Jean-Louis Trintignant, Ann-Margret, Roy Scheider, Angie Dickinson, Georgia Engel
© United Artists
Los Angeles, Kalifornien: In einem Flug aus Paris, Frankreich, erreicht Luicien Bellon (Jean-Luis Trintignant) die Metropole am Pazifischen Ozean und blickt hinab auf die Verkehrsströme im Smog. Per Taxi fährt er zum luxuriösen The Beverly Hilton Hotel und füllt das Meldeformular aus. Der Hotelportier (Ben Piazza) übergibt ihm einen Aktenkoffer und einen Brief, den sein Sekretär für ihn hinterlassen habe. Er brauche einen Mietwagen, lässt der Ankömmling wissen, und der Portier informiert ihn über den nächst gelegenen Service. Bellon lässt sein Gepäck aufs Zimmer bringen, entnimmt dem Briefumschlag den Code für das Zahlenschloss des Aktenkoffers und öffnet ihn. Unter einer Ausgabe der Los Angeles Times finden sich Dollarscheine in Bündeln mit Banderole, in der Innentasche des Deckels ein Revolver. Lucien Bellon legt sich aufs gemachte Bett, das Telefon klingelt, und beim dritten Läuten hebt er ab. Es ist ein Ferngespräch aus Paris; sein Auftraggeber Antoine (Michel Constantin) ist am Apparat. Letzterer gibt ihm die Adresse von Victor Kovacs (Ted de Corsia) in Beverly Hills durch, die er sich merken soll. Bellon wiederholt Antoine gegenüber dessen Anschrift, legt auf und verstaut im Nebenzimmer seinen Reisepass und andere Papiere in einer Schreibtischlade. Er nimmt den Revolver, steckt mehrere Bündel mit Dollarnoten in die Innentaschen seines Jacketts und bricht auf. In einem 1971er Lincoln Continental macht sich Lucien Bellon auf den Weg nach Beverly Hills, um dort Victor Kovacs zu ermorden…
Mit Jean-Louis Trintignant, Michel Constantin, Carlo De Mejo und Umberto Orsini gibt es bloß eine Handvoll französischer und italienischer Schauspieler. Der Rest des Ensembles stammt aus den USA und außerdem spielt der Film eh durchgehend dort, also ist es ein US-amerikanischer Neo Noir. Richtig? Falsch. Acht Jahre, bevor Louis Malle mit Atlantic City, USA (FRA/CAN 1980) ein vergleichbares Kunststück gelang, inszenierte Jacques Deray in Los Angeles einen europäischen Arthouse-Thriller, der durch und durch den Geist des Filmschaffens in Frankreich und in Italien atmet. Lucien Bellon ist ein Fisch auf dem Trockenen: ein Mann in fernen Gewässern, der überall ein Fremder ist - in jedem Hotelzimmer, in jeder Bar und in jeder Gesellschaft. Nachdem Bellon seinen Auftrag ausgeführt hat, merkt er, dass ihm selbst ein Killer im Nacken sitzt. Sein Hotelzimmer ist leergeräumt, der Reisepass ist fort und damit sein Rückflug nach Paris, indessen man versucht, ihn vor Ort in Los Angeles aus dem Weg zu räumen. Sein Gegenspieler ist der eisgekühlte Lenny (Roy Scheider), und auch hier zeigt sich, dass es in solcher Rolle eines exquisiten Darstellers bedurfte, um dem stets herausragenden Trintignant die Stirn zu bieten. Denn Lucien Bellon ist der Antiheld schlechthin, und Jean-Louis Trintignant ist wie geschaffen für die Figur, zumal das Ensemble insgesamt fein ausgewählt ist. Einzig Ann-Margret kommt ein Sonderstatus zu. Nach meiner Ausffassung war sie nie eine besonders gute Schauspielerin und ist hier bereits von ihrer Alkoholsucht gekennzeichnet. Sieben Jahre zuvor spielte sie an der Seite Alain Delons unter der Regie Ralph Nelson in der französisch-amerikanischen Co-Produktion Millionenraub in San Francisco (FRA/USA 1965) eine ihrer besten Rollen. Wer sie in Brutale Schatten wiedersieht, mag erschrocken sein, wie sehr sie sich in den Jahren veränderte. Mit 31 Jahren sieht sie wie Ende 30 aus, was ihrem Rollencharakter aber zugute kommt. Denn als Bardame aka Prostituierte Nancy Robson ist sie, was das Drehbuch von ihr verlangt, ganz schön abgehalftert.
© Pidax film media Ltd.
„Regisseur Jacques Deray gelingt es insgesamt recht gut, die kühle Präzision des französischen Gangsterfilms mit den Eigenarten des ruppigen New-Hollywood-Kinos zu vereinen“, schreibt Jacko Kunze für Moviebreak.de, und es mag u.a. daran liegen, dass der französische Thriller jener 70er Jahre, wenn er von Jean-Pierre Melville, José Giovanni, Jacques Deray oder Claude Chabrol serviert wurde, auch immer genau das war - ruppig. Es ist zugleich nicht von der Hand zu weisen, die Anonymität und Kälte der Metropole mit all den Bauruinen, Brachflächen, Fast-Food-Ketten, Stadtautobahnen und billigen Absteigen mit ihrer Präsenz in Point Blank – Keiner darf überleben (USA 1967) zu vergleichen. Unter der Regie des Engländers John Boorman war auch dort Angie Dickinson zu sehen, und insgeheim hätte ich der konstant unterschätzten Akteurin die Rolle Ann-Margrets gewünscht. Für jene wäre sie womöglich aber eine Nuance zu elegant gewesen, da sie als Jackie Kovacs mit Fug und Recht die Antithese zu Nancy Robson darstellt. Im Ganzen kein besonders origineller, ein jedoch intensiver und bitterer Neo Noir seiner Zeit, dessen europäisches Flair inmitten Kaliforniens ihn zu einer Besonderheit werden ließ.
Es gibt eine bild- und tontechnisch einwandfreie Fassung des Films auf einer deutschen DVD (2021) der Pidax film media Ltd. mit der um ganze 10 Minuten und 35 Sekunden (!) gekürzten, deutschen Kinofassung (105 Minuten) im Originalformat und mit einzig der deutschen Kinosynchronisation, die schrecklich hölzern eingesprochen ist und den Charakter des Films verfälscht. Als Bonus enthält die gleiche DVD unter dem Titel Un homme est mort jedoch die 116 Minuten lange Originalfassung des Werks mit der französischen Tonspur, leider ohne Untertitel, welche sich online bei den einschlägigen Portalen herunterladen und hinzufügen lassen. Als Extras gibt es ein Booklet mit Filmfotos und mit Produktionsnotizen, den Kinotrailer und eine Bildergalerie mit Werbematerial. Fazit: Unbedingt im Original und keinesfalls gekürzt und auf Deutsch anschauen.