Neo Noir
| USA
| 2001
| David Lynch
| Dan Hedaya
| Mark Pellegrino
| Patrick Fischler
| Robert Forster
| Lee Grant
| Melissa George
| Naomi Watts
Bewertung
****
Originaltitel
Mulholland Drive
Kategorie
Neo Noir
Land
FRA/USA
Erscheinungsjahr
2001
Darsteller
Justin Theroux, Naomi Watts, Laura Elena Harring, Ann Miller, Dan Hedaya
Regie
David Lynch
Farbe
Farbe
Laufzeit
141 min
Bildformat
Widescreen
© Concorde Home Entertainment GmbH
Hoch über dem funkelnden Lichtermeer von Los Angeles kreuzt eine schwere Limousine über eine in tiefe Dunkelheit getauchte Straße. Vorne sitzen zwei Männer, hinten eine Frau (Laura Elena Harring) im Abendkleid. Als der Wagen plötzlich hält und die Frau darauf hinweist, dass es nicht vorgesehen sei, hat sich einer der beiden umgedreht und befiehlt ihr mit vorgehaltener Pistole sofort auszusteigen. Aber dazu kommt es nicht mehr. Zwei mit betrunkenen Jugendlichen vollgestopfte Wagen liefern sich ein Rennen und rasen nebeneinander um eine Kurve und halten direkt auf die parkende Limousine zu. Einer der Wagen prallt frontal in sie hinein – Glas splittert und Feuer bricht aus. Nur die Frau im Abendkleid kann sich aus den verkeilten Autos retten. Sie steigt aus, fällt und rappelt sich auf und beginnt, in Richtung der Stadt hügelabwärts zu laufen. Als sie den Sunset Boulevard erreicht, sieht sie eng umschlungen und kichernd ein Liebespaar auf sich zukommen und versteckt sich im Eingangsbereich einer Apartmentanlage… Indessen sind an der Unfallstelle die Feuerwehr und die Polizei eingetroffen. Die Polizeibeamten Detective Domgaard (Brent Briscoe) und Detective McKnight (Robert Forster) rätseln darüber nach, ob trotz der vielen Leichen hier nicht doch eine Person vermisst wird…
„Come on, it’ll be just like in the movies. We’ll pretend to be someone else.” Vieles ist erstaunlich an diesem über weite Strecken großartigen Neo Noir - für mich nach Der Elefantenmensch (USA 1980) David Lynchs bester Kinofilm. Mulholland Drive - Straße der Finsternis hat eine ganz präzise umrissene, facettenreiche Geschichte zu erzählen, doch das Interessante daran ist, wie sie erzählt wird. Auf eine vor und nach Lynchs legendärer TV-Serie Twin Peaks (USA 1990/91) niemals so brillante Art und Weise wird der Zuschauer über die Zusammenhänge getäuscht, denen zufolge die vermeintlich schon halb sich fügenden Puzzleteile auf der Suche nach der Identität einer Frau ein Bild ergeben. Der scheinbar bruchlose Fluss der Erzählung ist keineswegs, was er zu sein vorgibt – vor allem nicht mit Blick auf die zeitliche Dimension, nicht mit Blick auf den autonomen, verlässlichen Erzähler und nicht in Hinsicht auf die Übereinstimmung von Person und Identität. Aber erst im Nachhinein versteht der Zuschauer, dass es darauf im Verlauf der Handlung viele Hinweise gegeben hätte, die er in seiner lustvollen Suche nach rascher Aufklärung geflissentlich übersehen hat. Mulholland Drive – Straße der Finsternis ist ein Film über Filme, ein Film im Film, ein Film, der zentrale Fragen nach der Verlässlichkeit unserer Wahrnehmung und anhand des für den klassischen Film Noir zentralen Themas der Amnesie auf eine höchst raffinierte Weise neu interpretiert.
© Concorde Home Entertainment GmbH
Thematisch gibt es Motive aus Arthur Lubins Impact (USA 1949), aus Byron Haskins Der blonde Tiger (USA 1949) und aus Billy Wilders Boulevard der Dämmerung (USA 1950). David Lynch nutzt auch Bildkompositionen und erinnert an Figuren aus der eigenen TV-Produktion Twin Peaks. Zugleich ist sein Neo Noir eine No-Nonsense-Geschichte über die Mechanismen im US-amerikanischen Showgeschäft, über Träume und Tatsachen in der Traumfabrik Hollywood - über ihren unstillbaren Appetit nach frischem Fleisch. Das Dämonische hat vielerlei Gestalt in diesem grandios bebilderten Universum des Autorenfilmers Lynch und es hat einen Ursprung, über den der Zuschauer lange im Unklaren bleibt. Doch wenn es soweit ist, dass in jener vorletzten und letzten Runde der Vorhang über den Schicksalen von Betty (Naomi Watts) und Rita (Laura Elena Harring) sich lüftet, lässt sich sein Autor und Regisseur wieder zu jener Art symbolbefrachteter Nebelwerferei hinreißen, die an Peter Greenaway und somit beider Wurzeln in den Spätsiebzigern und Frühachtzigern erinnert. Weniger wäre in diesem Finale mehr gewesen. Es gilt fast für jeden Lynch-Film, dass er immer noch einen draufsetzen will, so kunstvoll und so überflüssig, denn plötzlich entpuppt sich – auch hier – solche Dämonie als leerer Schnörkel. Nichtsdestotrotz ist Mulholland Drive – Straße der Finsternis ein Werk, das sich im Gedächtnis festsetzt und dass der Film-Noir-Freund gesehen haben sollte. David Lynch, der seither an dieses Niveau nicht wieder anschließen konnte, perfektioniert in einer lebenssatten Film-Noir-Geschichte seine ureigene Filmsprache und eine mit 32 geradezu jugendlich wirkende Naomi Watts zeigt, dass sie richtig etwas kann. Überaus empfehlenswert!
Erstklassige BD- und DVD-Editionen (2011) der Concorde Home Entertainment GmbH, München, mit dem Film ungekürzt im Originalformat, wahlweise deutsche oder englische Tonspur, optional deutsche Untertitel, den Kinotrailer sowie mehrere Interviews als Extras.
Mulholland Drive
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können
Ein Film ist dann gut, wenn man ihn nach dem 17. Mal ein 18. Mal schauen will.
Für mich persönlich der beste Film, der je gedreht wurde.