Eine italienische DVD-Edition (2009) von Ripley’s Home Video Srl zeigt den Film in einer bildtechnisch sehr guten Fassung, ungekürzt im Originalformat mit wahlweise der englischen oder der italienischen Tonspur, doch leider ohne jegliche Untertitel. Den Kinotrailer gibt es als Extra.