Bewertung
****
Originaltitel
Liebe - kälter als der Tod
Kategorie
Neo Noir
Land
GER
Erscheinungsjahr
1969
Darsteller
Ulli Lommel, Hanna Schygulla, Rainer Werner Fassbinder, Katrin Schaake, Liz Söllner
Regie
Rainer Werner Fassbinder
Farbe
s/w
Laufzeit
85 min
Bildformat
Widescreen
© Studiocanal GmbH
Bruno (Ulli Lommel) und Franz (Rainer Werner Fassbinder) sind mit drei anderen langjährigen Straftätern an unbekanntem Ort Gefangene des Syndikats. Erst hier haben sie sich kennen gelernt, wo sie in regelmäßigen Abständen einzeln zum Gespräch mit einem Syndikatsvertreter vorgeladen werden, der von zwei bewaffneten Schlägern beschützt und unterstützt wird. Das Syndikat kennt die Biografien seiner Gefangenen bis ins Detail und will sie selbst in Lohn und Brot nehmen. Als Franz solches Angebot das erste Mal ablehnt, wird er für seine Weigerung brutal zusammengeschlagen. Doch als er beim zweiten Mal auf den Wert der Freiheit pocht, wird er überraschenderweise in diese entlassen. Beim Abschied teilt Franz Bruno seine Münchener Adresse mit, falls auch jener das Glück haben sollte, den Fängen der Organisation zu entkommen. Kurze Zeit später sitzt Bruno in einem Regionalzug nach München. Er teilt sich das Abteil mit einer jungen Frau, die ihm einen Apfel zu essen gibt. Er erzählt, dass er mit zwölf seinen Vater erschlagen und mit sechzehn seinen ersten Menschen erschossen habe und Bruno erhält von der Frau einiges Geld. Am Hauptbahnhof nimmt er ein Taxi und fährt zu der von Franz genannten Adresse. Eine Frau, die ihm durch ein vergittertes Fenster hindurch Auskunft gibt, teilt mit, dass Franz bei einer Johanna (Hanna Schygulla) lebe. So macht sich Bruno, der nun einen Wagen hat, im Münchner Rotlichtmilieu auf die Suche. Nachts steigt an einer Tankstelle eine Prostituierte in seinen Wagen, die ihm für 20 Mark Johannas Aufenthalt verkauft: Herzstraße 129 b. Und Bruno macht sich auf den Weg dorthin…
“This is a prodigious debut film, a revisionist film noir as stark in its visual style as it is powerful in its seething, but repressed, emotions, and with a wonderfully sardonic sense of humor", heißt es bei Jim's Reviews über dieses Frühwerk seines später weltberühmten deutschen Regisseurs. Jene tief wurzelnde Weltverachtung und die in der Sprache tatgewordene Coolness der Film-Noir-Charaktere in der Darstellung durch Humphrey Bogart, John Garfield oder Richard Conte wurden für Filmemacher ab den Mittsechzigern geradewegs stilbildend. Aus den utopischen Entwürfen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts entlassen, bestand für solche Einsamen ihr Lebenskampf in der Bewältigung einer immer schon zur Dystopie verdammten Gegenwart. Ausgerechnet die durch ihre Beat-Generation, die Studentenrevolte und das Hippietum dem Idealen zugeneigten Sechziger schlugen für radikale Erneuerer wie Rainer Werner Fassbinder eine Bresche der Möglichkeiten, darin (im Rückgriff auf den Film Noir) das Scheitern von Individualität im Kontext einer so widersprüchlichen wie anachronistisch hinterwäldlerischen Bundesrepublik Deutschland in den Mittelpunkt eines Kulturschaffens rückt. Fassbinders frühe und vom Film Noir inspirierte Trilogie harsch nüchterner Kriminaldramen umfasst Liebe ist kälter als der Tod, Götter der Pest (GER 1970) und Der amerikanische Soldat (GER 1970). Komplementär und mit explizitem Bezug zu seinen Vorbildern aus Hollywood liefert der Regisseur eine ureigen deutsche Fassung, darin der Film Noir in Stil und in Motiven erneut seine Relevanz beweist. Und weniger als viele Variationen aus Frankreich oder aus England erscheinen seine Resultate, sicher nicht immer zu 100% gelungen, dabei als Import.
Motivisch sind für Liebe ist kälter als der Tod zwei französische Einflüsse enorm wichtig, nämlich Jean-Pierre Melvilles Der eiskalte Engel (FRA/ITA 1967) und Jean-Luc Godards Die Außenseiterbande (FRA 1964). Auch John Boormans Point Blank – Keiner darf überleben (USA 1967) beginnt mit dem Raubzug eines Trios, in deren Verhältnissen von Liebe und Freundschaft die Karten nicht offen zutage liegen – Generalthema von Fassbinders Erstling. Sie alle waren ihrerseits vom klassischen Film Noir beeinflust und Fassbinder - ein feisinniger, präziser Nutzer von Zitaten – fächert seine Einflüsse auf. So erinnert Brunos Ankunft in München an diejenige Doc Ridenschneiders (Sam Jaffe) in Hustons Asphalt-Dschungel / Raubmord (USA 1950) und nicht nur sein Name an den unberechenbaren Psychopathen Bruno Anthony (Robert Walker) in Hitchcocks Der Fremde im Zug / Verschwörung im Nordexpress (USA 1951). Bemerkenswert ist vor allem die raue und oft fiese Karrikatur bürgerlichen Alltags in der Bundesrepublik, die Fassbinder durch die Coolness seines Trios Infernale reflektiert. Sonnenbrille, Hut, Lederjacke, Paisleybluse, Schaftstiefel – die modische und die musikalische Grenzziehung zum Establishment erreicht ihren Höhepunkt, als Bruno und Johanna minutenlang wie Außerirdische durch einen Supermarkt flanieren. Reichlich Spott und Hass zog der Autodidakt Fassbinder auf der Berlinale 1969 mit seinem No-Budget-Debüt auf sich, das als Startpunkt seines Gestaltungswillens und gemessen am historischen Kontext die Jahrzehnte seitdem fast unbeschadet überstand. Sehenswert!
Hochwertige DVD-Edition (2006) von Arthaus / Studiocanal GmbH, die den Film ungekürzt im Originalformat beinhaltet, dazu die deutsche Tonspur und optional englische Untertitel, den Kinotrailer und ausführliche Interviews mit Ulli Lohmann und Hanna Schygulla als Extras.