Bewertung
*****
Originaltitel
Peeping Tom
Kategorie
Post Noir
Land
UK
Erscheinungsjahr
1960
Darsteller
Karlheinz Böhm, Moira Shearer, Anna Massey, Maxine Audley, Brenda Bruce
Regie
Michael Powell
Farbe
Farbe + s/w
Laufzeit
97 min
Bildformat
Widescreen
London: Mark Lewis (Karlheinz Böhm) arbeitet als Kameraassistent in einem Filmstudio. Eines Nachts folgt er einer Hure (Brenda Bruce) in ihr Apartment, unterm Mantel eine Kamera, die sie filmt. Dort angekommen, beginnt die Frau sich zu entkleiden, als sie sich plötzlich von einem Lichtstrahl getroffen fühlt, aufblickt und Furcht und Entsetzen in ihr Gesicht Einzug halten. Die Kamera geht auf sie zu, die Aufnahme bricht ab. In seinem Heimstudio sieht sich Mark den Film an. Die Kamera geht immer näher an die Frau heran, sie schreit. Mark kehrt tags darauf an den Ort zurück und filmt, wie die Polizei den Leichnam der Hure abtransportiert. Später trifft er den Zeitungshändler Mr. Peters (Bartlett Mullins), für den er Fotos von Pin-Up-Girls schießt, die jener unterm Ladentisch an den Mann bringt. Mark wird Zeuge, wie er eine Kollektion pornografischer Bilder zugleich mit der Times an einen distinguierten Kunden (Miles Malleson) verkauft, die jener in einer Tüte erhält, darauf Educational Books zu lesen steht. Er geht ins Studio, macht ein paar Aufnahmen vom Pin-Up-Model Milly (Pamela Green) und wird Lorraine (Susan Travers) vorgestellt, deren Schönheit von einer zernarbten Oberlippe entstellt wird. Mark ist von dieser Verstümmelung extrem fasziniert und beginnt zu filmen…
Viele bringen Michael Powells Thriller, der längst Kultstatus erwarb, mit Alfred Hitchcock in Verbindung und viele mit dem Horrorgenre. Mit Letzterem hat er jedoch weit weniger am Hut als Hitchcocks Psycho (USA 1960), der vier Monate später in die Kinos kam und die inneren Zustände seines Norman Bates (Anthony Perkins) eindringlich bebilderte. Demgegenüber stehen beide Filme in der Tradition des Film Noirs, der sich seit den Vierzigern eingehend mit Außenseitern und Ausgestoßenen der Gesellschaft, bald auch mit deren psychischen Dispositionen befasste. Frühe Beispiele dessen finden sich bei Laird Cregar als Ed Cornell in I Wake Up Screaming / Hot Spot (USA 1941) oder bei Franchot Tone als Jack Marlow in Zeuge gesucht (USA 1944). Definitiv sind in Henry Hathaways Der Todeskuss (USA 1947), in Robert Wises The House On Telegraph Hill (USA 1951) oder in Alfred Hitchcocks Der Fremde im Zug / Verschwörung im Nordexpress (USA 1951) die Verbrechen nicht (nur) von Habgier und Materialismus bestimmt. Im Jahr 1960 und zum Auftakt eines neuen Zeitalters ist Augen der Angst ebenso wie Psycho Quintessenz einer Historie, die das Faszinierende einer auf perversen Leidenschaften beruhenden Lust (am Töten) zuvor stets in den Kontext einer Entartung gerückt hatte. Und ebenso wie Psycho macht der englische Thriller aus der Doppelbödigkeit im Wechselspiel von Obsession und Erfüllung keinen Hehl. Er wurde zum Skandal und sorgte für das Ende der Karriere des Regisseurs Michael Powell. Psycho wurde zum Welterfolg und bescherte Alfred Hitchcock die höchste Anerkennung.
© Studiocanal GmbH
„Krankhaft, abwegig und peinlich geschmacklos“, schrieb einst der Katholische Filmdienst. Seinerzeit eine Verfehlung, heute ein Kultfilm für ein Publikum ab 12 Jahren! Es ist erstaunlich, dass lange nach Edmund Gouldings Skandalfilm Der Scharlatan (USA 1947) einem Toppregisseur des europäischen Filmbetriebs das gleiche Schicksal widerfuhr. Schon wer einen Blick auf die Standfotos aus Augen der Angst wirft, dürfte sich an den klassischen Film Noir erinnert fühlen. Hier gibt es Low-Key-Ausleuchtung und Low-Angle-Shots wie seinerzeit bei Fritz Lang und Robert Siodmak. Mark Lewis ist eine tragische Figur, von der Gesellschaft mit ihren Pflichten und Belohnungen isoliert. Eine dunkle Vergangenheit, das Geheimnis der Kindheit als Sohn eines fanatischen Biologen, ist die Triebfeder aller Bedürfnisse. Seine Nachbarin Helen Stephens, eine unbeschwerte junge Frau, wird für Lewis wider Erwarten zur Femme fatale. Die psychologische Dimension wird in Augen der Angst weniger erklärt als in ihrer Konsequenz vorgeführt und offenbart sich dem Zuschauer als ebenso extrem wie menschlich. Darin sah die Kritik seinerzeit eine ethisch verwerfliche Perversion. Nach 5 Tagen verschwand Peeping Tom (Originaltitel) aus den britischen Kinos und brachte es auch in den USA zu keinem Erfolg. Erst 1979 kam es auf Betreiben von Corinth Films und Martin Scorsese zu einer Wiederaufführung in Farbe und ungekürzt. Seither erwarb der Film, der seinen Regisseur 1964 ins australische Exil trieb, eine treue Gefolgschaft sowie herausragende Editionen als digitale Bildträger – in Deutschland als DVD bei Arthaus, in England als Blu-ray beim Optimum Home Entertainment und in den USA in der Criterion Collection.
Hervorragende DVD (2007) von Arthaus / Studiocanal, die als Digipack in der Arthaus Collection Klassiker auch wieder mit einem sachkundigen Essay aufwartet. Bildtechnisch topp restauriert, im Originalformat als ungekürzte Kinofassung von 1960, Tonspuren auf Englisch und Deutsch (originale Kinosynchronisation), dazu wahlweise deutsche Untertitel. Ein Muss!
Deutsche Fassungen leider alle gekürzt
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Der in der Besprechung oben angepriesenen "ungekürzten Kinofassung von 1960" im Arthaus/Studiocanal DVD-Digipack mit einer Laufzeit von rund 97 Minuten fehlen gegenüber der längsten erhältlichen englischen Edition (= 101 Minuten) bedauerlicherweise zwei (Schlüssel-) Szenen.
Die heute verschollene UK-Urfassung betrug gar 109 Minuten. Schon vor der Kino-Premiere wurden von den britischen Zensoren einige der besten und beklemmendsten Momente aus 'Peeping Tom' rausgeschnippelt und der Streifen leider nachhaltig entschärft.
Hier ein Link zur 101-Minuten Fassung auf Blu-Ray/DVD:
https://www.amazon.co.uk/Peeping-Special-Blu-ray-Karlheinz-B%C3%B6hm/dp…