Bewertung
*****
Originaltitel
Narc
Kategorie
Neo Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
2002
Darsteller
Jason Patric, Ray Liotta, Chi McBride, Krista Bridges, Alan Van Sprang
Regie
Joe Carnahan
Farbe
Farbe
Laufzeit
101 min
Bildformat
Widescreen
Detroit, Michigan: Über zwei Jahre war der Polizist Sergeant Nick Tellis (Jason Paric) unter einem Decknamen in der Drogenszene aktiv. Er wurde selbst heroinsüchtig, musste eine Entziehungskur durchstehen und sich obendrein wegen eines für ihn traumatischen Unfalls verantworten. Bei der Verfolgung und Tötung des Dealers Elvin Dowd (Dan Leis) verletzte Tellis Jeanine Muller (Lina Giornofelice) derart, dass die Schwangere ihr ungeborenes Kind verlor. Inzwischen ist Nick, der mit Audrey Tellis (Krista Bridges) glücklich verheiratet ist, selbst Vater eines zehn Monate alten Jungen. Als ihm Captain Cheevers (Chi McBride) die Akte eines unaufklärten Mordes an einem Undercoveragenten zur Einsicht gibt, lehnt Tellis eine Beteiligung an der Untersuchung ab. Doch je mehr er sich mit dem Fall des ihm unbekannten Ehemanns und Vaters Michael Calvess (Alan Van Sprang) befasst, desto mehr wird er davon angezogen. Lieutenant Henry Oak (Ray Liotta), ehemals Calvess’ Vorgesetzter, ist inzwischen nicht mehr damit betraut. Doch als Nick Tellis zuletzt in die Leitung der Untersuchung einwilligt, fordert er die Zusammenarbeit mit dem impulsiven Oak, der als einziger alle Hintergründe zu kennen scheint. Nick riskiert mit diesem Schritt nicht zuletzt privat weit mehr, als er ahnt…
Die Rückblende kommt gleich zu Beginn. Der Zuschauer folgt Nick Tellis in seine Erinnerung ans traumatische Erleben der letzten Hatz nach Elvin Dowds. Und die düsteren, in kalten Farben voller Schatten, Kontraste und Gegenlicht getauchten Szenen setzen den Ton für einen beinharten und grandiosen Thriller. Wie im Fall aller wirklich gelungenen Werke des Film-Noir-Kinos, ist es die stimmige Kombination jeweils erstklassiger Ingredenzien, die schließlich das Ganze definiert. Ray Liotta (Phoenix – Blutige Stadt, USA 1998) und Jason Patric (After Dark, My Sweet, USA 1990), es wird manchen kaum überraschen, sind in ihren Rollen schlicht großartig. Tatsächlich erinnert der Film durch sie in vielen Momenten an William Friedkins French Connection / Brennpunkt Brooklyn (USA 1971), darin Roy Scheider und Gene Hackman als Buddy Russo und Popeye Doyle der New Yorker Drogenmafia auf die Spur kommen. Auch die großteils unbekannten Nebendarsteller, allen voran Krista Bridges und Anne Openshaw, sind in all ihren Szenen hervorragend. Die Wahl der Schauplätze lässt ebenso an Sydney Lumets Variationen des Neo Noirs denken, wie der häufige Gebrauch der Handkamera an die skandinavischen Dogmafilme der Spätneunziger gemahnt. Alles in allem ist Narc ästhetisch ein (unauffälliges) Prunkstück, dessen Bildkompositionen von Schönheit und Stilbewustsein zeugen, ohne damit zu dominant umzugehen.
Die größte Qualität des Films liegt im Skript. Narcs Geschichte ist, wie mancher Kriker schnell bemerkte, simpel. Die Charaktere der Polizisten Tellis und Oak sind es aber nicht. Auf sie legt das Drehbuch den Schwerpunkt. Ihre Motive und Beziehungen, ihre Geschichte und Gegenwart werden trotz eines flotten Erzähltempos exquisit aufgefaltet. Dabei stellen sich in Abetracht der Entwicklung ethisch prekäre Fragen, die übliche Schemata von Cop-Thrillern weit hinter sich lassen und emotional ans Eingemachte gehen. Es sind solche Noten, die Narc zu einem Film werden lassen, dessen Nachbilder einem Tage später noch durch den Kopf ziehen. All die Rückblenden und Trugschlüsse, sein Dickicht der Lügen und versteckten Interessen machen Narc zu einem der besten Neo Noirs des neuen Jahrtausends. Zugleich ist erschreckend, dass Narcs Autor und Regisseur Joe Carnahan, der damit 2002 seinen zweiten Film als Regisseur drehte, inzwischen bei unsäglichem Schrott wie Das A-Team – der Film (2010) angekommen ist. Von Hollywood mit Haut und Haaren verschluckt und verdaut!
Sehr gute deutsche DVD- bzw. Blu-ray-Edition von Splendid Entertainment, d.h. ungekürzte 101 Minuten Spielzeit im Originalformat, bildtechnisch topp, eine gute Menüführung, Tonspuren auf Deutsch und auf Englisch, ebenso deutsche und englische Untertitel. Unbedingt ansehen!
Enttäuschung des Monats
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In den vergangenen Wochen habe ich mir auf dieser Seite einige interessante Anregungen geholt: sogenannte Neo Noirs wie zum Beispiel "Point Blank" von John Boorman oder Melvilles "Le Cercle Rouge" finde ich ganz stark.
"Narc" fällt nicht in diese Kategorie. Einer der ganz wenigen Filme aus den letzten Jahren, wo ich nicht durchgehalten und bereits nach einer knappen Stunde kapituliert und ausgeschaltet habe. Wie seinerzeit im (in der Tat überschätzten) "Pulp Fiction" werden munter Szenen aneinandergereiht; doch ähnlich wie in Tarantinos Werk kommt auch hier, in einer kruden Mischung aus Gewalt, vermeintlicher Coolness und bemühter Schicksalsschwere, für mich alles viel zu konstruiert, zu angestrengt und aufgesetzt rüber.
Gibt man "Narc" tatsächlich fünf Sterne, müssten solche Semi-Klassiker wie die beiden oben erwähnten Titel in meinen Augen mindestens acht oder neun davon bekommen.