Dolores del Rio, Víctor Junco, Augustín Irusta, José Baviera, Conchita Carracedo
© Verlag für Filmschriften Christian Unucka
Mexiko-Stadt: Die voll verschleierte Witwe Magdalena Montes de Oca (Dolores del Rio) nimmt Abschied von ihrem jüngst verstorbenen Ehemann. Bei der Beerdigung sind zahlreiche Trauergäste anwesend, großteils aus der Finanz- und Wirtschaftswelt der Hauptstadt, nur Magdalenas Zwillingsschwester María Méndez (Dolores del Rio) kommt zu spät, und die Anwesenden geraten darüber ins Tuscheln. Auch Magdalena ist erbost, da María offensichtlich direkt von ihrer Arbeitsstätte, einem Maniküre-Studio, zum Friedhof eilte und keineswegs passend gekleidet erscheint. Dennoch nutzt Maria, die das erst zu vermeiden suchte, die Gelegenheit mit Magdalena in deren Limousine in die Stadt zurückzufahren und die Schwester in ihrer palastartigen Villa zu besuchen. Kaum zu Hause angekommen, streift Magdalena Montes de Oca ihre Trauerkleidung jedoch ab und amüsiert sich über ihre Schwester, die einst selbst mit Magdalenas nun verstorbenem Mann verlobt war, bevor jene ihre Chance nutzte und ihn María ausspannte. Letztere ist über die skrupellose, amoralische Kälte ihrer Zwillingsschwester aufgebracht, doch Magdalena freut sich ungebrochen daran, nach dem Tod des Ehemanns endlich ihr Erbe genießen zu können… Im strömenden Regen eilt María Méndez zurück zurArbeitsstätte, wo ihr Chef (Ramón G. Larrea) auf Marías Zuspätkommen äußerst ungehalten reagiert. Erst als der Polizeibeamte Roberto González (Agustín Irusta), ihr Geliebter, vor dem Ladenlokal auftaucht, kann María an diesem Tag wieder aufatmen…
“What would film noir be without the evil twin?" fragt Laura Boyes in ihrer Rezension des Films für moviediva. Natürlich führt nicht jeder Film Noir, geht es darin auch um eine gedoppelte oder zumindest falsche Identität der Protagonisten, eineiige Geschwister im Programm. Doch just 1946 präsentierte Hollywood Robert Siodmaks Film Noir Der schwarze Spiegel (USA 1946) und Curtis Bernhardts Die große Lüge (USA 1946) jeweils Olivia de Havilland oder Bette Davis als schlicht gegensätzliche Zwillingsschwestern, die einander ausspielen und betrügen. Von den drei Filmen ist Palast der Sünde / Die Andere eindeutig der beste und das liegt in der Qualität seines Drehbuchs und im exquisiten Schauspiel von Dolores del Rio begründet. Nun basiert Galvadóns Film auf einer Erzählung des US-amerikanischen Autors Rian James, wurde von dem aus Kanada stammenden Kameramann Alex Phillips (Opfer der Leidenschaft, MEX 1951) auf Zelluloid gebannt und nutzte den US-Amerikaner Charles L. Kimball für den Filmschnitt sowie dessen Landsmann Jack Wagner als Produzenten. Auch die 1946 bereits 42 Jahre alte Dolores del Rio begann ihre Filmkarriere 1925 in Hollywood und kehrte erst 1943 nach Ende einer stürmischen Beziehung zu dem deutlich jüngeren Orson Welles in ihre Heimat zurück, wo sie während der 40er Jahre, dem goldenen Zeitalter des mexikanischen Kinos, zu einem gefeierten Filmstar wurde. Wie in den USA Barbara Stanwyck und Joan Crawford, die mit 37 bzw. mit 39 Jahren in Billy Wilders Frau ohne Gewissen (USA 1944) und in Michael Curtiz’ Solange ein Herz schlägt (USA 1945) ihr Comeback feierten, wurde Palast der Sünde / Die Andere für Dolores del Rio zu einem weiteren Erfolg, der ihr für nochmals zwei Jahrzehnte einen fest Platz in der mexikanischen Kinoproduktion sicherte.
Roberto Galvadóns Drama ist ungemein düster und wartet mit einer Schlusssequenz auf, die all seine kunstvoll zugespitzten Verwicklungen einer zunehmend komplex ausweglosen Situation voll auskostet. So manches, was der Film an fatalen Entscheidungen und amoralischen Zwangshandlungen auftischt, wäre zu jener Zeit in Hollywood undenkbar gewesen. Es ist, was den Film Noir Mexikos noch heute reizvoll und zeitlos erscheinen lässt, dass er nämlich Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre so manche Restriktion der Zensur abgesprengt zu haben schien und vergleichbar dem französischen Film Noir - man denke nur an Yves Allégrets Die Schenke zum Vollmond (FRA 1949) - beherzt zupacken konnte. Erst in den letzten Jahren tauchte der heute in Europa fast vergessene Palast der Sünde / Die Andere im Rahmen diverser Retrospektiven des mexikanischen Kinos in den USA und in Kanada wieder auf. Im Sommer 2017 wurde er in Krivoklat, Tschechien, im Rahmen des fünften Noir Film Festivals gezeigt. Roberto Galvadón und Dolres Del Rio setzten ihre Zusammenarbeit mit La Casa Chica (MEX 1950) und mit El niño y la niebla (MEX 1953) fort. Doch blieb es Galvadón vorbehalten, mit La diosa arrodillada (MEX 1947), mit Verbrecherische Hände (MEX 1951) und mit La noche avanza (MEX 1952) den Kanon des mexikanischen Film Noirs noch zu erweitern. Paul Henreid verfilmte Rian James’ Erzählung mit Bette Davis in der Hauptrolle als Der schwarze Kreis (USA 1964) schließlich nochmals für Hollywood.
Unter seinem bundesdeutschen Kinotitel Palast der Sünde erschien der Film als deutsche DVD (2019) in der Filmclub Edition als deren Nr. 56 und zwar ungekürzt im Originalformat mit einer deutschen Tonspur, genaugenommen mit der original Kinosynchronisation aus dem Jahr 1953 und leider ohne den spanischen Originalton und ohne Untertitel. Allemal muss man dankbar sein, dass dieser über Jahrzehnte hinweg kaum greifbare Film heute überhaupt in einer ansprechenden Edition vorliegt. Die von Zima Entertainment, Mexiko, in ihrer Reihe Grandes de nuestro cine veröffentlichte DVD-Ausgabe (2010) bringt den Film zwar ungekürzt und im Originalformat, doch einzig mit spanischem Ton ohne Untertitel und in einer miserablen Bild- und Tonqualität.
Palast der Sünde, MEX 1946
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können
Der Film kommt Anfang November in Deutschland auf DVD heraus und zwar mit der original deutschen Kinosynchronisation von 1952.