Burt Reynolds, Theresa Russell, Ned Beatty, Kay Lenz, Ted McGinley
Boston, Massachusetts: In der in Neuengland, an der Ostküste der Vereinigten Staaten gelegenen Stadt fährt des Nachts ein 1984er Honda Accord auf die Tobin Bridge, die den Mystic River überspannt und Boston mit Chelsea verbindet. Der Fahrer (Kenny Bates) steigt aus und geht zum Kofferraum, darin ein langes Seil mit einer Schlinge versehen ist und ein Pappschild, an dessen einem Ende eine Stück Kordel befestigt wurde. Mit einem schwarzen Marker schreibt er “Happy Now?“ auf das Schild, hängt es sich um den Hals, so dass es vor seiner Brust baumelt und steigt seitwärts die metallenen Brückenstreben hinab. Bald ist der potentielle Selbstmörder an einer Stelle angelangt, wo er das Seil an einer der Streben festknotet und sich zuletzt die Schlinge um den Hals legt. Er tritt vor, sieht hinab in die Strömung des Flusses, wo ein Lastkahn unter der Brücke durchfährt, als er ein Geräusch vernimmt. Als er sich umblickt, sieht er die Füße eines gut gekleideten Mannes, der außer Sicht auf dem Rücken liegt. Der Selbstmörder nimmt die Schlinge vom Hals und wirft sie wie ein Lasso um einen der Füße. Nach wiederholtem Ziehen und Zerren kommt der Körper ins Rutschen und landet genau in den Armen des Selbstmörders. Aber der Kerl im Anzug, ein Gangster namens Jake Farley (Louis Negin), ist tot, und als der Mann auf dessen aufgeschlitzten Hals direkt vor sich blickt, erschrickt er dermaßen, dass er gemeinsam mit der Leiche in die Tiefe fällt. Er klammert sich verzweifelt an das Mordopfer und ruft aus vollem Hals um Hilfe…
”Hudson, right? I’m offering you a deal. Now, don’t drag your client through this… or yourself.” Rechtsanwältin Jennifer Hudson (Theresa Russell) übernimmt als Pflichtverteidigerin den Mordfall Jake Farley, in dem der vom Dienst suspendierte Polizeibeamte Joe Paris (Burt Reynolds) nach Lage der Indizien der einzige und (offensichtlich schuldige) Hauptverdächtige ist. Die Frau möchte sich in dem von männlichen Konkurrenten beherrschten Rechtssystem profilieren und einen Namen machen. Aber der impulsive Cop Joe Paris, der als Veteran des Vietnamkriegs und als Polizist eine blutige Spur der Gewalt hinter sich herzieht, ist wenig umgänglich oder kooperativ. Zudem ist Staatsanwalt James Nicks (Ned Beatty) ein abgebrühter Profi des Betriebs, der sich in Anbetracht der Fakten seiner Sache sicher ist und keine Gelegenheit auslässt, um Zeugen oder den Angeklagten in Misskredit zu bringen. Je hartnäckiger Jennifer Hudson sich ins Geschirr wirft, desto mehr gewinnt sie den Eindruck, dass es auf beiden Seiten des Gesetzes Kräfte gibt, die sie hindern wollen, im Zug ihrer Untersuchungen die Geschäfte des ermordeten Jake Farleys genau in Augenschein zu nehmen… Dass das US-amerikanische Rechtssystem ein Minenfeld ist, durch welches man sich mithilfe eines gewieften Juristen hindurchmanövrieren muss, findet man sich ihm erstmal ausgeliefert, ist seit den Tagen des klassischen Film Noir Konsens in Hollywood. Henry Hathaways Kennwort 777 (USA 1947), Elmor Cliftons The Judge (USA 1949), Paul Sloanes The Sun Sets At Dawn (USA 1950) und Alfred Hitchcocks Der falsche Mann (USA 1956) thematisierten Fehlurteile und Korruption in genau jener Nation, der die Rechtssicherheit des Individuums immer besonders wichtig war. Doch das ist nicht wirklich das Anliegen von Michael Crichtons Die Anwältin, lassen die Drehbuchautoren Steve Ransohoff und Bill Phillips es auch hin und wieder anklingen. Doch 1989 war das längst ein Standard aus der Drehbuchschublade - so wie der verhärmte, ultracoole Cop und die unerfahrene und natürlich hübsche Juristin, die privat eh mit einem für sie ganz falschen Kerl liiert ist, etc. pp.
Lange Rede, kurzer Sinn: Der lahme, dialoglastige Thriller trieft vor Klischees, wobei vor allem Theresa Russell das Reden besorgt, während uns Burt Reynold den Eindruck vermittelt, er zähle bis zum Ende der Dreharbeiten nur die Tage. Seine Darstellung, die hin und wieder an seinen Privatdetektiv Shamus McCoy in Buzz Kuliks Der Spürhund (USA 1973) erinnert, rangiert an der Grenze zum Laienschauspiel. Mitunter blitzt zumindest ein wenig Potential auf, – Ned Beatty, Kenneth Welsh, Kay Lenz sehe ich immer gern – aber im Finale wird das Ganze so hanebüchen, dass ich mich nicht zu einer Bewertung mit drei Sternen durchringen konnte. Michel Crichton und Bill Phillips arbeiteten fortan fast nur fürs Fernsehen; Steve Ransohoff schrieb nie wieder ein Drehbuch. Und für keinen einzigen Schauspieler bedeutete Die Anwältin in Sachen Filmkarriere eine Empfehlung. Nicht nur wegen eines Altersunterschieds von über 21 Jahren geht die Chemie zwischen Reynolds und Russell gegen Null. Letztere kehrte im Folgejahr mit Impulse – Von gefährlichen Gefühlen getrieben (USA 1990) wieder in einer Hauptrolle zurück. Aber solcher Neo Noir von Sondra Locke war trotz einer engagierten Leistung Theresa Russells nur geringfügig besser als derjenige von Michael Crichton.
Obgleich die Produktion an der Kinokasse floppte, bei Kritikern und Publikum durchfiel, gibt es international mehrere DVD-Ausgaben davon. Auf keinen Fall sollte man zu der unterm englischen Titel Physical Evidence veröffentlichten DVD (2007) der Power Station GmbH greifen, die zwar ungekürzt ist, den Film aber im falschen Bildformat (4:3 Vollbild) und nur mit der (schrecklichen) deutschen Synchronisation, d.h. ohne Originalton und ohne Untertitel beinhaltet. Alle unterm deutschen Titel Die Anwältin zwischen 2005 und 2009 bei mehreren dubiosen Firmen erschienenen DVDs bieten ebenfalls diese bild- und tontechnisch minderwertige Fassung. Die einzig akzeptable und zugleich beste Ausgabe ist die in den USA via Mill Creek Entertainment erschienene Blu-ray disc (2013), die den Film rundum hochwertig, ungekürzt und im Originalformat, dazu mit Sidney Lumets Der Anderson Clan (USA 1971) in einer Edition präsentiert.