Joan Hopkins, Derek Farr, Edward Chapman, Laurence Harvey, Howard Marion-Crawford
In einem südenglischen Fischerdorf arbeitet der aus Schottland stammende und erst vor zwei Jahren dorthin umgesiedelte Peter Brown (Derek Farr) als Tresenkraft in der Bar des Greyhound Hotels. Eines Tages taucht der frisch entlassene Corporal Newman (Kenneth More), zu Kriegszeiten in Browns Armee-Einheit, dort auf und erkennt sein Bier trinkend den Kameraden sofort. Nur ist Browns Name tatsächlich Burdon und der Mann ein Deserteur, welcher mit gefälschten Papieren unter falscher Identität seit Jahren auf der Flucht ist. Newman versucht Burdon zu erpressen und ihm monatlich 20 englische Pfund abzuköpfen. Aber letzterer packt seine Koffer und flüchtet nach London… Hier sieht er sich allerdings von Arbeitslosigkeit und drohender Armut bedroht. Seit Wochen ist er bereits mit der Miete für sein schäbiges Zimmer im Rückstand. So beschließt er, seinen letzten Gegenstand von einigem Wert, einen Armeerevolver, bei dem ihm empfohlenen Juwelier und Antiquitätenhändler Robb Collins (Charles Lloyd Pack) in bare Münze umzusetzen. Er ist kaum in dem Laden eingetroffen und hat die Waffe aus der Tasche seines Trenchcoats geholt, als die maskierten Gangster Slim Elfey (Edward Underdown) und Dan Underwood (John Bailey) den Laden überfallen. Dabei schlagen sie Collins nieder und erschießen auf offener Straße noch den Motorradpolizisten Constable Martin, der den zu Fuß Flüchtenden nachstellt. Peter Burdon eilt in Panik davon, nun ist er sogar in ein Kapitalverbrechen verwickelt…
Ein Mann auf der Flucht vor den zu unbedingter und daher gnadenloser Gesetzestreue verpflichteten Autoritäten von Exekutive und Jurisdiktive – das Thema von Lawrence Huntingtons Film mit Botschaft ist für den britischen Film Noir bis in die späten 50er Jahre ein geradezu klassisches. So wie der französische Fim Noir den alternden und daher nicht mehr unbürgerlichen Gangster - meist mit Ehefrau, mitunter mit Familie - auf dem Weg zu einem letzten Coup exemplarisch ins Verderben treibt, so ist die Frage nach der Unschuld jener vor dem Gesetz vermeintlich Schuldigen für den britischen Film Noir Dreh- und Angelpunkt vieler Dramen, die das Spektrum seiner Ambivalenzen ausreizen. Ist jener Akt der Rache des Hirnchirurgs Dr. Michael Joyce (James Mason) in Lawrence Huntingtons Abgründe (UK 1947) letzten Endes nicht nachvollziehbar? Kann es für den zu Unrecht verurteilten George Clement Morgan (Trevor Howard) in Alberto Calvancatis Sträfling 3312 (UK 1947) sinnvoll sein, die ihm auferlegte Strafe abzusitzen anstatt zu fliehen und auf eigene Faust jene Schuldigen, die ihn zum Bauernopfer stempelten, dingfest zu machen? Einsam und abgehetzt, vollends desillusioniert und voller Misstrauen, so begegnet der Zuschauer noch heute den in Nachkriegsjahren von John Mills, Trevor Howard, John McCallum, Burgess Meredith, Richard Todd, Dirk Bogarde, Bonar Colleano, Derek Farr oder sogar Horst Buchholz verkörperten britischen Film-Noir-Protagonisten. Als gepeinigte Seele ohne eine Familie und ohne einen Freund, der einzig in der verwitweten Mrs. Jean Adams (Joan Hopkins) eine Zuhörerin und schließlich vertrauensvolle Helferin findet, ist Peter Brown alias Burdon in Mann im Netz ein Archetypus britischen Film Noirs, den eine ihm feindlich gesonnene Welt immer tiefer in eine aussichtslose Lage verstrickt.
Autor und Regisseur Lawrence Huntington versammelt vor und hinter der Kamera ein Ensemble und eine Crew, die von den Qualitäten des britischen Films jener Jahre Zeugnis ablegen. Und er beweist mit seiner Fürsprache für die laut Drehbuch knapp 20.000 auf der Flucht befindlichen Deserteure der britischen Armee in einer schon damals von Nationalstolz und Traditionen geprägten Zeit auch den Mut, in unorthodox couragierter Weise ein heikles Thema aufs Tableau zu bringen. An einzelnen Stellen erweist sich Mann im Netz mit seiner Sozialkritik recht offensichtlich als “message movie“, ohne jedoch forciert oder gar peinlich zu wirken. An anderen wird die für eine Spieldauer von 79 Minuten getrimmte Handlung von Koinzidenzen vorangetrieben, die allzu konstruiert erscheinen. Für den Film-Noir-Freund hat Kameramann Wilkie Collins (Tödliches Geheimnis, UK 1947) viele nächtliche, atmosphärisch fein gestaltete Szenarien bereit, die per se ein Genuss sind. Derek Farr ist ein zuverlässiger, versierter Hauptdarsteller, der in Mann im Netz voll überzeugt, auch Joan Hopkins und Edward Chapman sind exzellent. Lawrence Huntington drehte zwei Schlusssequenzen, die auf der deutschen DVD von Big Ben Movies beide enthalten sind. Die deutsche Kinofassung ist damit um knapp zwei Minuten kürzer als die englische und ihr Ende ein deutlich anderes.
Überraschend solide deutsche DVD-Ausgabe (2012) von Big Ben Movies in deren Filmclub Edition, die weltweit bis dato einzige Veröffentlichung des heute obskuren englischen Film Noirs, ungekürzt im Originalformat mit wahlweise dem englischen Ton und der alten deutschen Kinosynchronisation jeweils ohne Untertitel. Der Film ist auf dieser DVD bild- und tontechnisch leider nicht restauriert, qualitativ jedoch allemal empfehlenswert, beinhaltet zudem die beiden unterschiedlichen Schlusssequenzen, ansonsten ohne Extras. In England gibt es via Network Distributing Ltd. den seltenen Film Noir in deren Serie The Best Of British jeweils als BD- und als DVD-Edition (2020) und auch hier ist das alternative Ende als Bonus beinhaltet, ebenso eine Bildergalerie.