Neo Noir
| UK
| 1972
| Mike Hodges
| Dennis Price
| Lionel Stander
| Michael Caine
| Mickey Rooney
| Cristina Gaioni
| Lizabeth Scott
Bewertung
****
Originaltitel
Pulp
Kategorie
Neo Noir
Land
UK
Erscheinungsjahr
1972
Darsteller
Michael Caine, Mickey Rooney, Lionel Stander, Lizabeth Scott, Nadia Cassini
Regie
Mike Hodges
Farbe
Farbe
Laufzeit
92 min
Bildformat
Widescreen
© United Artists Corporation
Chester Thomas King (Michael Caine), allerorten Mickey genannt, ist unter Pseudonymen wie Guy Strange und Les Behan ein Autor von billigen Kriminalromanen, die Titel à la My Gun Is Long oder Kill Me Gently tragen, seit er vor drei Jahren seinen früheren Beruf als Bestattungsunternehmer, seine Frau samt den drei Kindern und auch London verlassen hat. Aktuell ist er in Valletta, Malta, wo er heute das Büro einer Transkriptionsagentur aufsucht, darin mehrere Frauen nach seinen persönlich besprochenen Audiokassetten das Skript seines Romans The Organ Grinder verfassen. Der Manager der Agentur (Giulio Donnini) gibt King zu verstehen, dass man eher an trockene Sachtexte gewöhnt sei und der Inhalt des Buches die Damen - im Gegensatz zu ihm selbst - stark verwirrt habe… Mickey King nimmt ungerührt Abschied und begibt sich zu einem nächsten Termin, einer Besprechung mit seinem blasenschwachen Verleger Milos Marcovic (Leopoldo Trieste), dessen Sekretärin (Janet Agren) eine Affäre mit King unterhält. Marcovic und King treffen sich vor Ort im Billardzimmer mit Ben Dinuccio (Lionel Stander), der im Auftrag eines reichen, allerdings anonymen Auftraggebers Mickey King für das Verfassen einer Autobiografie zu gewinnen sucht. Und während in den Straßen die Anhänger der New Front Party für ihren Spitzenkandidaten Prince Cippola (Victor Mercieca) demonstrieren, will sich bei Mickey King bezüglich seiner selbst in der Rolle eines Ghostwriters trotz lukrativen Gehalts kein gutes Gefühl einstellen…
“I figured I had already paid my debt to society. I was killed in over 80 movies, wasn't I?” Mickey Rooney (Quicksand, USA 1950) spielt Preston Gilbert, einen alternden Hollywoodstar maltesischer Herkunft, dessen dubiose Vergangenheit mit Verbindungen zur Mafia der Biografie George Rafts nachempfunden ist. Die Film-Noir-Legende Lizabeth Scott (Der blonde Tiger, USA 1949) ist im Alter von 49 Jahren in ihrem letzten Film überhaupt zu sehen. Der 1951 vom Komitee für unamerikanische Aktivitäten (HUAC) auf die Schwarze Liste gesetzte Lionel Stander (Erzähler aus dem Off in Alan Barons Explosion des Schweigens, USA 1961) brilliert als Gilberts dubioser Leibwächter und Manager. Robert Sacchi (Der Mann mit Bogarts Gesicht, USA 1980) spielt als “The Bogeyman“ einen Polizisten, der Humphrey Bogart auffällig ähnlich sieht – eine Rolle, die er bis in die späten 90er Jahre in Film und Fernsehen noch oft übernahm. Pulp ist eine Pariodie auf und eine Hommage an den klassischen Film Noir, an all die von Raymond Chandler und Dashiell Hammett ins Leben gerufenen Geschichten um einsame Detektive, korrupte Polizisten, zynische Mächtige und unberechenbare Frauen. Mike Hodges und Michael Caine wandeln gemeinsam im Fahrwasser ihres Überraschungserfolgs Jack rechnet ab (UK 1971) und präsentieren so ziemlich das Gegenteil von dem, was im Jahr zuvor als beinharter Gangsterfilm in den Kanon des Neo-Noir-Kinos einging. Aber in Pulp kann der nimmermüde Sprachwitz von Mike Hodges, der den Drehbüchern Billy Wilders und John Hustons nachempfunden ist, nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film bösartig und abgründig ist und das auch sein will. Besonders im letzten Viertel entwickelt die Erzählung einige Widerhaken, bei denen einem das Lachen im Hals steckenbleibt, was vom geradewegs fiesen Abspann nochmals abgerundet und überboten wird. Schwarzer… und zuletzt schwärzester Humor!
Der Film wird bis heute sehr unterschiedlich bewertet. In seiner zeittypischen Radikalität fällt er offenbar in die Kategorie derer, die man entweder hasst oder liebt, und für heutige Filmfreunde ist die raue, sprunghafte, wilde Machart sicher ungewöhnlich. Das Kino der 2000er hat sein Publikum an eine extrem polierte, standardisierte Filmrealität gewöhnt. Der Hollywoodfilm hat einen “Look“ entwickelt, der die Erwartungshaltung der Zuschauer auf eine Norm eingeschworen hat. Mit all dem hat Pulp nichts zu tun. Er ist ein hintergründig anarchisches Werk in der Nachbarschaft von Alan Arkins Kleine Morde (USA 1971) mit Elliott Gould oder Stephen Frears’ Auf leisen Sohlen (UK 1971), darin Albert Finney die Hauptrolle spielt. Solche Werke sprengten die Fesseln konventionellen Filmschaffens und zwar parallel zu den ernsthaften Innovationen der Regisseure im Kontext von New Hollywood und verarbeiteten die Einflüsse der Nouvelle Vague und des europäischen Autorenfilms der Zeit auf eigene Weise. Nachfolger wie The Black Bird (USA 1975) oder Der Schmalspurschnüffler (USA 1978) versuchten sich im Lauf der 70er Jahre ebenfalls als Film-Noir-Komödien. Aber deren Bezugnahme ist weit konventioneller und nicht von einer so überbordenden, bizarren Kreativität, die Pulp für den aufgeschlossenen Cineasten noch heute zu einem besonderen, teils biestigen Vergnügen macht. Pulp lief in Deutschland nicht im Kino und hatte unterm Titel Malta sehen und sterben erst im November 1992 seine Premiere im deutschen Fernsehen.
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