Neo Noir
| USA
| 1985
| Peter Weir
| Danny Glover
| Harrison Ford
| Josef Sommer
| Lukas Haas
| Viggo Mortensen
| Kelly McGillis
Bewertung
*****
Originaltitel
Witness
Kategorie
Neo Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1985
Darsteller
Harrison Ford, Kelly McGillis, Josef Sommer, Lukas Haas, Jan Rubes
Regie
Peter Weir
Farbe
Farbe
Laufzeit
108 min
Bildformat
Widescreen
© Paramount Pictures Corporation
Im US-Bundesstaat Pennsylvania wird in einer kleinen Siedlung der Amischen eine Trauerfeier zelebriert. Der Vater des achtjährigen Samuel Lapp (Lukas Haas) und Mann der hübschen Rachel (Kelly McGillis) ist überraschend gestorben. Auch Daniel Hochleitner (Alexander Godunov) spricht der Witwe sein Beileid aus und hat dabei Mühe, seine Gefühle für die junge Frau zu verbergen. Um ihre Schwester zu besuchen, begibt sich Rachel Lapp mit ihrem Sohn auf eine Zugreise nach Baltimore. An der 30th Street Station in Philadelphia muss sie umsteigen. Doch ihr Zug hat 3 Stunden Verspätung und der Beamte hinterm Informationsschalter weist sie an zu warten. Für Samuel ist sein erster Besuch in einer Großstadt ein überwältigendes Erlebnis und er streunt fasziniert durch die belebte Weite der Bahnhofshalle. Ein paar Stunden später warten nur noch wenige Reisende auf einen Zug, haben sich auf den Bänken teils schlafen gelegt. Samuel besucht die Herrentoilette, wo er beim Eintreten einen jungen Mann am Waschbecken sieht, der sich Wasser ins Gesicht träufelt. Samuel geht in eine der hinteren Kabinen. Kurz darauf kommt ein Mann herein, den derjenige am Waschbecken misstrauisch beäugt. Schließlich kommt noch jemand (Danny Glover), der sich hinter ihm ans Pissoir stellt. Da stülpt der erste dem jungen Mann seine Jacke über den Kopf und der zuletzt Gekommene zieht ein Klappmesser und schneidet ihm die Kehle durch. Durch den Türspalt hat Samuel Lapp alles beobachtet, als er vor Schreck stöhnen muss…
“Witness (…) explores the themes of conflicting cultures on a social, cultural and personal level in a film noir style crime thriller”, heißt es zur Eröffnung eines aktuellen Essays bei StudyMode.com. Ansonsten kommt dieser exzellente Thriller des Australiers Peter Weirs in der Neo-Noir-Rezeption fast nicht vor, was mich lange schon wundert. Vor allem der Auftakt entspricht in vieler Hinsicht dem Stil und den Handlungsmustern anderer Neo-Noir-Klassiker seiner Zeit und mit John Book, dessen Welt durch die Untersuchung eines Polizistenmordes aus den Fugen gerät, präsentiert Weir einen Rollencharakter für ein Film-Noir-Schicksal:“We didn't know what we would do with you if you'd died.” Sein Überleben verdankt er der Ratlosigkeit seiner Gastgeber, der täuferisch-protestantischen Glaubensgemeinschaft der Amischen, die mit der Situation, die in ihren vollends anders gestalteten Alltag einbricht, erhebliche Schwierigkeiten hat. Die parallele Existenz der Gesellschaften gibt den Autoren und dem Regisseur eine Menge Raum, anhand von Kulturvergleichen über moral-ethische und sogar theologische Fragen zu reflektieren. Doch die Zivilisationskritik wirkt niemals überfrachtet oder naiv; zudem birgt die Geschichte auch auf der Ebene persönlicher Beziehungen viele Facetten, die den Zuschauer in ihren Bann ziehen. Nach 34 Minuten bewegt sie sich vollends aus der Stadt heraus, kehrt nur vereinzelt nochmals dorthin zurück und findet ihren Mittelpunkt in der Siedlung der Amischen. Hier ist jene (vorerst fast abwesende) Film-Noir-Handlung nurmehr Grundierung für weiter reichende Themenkreise.
“You be careful out among them English.” Aber schon bald kehrt die Bedrohung in Gestalt der korrupten und gewaltbereiten Polizisten zurück; die Schlinge um Police Detective John Book und den Zeugen Samuel Lapp zieht sich zu. Harrison Ford und Josef Sommer sind exzellent als Kontrahenten, die den Thrillerplot des Werks voran bringen, auch Danny Glover stand damals noch am Beginn seiner Laufbahn. Doch sind es Kelly McGillis und Alexander Godunov, deren Leistungen Beachtung gebührt. Ihre Darstellung der Rollencharaktere erscheint nicht nur mit Blick auf den Kulturhintergrund der Amischen plausibel, sondern verdeutlicht die Konflikte zwischen Individuen, deren kulturelle Wurzeln sie zu einerseits klar definierten und andererseits schmerzhaft rigiden Sichtweisen, Handlungen und Urteilen führen. Im Übrigen protestierten die im Film gezeigten Ortschaften der Amischen nach dessen Kinostart gegen die Darstellung ihrer Kultur; zuvor hatten sie sich auch dagegen ausgesprochen, als Statisten daran zu partizipieren. Harrison Ford und Peter Weir arbeiteten im Folgejahr am heute kaum noch bekannten Auswandererdrama Mosquito Coast (USA 1986), um bald darauf im Mainstream Hollywoods zu verschwinden. Der einzige Zeuge bleibt einer der bemerkenswertesten Thriller der 80er, der achtfach für den Oscar nominiert wurde und leer ausging, was seinem Erfolg an den Kinokassen jedoch nicht schadete. Ein überraschend zeitloses Meisterstück, das seine Film-Noir-Pastiche durchaus veredelt.
Sehr gute DVD-Edition der Paramount Pictures Home Entertainment (2006), die den Film ungekürzt im Originalformat mit haufenweise Tonspuren und Untertiteln beinhaltet, u.a. natürlich Deutsch und Englisch.