Neo Noir
| France
| 1970
| Jean-Pierre Melville
| Henri Decaë
| Alain Delon
| François Périer
| Paul Crauchet
| Yves Montand
Bewertung
*****
Originaltitel
Le cercle rouge
Kategorie
Neo Noir
Land
FRA/ITA
Erscheinungsjahr
1970
Darsteller
Alain Delon, André Bourvil, Gian Maria Volontè, Yves Montand, François Périer
Regie
Jean-Pierre Melville
Farbe
Farbe
Laufzeit
135 min
Bildformat
Widescreen
Marseille: Ein Auto rast durch die nächtlichen Straßen und am Bahnhof springt Kommissar Mattei (André Bourvil) mit seinem Häftling Vogel (Gian Maria Volontè) heraus, um den Schnellzug nach Paris zu erreichen. Doch in den Morgenstunden kann der Verdächtige trotz Handschellen aus dem fahrenden Zug entkommen und flieht durch den Wald, bevor ihn Mattei schließlich von Gendarmen mit Hunden jagen lässt. Zur gleichen Zeit berichtet in einem Gefängnis in Marseille ein Aufseher (Pierre Collet) dem wegen guter Führung kurz vor der Entlassung stehenden Häftling Corey (Alain Delon) von einem todsicheren Einbruchsplan. Als Corey frei kommt, sucht er Rico (André Ekyan) auf, einen ehemaligen Kumpanen und Rivalen, den er um einiges an Bargeld und um eine Pistole erleichtert. Coreys frühere Freundin (Anna Douking), deren Fotografien er noch bei sich trägt, ist inzwischen Ricos Geliebte, was Corey weiß. In einem Billardsalon spielt er früh morgens noch eine Partie, als zwei von Ricos Leuten ihn zu überfallen suchen, um ihm das Geld wieder abzunehmen. Corey überwältigt sie, kauft bei einem Autohändler eine große amerikanische Limousine und begibt sich auf den Weg nach Paris. Im verschneiten Burgund ist Vogel nach wie vor auf der Flucht. Corey, nachdem er eben eine Straßensperre der Polizei passierte, besucht eine Raststätte, um etwas zu essen…
„The kind of experience that makes you glad movies exist“, schrieb A. O. Scott in der New York Times über Jean-Pierre Melvilles vorletzten Film. Nach dem 1972 entstandenen Der Chef verstarb der Regisseur 1973 im Alter von nur 55 Jahren. Der französische Schauspieler und Chansonnier André Bourvil, der hier Kommissar Mattei spielt, war 1970 kurz nach Ende der Dreharbeiten 53jährig verstorben. Vier im roten Kreis ist ein Meisterwerk und darf bis heute als das Referenzwerk des französischen Neo Noirs gelten. Erst 2010 hat Thomas Arslan mit dem in Berlin spielenden Neo Noir Im Schatten sowohl seinem Regisseur als auch speziell Le cercle rouge (Originaltitel) ein Denkmal gesetzt. Jean-Pierre Melville war seit Drei Uhr nachts (FRA 1956) im Film Noir verhaftet und bediente dessen stilistische und thematische Ausdrucksmittel in ebenso perfekter wie subtiler Weise. Oft kopiert und nie erreicht, ist Melville jemand, der das Film-Noir-Kino selbst an mancher Stelle zu zitieren wusste. Der Überfall in Vier im roten Kreis ist eine Hommage an Jules Dassins Rififi (FRA 1955) – auch hier wurde währendessen fast dreißig Minuten lang geschwiegen. In Santis (François Périer) Nachtclub erinnern Ambiente und Tanznummern kaum zufällig an Jacques Beckers Wenn es Nacht wird in Paris (FRA/ITA 1954), der wie die Vier im roten Kreis von Robert Dorfmann produziert wurde. Sparsam in der musikalischen Untermalung und im Dialog, geruhsam im Tempo bleibt Vier im roten Kreis von der ersten bis zur letzten Minute fesselnd!
Seine Protagonisten sind schon äußerlich das Personal eines Film Noirs. In Trenchcoat und mit Hut, wie 25 Jahre zuvor Alan Ladd, Humphrey Bogart und Dick Powell, bewohnen Sie noch 1970 ein Frankreich, dessen bürgerliche Fassade weit mehr als Schattenwelt erscheint als die ihre. Auch Kommissar Mattei ist von der Normalität wie durch unsichtbare Schranken getrennt. Wenn die Passagiere des Schnellzuges nach seiner Verfolgung Vogels aus den Waggons spähen, erscheint er von der Szenerie gänzlich ausgeschlossen und unberührt. Als Corey und Vogel in Paris erstmals das seit Jahren unbehauste Apartment Coreys betreten, ist die von Staub und Spinnweben überzogene Kulisse einer Vergangeheit, die sie mit der Taschenlampe in der Hand untersuchen, selbst Symbol aller Referenzen an die nachtdunkle Film-Noir-Tradition. Die Welt vor den Fenstern ist anonym und gesichtslos – ihre nächtlichen Orte, ob die Tiefe eines Platzes oder die Landschaft der Dächer, sind menschenleer, und nur die erleuchteten Fenster zeugen von der Anwesenheit Anderer. Die Vier im roten Kreis sind isoliert - Gefangene einer Parallelwelt, die ihre Wahrheit und die den Einbruch der bürgerlichen Sphäre mit Hunden und Polizisten einzig als lebensbedrohlich erkennen. Vier im roten Kreis vollendet den Pessimismus, der im Film Noir Hollywoods von Anbeginn intendiert war und selten konsequent zu Ende gebracht werden durfte, ohne Wenn und Aber. Nicht zuletzt das sorgt für ein rundum stimmiges und schauspielerisch brillantes Opus Magnum, das über den Film Noir hinaus zu den Glanzpunkten europäischen Filmschaffens gerechnet werden kann. Für jeden Filmfreund ein Muss!
Mit 135 Minuten ungekürzt und im Originalformat, deutscher und französischer Ton, wahlweise deutsche Untertitel, ist die DVD von Arthaus seit dem 14. Juli komplementär zur Blu-ray von 2010 lieferbar. Bei der Erstausgabe von 2007 (Süddeutsche Zeitung, Nr. 1 der Série Noire) waren beim französischen Ton die Dialoge sehr leise, demgegenüber alle Geräusche normal laut waren und die deutschen Untertitel nicht auszublenden.