Film Noir
| USA
| 1958
| Pierre Boileau
| Thomas Narcejac
| Alfred Hitchcock
| Robert Burks
| James Stewart
| Raymond Bailey
| Barbara Bel Geddes
| Ellen Corby
| Kim Novak
| Lee Patrick
Bewertung
*****
Originaltitel
Vertigo
Kategorie
Film Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1958
Darsteller
James Stewart, Kim Novak, Barbara Bel Geddes, Tom Helmore, Henry Jones
Regie
Alfred Hitchcock
Farbe
Farbe
Laufzeit
124 min
Bildformat
Widescreen
© Universal Pictures
San Francisco: Police Detective John “Scottie” Ferguson (James Stewart) jagt einen Kriminellen über die Dächer der Stadt, als er an einer Regenrinne hängend entdecken muss, dass er unter Höhenangst (= Vertigo) leidet. Beim Versuch Scottie zu retten, verursacht jener selbst den Tod eines Kollegen (Fred Graham). In der Rekonvaleszenz entscheidet er, in den Ruhestand zu treten, zumal er über genug Finanzmittel für sein Auskommen verfügt. Scottie Ferguson verbringt viel Zeit im Atelier seiner College-Freundin Midge (Barbara Bel Geddes), einer Werbezeichnerin, mit der er früher kurz liiert war und die ihn insgeheim noch immer liebt. Auch Gavin Elster (Tom Helmore), ein inzwischen erfolgreicher Reeder, ist so ein Bekannter aus alten Tagen. Überraschend für Scottie nimmt jener zu dem nicht mehr aktiven Polizisten wieder Kontakt auf. Bei einem Besuch in Elsters Büro bittet er Scottie, als Privatdetektiv seine Frau Madeleine (Kim Novak) im Auge zu behalten, von der Gavin Elster glaubt, dass sie vom Geist ihrer eigenen Urgroßmutter, Carlotta Valdes (Joanne Genthon), besessen sei, die einst Selbstmord beging. Der nüchterne Ex-Polizeibeamte rät Elster, seine Frau zu einem Psychotherapeuten zu bringen und sich gleich selbst behandeln zu lassen. Dennoch lässt er sich breitschlagen, Madeleine Elster in einem Restaurant, wo Gavin mit ihr zu Abend speist, zumindest von der Bar aus in Augenschein zu nehmen. Doch schon diese erste Begegnung mit der Frau hat für Scottie Folgen ungeahnten Ausmaßes…
“A classic film noir although it is rarely referenced as such. The Scottie is a private eye who falls for a femme fatale”, fasst es Paul Duncan in seinem Buch Film Noir: Films Of Trust and Betrayal (2006) salopp zusammen. Darin bespricht er in chronologischer Folge sieben Werke der klassischen Periode, beginnend mit Stranger From The Third Floor (USA 1940) und endend mit Vertigo - Aus dem Reich der Toten. Warum Hitchcocks Thriller-Klassiker in dem Kontext meist ausgespart bleibt, hat mehrere Gründe. Zum einen gilt Alfred Hitchcock stets als seine eigene Kategorie. Zum zweiten ist Vertigo – Aus dem Reich der Toten ein Farbfilm, der wenig mit den Schwarzweiß-Dramen der Vierziger zu tun zu haben scheint. Auf den ersten Blick ist das sonnenüberstrahlte San Francisco Scotties und Madeleines mit Hitchcocks leichteren Spannungsfilmen der Fünfziger verwandt, mit Über den Dächern von Nizza (1955) oder Der Mann, der zuviel wusste (1956). Doch in diesen Thrillern ist die Bedrohung der Protagonisten stets eine von außen; in Vertigo - Aus dem Reich der Toten erwächst sie aus der Obsession des Privatdetektivs selbst, dessen Höhenangst vielmehr die Angst vor einem inneren Abgrund ist. Besonders in der zweiten Hälfte ist der Film den schweren, harten Hitchcock-Werken zuzurechnen, die gar nicht selten auf dem Terrain des Film Noirs angesiedelt waren – so etwa Der Fremde im Zug / Verschwörung im Nordexpress (USA 1951) oder auch Psycho (USA 1960).
Zwischen 1948 und 1958 arbeitete Hitchcock vier Male mit James Stewart, undzwischen 1941 und 1959 ebenso vier Male mit Gary Grant. Er war ein Meister in allen Belangen, auch in denen des Castings. In Vertigo - Aus dem Reich der Toten ist die Riege der Schauspieler perfekt gewählt, obgleich sich die Frage stellt, ob Kim Novak wirklich so grandios spielt, wie oft behauptet wird. Nein, tut sie nicht! Aber sie ist derart großartig inszeniert, dass es darauf nicht ankommt. Auch ansonsten leistet sich Alfred Hitchcock Freiheiten, mit denen ein Anderer nicht durchkäme. James Stewart war zum Zeitpunkt des Films 50, Tom Helmore bereits 54 und Kim Novak 25 Jahre alt – dennoch ist die Chemie zwischen Madeleine und Scottie vollends stimmig. Barbara Bel Geddes war 36 Jahre alt, soll als Midge aber eine College-Freundin John Fergusons und Gavin Elsters gewesen sein, je 14 bzw. 18 jünger als diese. Wie schafft es Hitchcock, dass derlei kaum ins Gewicht fällt? Neben seinem unglaublichen Gespür für Dramaturgie, für Kamerawinkel und Schnittfolgen, ist auch Hitchcocks Kameramann ab 1951, Robert Burks, an dieser Stelle zu erwähnen. Abgesehen von den trügerischen Farbkompositionen in jener sonnigen Küstenmetropole Kaliforniens, springen auf den zweiten Blick die verschatteten Nebenstraßen, die dunklen Hausflure und tiefen Straßenschluchten (= Höhenangst) ins Auge. Vertigo – Aus dem Reich der Toten lohnt ein zweites und ein drittes Sehen; der Film ist ein Meisterwerk Alfred Hitchcocks und eine der letzten Werke der klassischen Ära des Film Noirs. Neben David Lynch in seiner Fernsehserie Twin Peaks (USA 1990/91) - ein Rollencharakter, quasi Doppelgängerin eines Mordopfers, heißt dort Madeleine Ferguson - erweist Lou Ye mit seinem Neo Noir Suzhou River (CHN/GER 2000) dem Klassiker seine Referenz.
Exzellente DVD-Ausgaben der Universal Pictures (2003 bzw. 2006), ungekürzt im Originalformat, bildtechnisch topp, fünf verschiedene Tonspuren, darunter Deutsch und Englisch, wahlweise zehn Untertitel, haufenweise Extras: Audiokommentare, Kinotrailer, die Dokumentation Besessen von Vertigo, usw. Man sollte den Film unbedingt im Original (ggf. mit Untertiteln) sehen, die deutsche Synchro verfälscht im Klangbild (völlig andere Stimmlagen, Nebengeräusche, etc.) und z.T. in der Übersetzung den Eindruck vollends. Allemal eine empfehlenswerte Edition und als Film ohnehin ein Muss!
Bitte zusätzlich mit der alten US-Monotonspur
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Leider ist auch auf den aktuellsten amerikanischen und europäischen DVD und Blu Ray- Veröffentlichungen von 'Vertigo' die US-Tonspur nicht ohne Fehl und Tadel.
Während die Bildqualität des vor einigen Jahren aufwändig restaurierten und nun als 70 mm Kopie verfügbaren 'Vertigo' allgemein gelobt wird, diskutieren Liebhaber und Filmhistoriker weltweit die von Mono auf Stereo erweiterte und teilweise neu eingespielte Filmmusik durchaus kontrovers. Musik und auch Hintergrundgeräusche fallen im Vergleich zum alten US-Mono-Original an einigen Stellen lauter und schriller aus als zuvor und stören den Erzählrhythmus und die poetische Stimmung in einigen Szenen.
Deshalb warten nicht wenige Sammler darauf, dass das Studio endlich in einer weiteren Ausgabe auf DVD und/oder Blu Ray unbedingt das restaurierte Bild zusäzlich optional mit der alten, werkgetreuen US-Monotonspur anbietet. Dass dies bisher weder in den USA noch in Europa geschehen ist, obwohl ein weiterer Track bei der Auflage kaum nennenswerte Zusatzkosten verursacht hätte, ist und bleibt ein echtes Ärgernis für viele eingefleischte Hitchcock-Fans.
Hier ein Link zu einer Seite mit zahlreichen schönen Bildern von Originalschauplätzen aus 'Vertigo' und einigen anderen Hitchcockfilmen, die in der Bay Area in und um San Francisco spielen...
http://www.footstepsinthefog.com/
Barolojoe