Sean Penn, Christopher Walken, Mary Stuart Masterson, Chris Penn, Millie Perkins
Bradford Whitewood jr. (Sean Penn) lebt mit seiner Mutter Julie (Millie Perkins) und der Großmutter (Eileen Ryan), mit Bruder Tommy (Chris Penn) und mit Stiefvater Ernie (Alan Autry) in einem herunter gekommenen Farmhaus in Pennsylvania. Heute Abend fährt er mit seinem zerbeulten Pick-Up-Truck in eine benachbarte Kleinstadt, und als er dort am zentralen Platz mit seinem Rondell samt Denkmal in der Mitte ankommt, sieht er eine Gruppe von Jugendlichen feixen, unter ihnen die Freundinnen Terry (Mary Stuart Masterson) und Jill (Noelle Parker). Während er auf den Parkplatz vor einem Spirituosenladen zusteuert, kann Brad kann seine Augen nicht von Terry wenden, und auch sie blickt ihm nach. Auf dem Parkplatz trifft er Tommy und dessen Freund Aggie (Stephen Geoffreys), die einem Fremden (Paul Herman) im Anzug 5 Dollar gegeben hatten, damit er ihnen eine Flasche Jack Daniel’s besorge, aber der Mann hat sich davon selbst eine Flasche Gin gekauft und gibt ihnen das Geld nicht zurück. Brad fordert ihn auf, den Minderjährigen ihr Geld auszuhändigen, doch der Fremde erklärt ihm, dass er Tommy für ein Arschloch halte und steigt in sein Auto. Da legt sich Bradford auf dessen Kühlerhaunbe, und der inzwischen genervte Herr setzt mit einem Ruck aus der Parklücke und fährt los, indessen er versucht Brad loszuwerden. Der aber hält sich scheinbar mühelos auf der Kühlerhaube, reißt sogar einen der Scheibenwischer heraus und steckt sich diesen wie ein Hund seinen Knochen zwischen die Kiefer…
Ernie: “You turn that damn thing on again, I'll beat the Jesus out of you.“ – Brad Whitewood jr.: “There ain't no Jesus in me, Ernie.“ Das Drehbuch aus der Feder von Nicholas Kazan erweist sich bis in Nuancen einzelner Dialoge als punktgenau. Die Dramaturgie durch den Regisseur James Foley (After Dark, My Sweet, USA 1990) hält das Intereresse des Zuschauers an der Vielfalt der Rollencharaktere in der Balance und zieht im letzten Drittel die Spannung präzise an. Und der spanische Kameramann Juan Ruiz Anchía (Haus der Spiele, USA 1987) zeigt sich als ein Meister seines Fachs. Vor allem aber bringt dieser Neo Noir beruhend auf der Familientragödie um Bruce Johnston sr., Kopf einer Diebesbande in Chester County, Pennsylvannia, die während der 60er und 70er Jahre aktiv war, in den zentralen Rollen zwei Schauspieler, die in Bestform agieren und grandiose Darstellungen abliefern. Christopher Walken ist als Bradford Whitewood senior, Vater von Tommy und Brad, ein aalglatt egomanisches Monstrum, wie man es in solcher Vielfalt der Zwischentöne andernorts lange suchen müsste. Ich schätze Walken soundso, aber hier wächst er über sich hinaus. Seine Verkörperung eines skrupellosen und eiskalten, nur scheinbar loyalen und von Werten und Familie beseelten Gangsters sucht ihresgleichen. Ebenso ist Sean Penn, der bereits in Bad Boys (USA 1983) unübersehbar viel Engagement und Energie in sein Spiel legte, als der Sohn einer schwachen Mutter und der von seinem Stiefvater Ernie sichtlich entfremdete Bradford junior sowohl im Zusammenspiel mit Christopher Walken als auch mit Mary Stuart Masterson durchweg überzeugend. Zu guter Letzt fällt die exquisite Besetzung vieler Nebenrollen auf – neben Masterson zeigen auch Tracey Walter, Crispin Glover und Sean Penns leiblicher Bruder Chris, das sie das Niveau verstehen und sich selbst zu Bestleistungen aufschwingen können.
“In this family context, both Chinatown and The Grifters, like James Foley’s 1986 At Close Range, emerge as true film noir in the originality with which they restate or expand the boundaries of the genre“, schreibt Andrew Dickos in seinem Buch Street With No Name: A History Of The Classical American Film Noir (EA 2002). Es ist die unfassbare Konsequenz der Handlungen im letzten Viertel des Films, die Zuschauer noch heute schockieren. Bei aller Zersetzung von Tabus und der Aufhebung von Reizschwellen durch eine längst standardisierte Darstellung harter Gewalt im zeitgenössischen Film, ist der “Welpenschutz“ bis heute für Kinobesucher doch eine moralisch fest verankerte Schwelle… Minuspunkte gibt es wenige. Wer allerdings so wie ich die Popmusik Madonnas noch nie schätzte oder für den sie furchtbar altbacken und dröge klingt, dem wird auch das Titelstück Live To Tell, seinerzeit mit Preisen überhäuft, mächtig auf die Nerven gehen. James Foley, qualitativ ein leider unsteter Kandidat, hat seinerzeit viele der Musikvideos für den Popstar gedreht. Sean Penn war sogar mit ihr verheiratet und trat im gleichen Jahr an der Seite Madonnas in dem grotesk schlechten Liebesfilm Shanghai Surprise (USA 1986) auf, mit dem sich beide der Lächerlichkeit preisgaben. Davon hat er sich seit langem emanzipiert, trat in den vier folgenden Jahrzehnten mit vielen herausragenden Leistungen in Erscheinung, und auch Christopher Walken hat die Kinogeschichte noch um signifikante Rollencharaktere bereichert. Auf kurze Distanz bleibt einer der besseren, wenn nicht einer der besten Neo Noirs jener oft schwankenden Dekade der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts. Unbedingt ansehen!
Eine österreichische BD- (neben der Standard-Edition auch als limitiertes Mediabook verfügbar) und DVD-Ausgabe (2019) der NSM Records bringt den Film ungekürzt im Originalformat, bild- und tontechnisch exzellent restauriert, mit dem englischen Originalton und der deutschen Kinosynchronisation, dazu optional deutsche Untertitel, den US-Kinotrailer, den deutschen Kinotrailer und Filmografien der Stars als Extras. Die DVD-Edition (2006) der Twentieth Century Fox Entertainment Deutschland GmbH brachte den Film in vergleichbar guter Bild- und Tonqualität, hatte aber neben dem englischen Originalton als Synchronisationen noch Italienisch, Deutsch, Französisch und Spanisch sowie als Untertitel Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Ungarisch, Portugiesisch, Niederländisch und Griechisch zu bieten, mit dem US-Kinotrailer als einzigem Bonus.