Film Noir
| UK
| 1947
| Robert Hamer
| Alfie Bass
| Jack Warner
| John McCallum
| John Slater
| Sidney James
| Sydney Tafler
| Googie Withers
| Hermione Baddeley
| Patricia Plunkett
| Susan Shaw
Bewertung
****
Originaltitel
It Always Rains On Sunday
Kategorie
Film Noir
Land
UK
Erscheinungsjahr
1947
Darsteller
Googie Withers, Jack Warner, John McCallum, Edward Chapman, Susan Shaw
Regie
Robert Hamer
Farbe
s/w
Laufzeit
87 min
Bildformat
Vollbild
Bethnal Green in East End, London: An einem Sonntagmorgen beginnt es in dem Arbeiterviertel nördlich der Themse zu regnen. Ein Zeitungsjunge (David Knox) nimmt vom Kioskbesitzer Sam (Fred Griffiths) die Morgenausgabe in Empfang und schwingt sich aufs Fahrrad. Aus dem Gefängnis von Dartmoor ist der Sträfling Tommy Swann (John McCallum) ausgebrochen. Es ist die Schlagzeile des Tages, die sich bei diesem Wetter aber nur langsam verbreitet. Im Haushalt der Familie Sandigate ist es noch still, als Rose (Googie Withers) gegen die Wand klopft und Stieftochter Doris (Patricia Plunkett) aufspringt, um Tee zu bereiten. Die ältere Vi (Susan Shaw) bleibt vorerst liegen, noch in ihrem Abendkleid, mit dem sie sich in der Nacht zuvor reichlich angetrunken zu Bett begeben hatte. Als sie es vor dem Spiegel auszieht, erinnert sie sich daran, wie sie von dem Jazzsaxofonisten Morry Hyams (Sidney Tafler) in dessen Auto, bevor er sie küsste, noch zu hören bekam, dass er sie ihres Gesangstalents wegen gern ein paar Freunden vorstellen wolle. Aber auch Rose hat bei den Sandigates ihre geheimen Erinnerungen. Als Ehemann George (Edward Chapman) ihr aus der Zeitung von der Flucht des wegen Raubüberfalls zu sieben Jahren Haft verurteilten Tommy Swanns aus Dartmoor vorliest, erinnert sie sich selbst, wie jener seinerzeit, da sie als Bardame im The Two Compasses arbeitete, hereinkam und ihr den Hof machte. Doch just als sie, frisch verliebt, endgültig mit ihm davonziehen wollte, erfuhr sie beim Kofferpacken, dass er in Manchester verhaftet worden sei. Indessen ist der Flüchtige auf dem Weg zu ihr…
Der Film Noir begann in der Filmindustrie Englands direkt nach dem Zweiten Weltkrieg - so wie er parallel in den USA zwischen 1946 und 1950 seine besten Jahre erlebte. Nur dass jener englische Film Noir im Grunde bis heute über die Grenzen des Inselstaates hinaus nur wenig bekannt ist und kaum gewürdigt wurde. Mit Ausnahme der Filme Carol Reeds, insbesondere dessen in Kooperation mit Graham Greene entstandenem Klassiker Der dritte Mann (UK 1949), ist der Film Noir “Made in UK“, wie auch Thomas Willmann in seinem Essay zwecks deutscher Erstveröffentlichung von Reeds Ausgestoßen (UK 1947) jüngst feststellte, eine noch zu entdeckende Fundgrube. Hinzu kommt, dass die englische Filmkritik ihr eigenes Nachkriegskino lange Zeit geringschätzte. Robert Hamers Die Flucht vor Scotland Yard – einmal mehr ein toller Originaltitel (= It Always Rains On Sunday) in nichtssagender deutscher Nachdichtung! – teilt das Hauptmotiv seiner Handlung gleich mit drei der fürs Jahr 1947 signifikanten Film Noirs aus England. Auch in Carol Reeds Ausgestoßen mit James Mason, in Roy Ward Bakers Jim Ackland unter Mordverdacht (UK 1947) mit John Mills und in Alberto Cavalcantis Sträfling 3312 (UK 1947) mit Trevor Howard sind die Protagonisten als (z.T. nur vermeintliche) Kriminelle vor aller Welt und vor ihrer eigenen Vergangenheit auf der Flucht.
In England ist Die Flucht vor Scotland Yard heute wegen seines feinfühlig eingefangenen Lokalkolorits populär. Londons legendäres Stadtviertel East End ist bevölkert mit eigenwilligen Charakteren, die allesamt schon sprachlich durch eine Reihe von Dialektfärbungen und durch Slang-Ausdrücke hervorstechen. Aber mit Blick auf das Drehbuch, die Zeichnung der handelnden Personen und das konsequente Finale ist dieser Film auch dem internationalen Zuschauer zu empfehlen. Exzellente Darsteller, allen voran Jack Warner (als der mit den Ermittlungen betraute Detective Sergeant Fothergill) und Googie Withers (Die Ratte von Soho, UK 1950) in den Hauptrollen, zugleich tolle Ensemblespieler wie Alfie Bass oder John Slater, ein kontraststarkes Schwarzweiß und eine auch sonst mit Finessen gespickte Kameraarbeit seitens Douglas Slocombe sowie die stringente Regie des hierzulande fast vergessenen Robert Hamer (The Long Memory, UK 1953) schufen einen Film Noir, der sich vor den Produktionen Hollywoods aus jenen Tagen nicht zu verstecken braucht. Das Besondere ist die Parallelität mehrerer narrativer Stränge, die das Leben auf so allerlei Bühnen des Londoner Viertels beleuchten. Doch damit war Hamer nicht nur seiner Zeit voraus, wie zeitgenössische Kritiker argumentieren, sondern griff seinerseits auf die Filmepik der Zwanziger und teils Dreißiger zurück. "A masterpiece of dead ends and might-have-beens, highly inventive in its use of flashbacks and multiple overlapping narrative”, resümierte Scott Foundas für The Village Voice. Überaus sehenswert!
Eine exzellente DVD-Ausgabe von Optimum Releasing Ltd./ Studiocanal (2006), die den Film ungekürzt im Originalformat inklusive original englischem Ton bringt, zudem mit dem (australischen) Kinotrailer und einer Einführung in den Film durch den Filmkritiker George Perry als Extras. Allerdings ist das Fehlen von Untertiteln für den mit dem britischen Englisch nicht vertrauten Zuschauer ggf. ein Problem. Schaut man den Film allein, helfen fürs rein akustische Verstehen Kopfhörer.