Bewertung
*****
Originaltitel
Get Carter
Kategorie
Neo Noir
Land
UK
Erscheinungsjahr
1971
Darsteller
Michael Caine, Ian Hendry, Britt Ekland, John Osborne, Tony Beckley
Regie
Mike Hodges
Farbe
Farbe
Laufzeit
107 min
Bildformat
Widescreen
© Warner Bros. © Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc.
London: Bei einem Diaabend der Brüder Gerald (Terence Rigby) und Sid Fletcher (John Bindon), der auch Geralds Frau Anna (Britt Ekland) beiwohnt, werden obszöne Fotos gezeigt. Mit im Raum und wie Anna von der Darbietung abgestoßen ist Jack Carter (Michael Caine), der lieber dem Whisky zuspricht. Gerald Fletcher rät Carter davon ab, zur Beerdigung seines Bruders Frank nach Newcastle zu reisen und als jemand im Dienst der Londoner Brüder in bestimmten Kreisen ungern gesehen zu werden. Aber Jack Carter lässt sich nicht beirren. Er steigt in den nächsten Zug, vertieft sich in die Lektüre von Raymond Chandlers Farewell, My Lovely und tritt die Reise in seine Heimatstadt Newcastle an. Dort geht er in einen Pub und erhält einen Anruf von Franks Geliebter Margaret (Dorothy White), die er hier zu treffen dachte, die aber nicht erscheint. Carter begibt sich in Franks Wohnung, wo jener mit seiner Tochter Doreen (Petra Markham) lebte, einem Teenager. Aber es ist niemand zu Haus. Frank, der mit seinem Wagen angeblich betrunken in die Tyne fuhr, liegt aufgebahrt im Wohnzimmer. Auf dem Schrank im Schlafzimmer findet sich eine Schrotflinte nebst Munition; vor dem Haus fährt ein Land Rover die Straße hinunter, ein Mann späht aus dem Seitenfenster. Jack Carter mietet bei Edna Garfoot (Rosemarie Dunham) in deren Absteige Las Vegas ein Zimmer für zwei Nächte. Bei der Beerdigung am nächsten Morgen finden sich außer ihm und Doreen nur noch die Freunde Keith (Alun Armstrong) und Eddie (Godfrey Quigley) ein, von denen Jack Carter näheres über die Todesumstände zu erfahren hofft…
“Frank wasn't like that. I'm the villain in the family, remember?” Mike Hodges’ biestig bissiger Thriller mit einem überragenden Michael Caine taucht heute in manchen Bestenlisten zum Thema Neo Noir unter den ersten 20 auf und wird gern mit zeitgleich in den USA entstandenen Werken wie Der Tod kennt keine Wiederkehr (USA 1973) oder The Friends Of Eddie Coyle (USA 1973) verglichen. Beides ist stimmig, doch bleibt es vor allem John Boormans Point Blank – Keiner darf überleben (USA 1967), an den Hodges’ Verfilmung des Romans Jack’s Return Home von Ted Lewis (EA 1970) erinnert, denn in beiden Fällen geht es um den Rachefeldzug eines Berufsgangsters, der sich gegen seine ehemaligen Bekannten und Kollegen richtet und der schließlich eskaliert. Mit Michael Caine als Star und mit einer Riege kaum noch bekannter, allemal solider TV-Schauspieler ihrer Zeit erscheint dieser Ausnahmefilm bis heute unbeleckt von den drögen Unterhaltungs-Standards, die das Mainstream-Kino seit den Achtzigern wieder in ihren Klauen haben. Sicher ist Jack rechnet ab in erster Linie ein harter, kompromissloser Rachethriller. Zugleich hat er das Flair eines Autorenfilms, woran nicht zuetzt die Kameraarbeit Wolfgang Suschitzkys und die exzellente Auswahl der Schauplätze in und um Newcastle-upon-Tyne einen gehörigen Anteil haben. Deren Tristesse dürfte auch Mike Figgis zu seiner gelungenen Wiederbelebung des englischen Film Noirs mit Stormy Monday (UK/USA 1988) inspiriert haben. In Jack rechnet ab ist Mike Hodges’ Dramaturgie punktgenau und die simple Geschichte mitreißend, weil ihre Rollencharaktere durchweg glaubwürdig sind.
© Warner Bros. © Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc.
Trotz des bemerkenswerten Jack rechnet ab, der wegen skrupelloser Selbstjustiz des Protagonisten und wegen seiner (harmlosen) Sexszenen seinerzeit kontrovers diskutiert wurde, kam es im Europa der Siebziger – im Gegensatz zu den USA - nicht zu einer eigenständigen Neo-Noir-Tradition, lediglich zu Einzelwerken, meist von Autorenfilmern wie Alain Corneau oder Wim Wenders. Regisseur Mike Hodges und Produzent Michael Klinger brachten kurz darauf mit Michael Caine in der Hauptrolle die gelungene Film-Noir-Parodie Pulp (UK 1972), der neben Mickey Rooney sogar die einmalige Rückkehr von Film-Noir-Ikone Lizabeth Scott beinhaltete. Der Film, von Cineasten und Filmjournalisten wertgeschätzt, floppte jedoch an den Kinokassen. Danach kehrte Hodges erst wieder mit Der Croupier (FRA/UK/GER/IRE 1998) und mit Dead Simple (UK/USA 2003) aufs Terrain des Neo Noirs zurück. Fast dreißig Jahre nach Erstaufführung von Jack rechnet ab gab es mit Get Carter – Die Wahrheit tut weh (USA 2000) ein vollends überflüssiges Hollywood-Remake, darin auch Michael Caine eine Nebenrolle übernahm, während Sylvester Stallone die Hauptrolle mit der für ihn typischen Eindimensionalität versah. Im Vergleich mit dem dem Original eine Travestie, obendrein mit einem für Hollywood weichgespülten Ende. Der Neo-Noir-Klassiker von 1971 bleibt davon völlig unberührt.
Selbstverständlich gibt es auch diesen Klassiker in Deutschland weder als BD noch als DVD, obwohl er international seit 2000 in mehreren Editionen vorliegt, auch als englische BD (2014) - ungekürzt und im Originalformat mit dem englischen Originalton, wahlweise englische, rumänische, arabische, bulgarische Untertitel, Audiokommentare von Michael Caine, Mike Hodges und Wolfgang Suschitzky, dazu den original Soundtrack, drei verschiedene Kinotrailer sowie eine Einführung in den Film von Michael Caine und Roy Budd als Extras.