Volker Bruch, Liv Lisa Fries, Lars Eidinger, Fritzi Haberlandt, Karl Markovics
Berlin, Hauptstadt des Deutschen Reichs zur Zeit der Weimarer Republik im April 1929: Im Institut für suggestive Therapie in Berlin-Adlershof behandelt der Psychotherapeut Anno Schmidt (Jens Harzer) den an Kriegstraumata leidenden Kriminalkommissar Gereon Rath (Volker Bruch) mittels Hypnose. Letzterer erinnert sich an seine Heimatstadt Köln, an den Vater, Kriminaldirektor Engelbert Rath (Hanns Zischler), und an seine Einberufung als Frontsoldat im Ersten Weltkrieg. Schmidt möchte den Patienten mit seiner Methode bis zum Ursprung der Angst leiten… Noworschew in der Sowjetunion, 1496 Kilometer vor Berlin: Eine Dampflokomotive zieht ihre Güterwaggons durch dichten Nadelwald, als eine in Flammen stehende Tanne auf die Schienen kippt und die Lokführer (Jesse Albert, Thomas Eickhoff) eine Vollbremsung einleiten. Bewaffnete Männer, meist in Uniformen der Roten Armee, stürmen aus dem Wald und zwingen die zwei Deutschen auszusteigen. Einer namens Boris Wolkow (Oleg Tikhomirov) weist die Eisenbahner an ihre Uniformen auszuziehen, dann würde ihnen nichts geschehen. Ein anderer geht zum Ende des Zuges und stellt eine Weiche um. Zwischen den Bäumen erscheint ein weiterer, von vier Pferden gezogener Güterwaggon, der an den bis dato letzten angekoppelt wird. Inzwischen sind Wolkow und ein zweiter Mann im Führerstand der Lokomotive in die deutschen Uniformen gekleidet und fahren los. Die zurückbleibenden Lokführer werden von den Trotzkisten per Genickschuss hingerichtet…
„So bildgewaltig die Serie ist, so schwer fällt es ihr, die Zuschauer wirklich zu berühren (…) Die Zeit, von der sie erzählt, mag sinnenfreudig gewesen sein, die Serie ist es nicht. Die Welt von Babylon Berlin liegt hinter Glas“, schrieb David Denk im Oktober 2017 für die Süddeutsche Zeitung unter der Schlagzeile So überwältigend und doch so steril über die reihum als Sensation bejubelte, mit 40 Millionen Euro Budget bis heute teuerste deutschsprachige TV-Serie der Nachkriegsgeschichte. Ich zitiere das, denn auch mir erging es so. Die opulente Ausstattung und die Bildsprache nach Vorbildern zeitgenössischer internationaler TV-Serien setzten für bundesdeutsche Verhältnisse tatsächlich Maßstäbe. Das überwiegend dank CGI (Computer Generated Imagery) zum Leben erweckte Berlin der späten 20er Jahre beeindruckt ebenso wie die Sorgfalt bei der Auswahl der Requisiten und die Kameraarbeit. Nicht alle, doch viele Schauspielerinnen und Schauspieler agieren klar über dem Durchschnitt deutscher Fernsehunterhaltung. Mit Mišel Matičević, Benno Fürmann, Fritzi Haberlandt u.a. holte man sich namhafte Talente des deutschen Films im 21. Jahrhundert an Bord. Vor allem sind viele Nebenrollen gut besetzt. Es ist zu keiner Zeit ein Ärgernis den Darstellern zuzusehen. So entstehen an mehreren Stellen wunderbare Einzelsequenzen, die sich jedoch nicht zu einem annähernd hochwertigen Ganzen fügen. Das ist vor allem den Autoren und Regisseuren – Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries – anzukreiden, die es nicht schafften, aus der exquisiten Romanvorlage Der nasse Fisch (EA 2007) von Volker Kutscher eine ebenso erstklassige TV-Serie zu generieren.
Die Protagonistin Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) firmiert in Kutschers Büchern unterm Spitznamen Charly. In der TV-Serie Babylon Berlin wird sie zu Lotte. Es steht beispielhaft für die von den Autoren in ihrer Adaption des Kutscher-Romans gezielt vorangetriebene Einebnung aller Besonderheiten der Vorlage, die zu Erwartbarem und zu Klischees im Fahrwasser eines Heinrich-Zille-Berlins umgemünzt wurden. Warum? Weil TV-Unterhaltung in Deutschland auf Einschaltquoten geeicht ist. Weil man ein Massenpublikum bedient. Gereon Rath ist bei Kutscher weder ein Veteran des Ersten Weltkriegs noch traumatisiert. Bei Tykwer & Co. ist er beides und deshalb morphiumabhängig. Auch führt den Kriminalkommissar kein Missgeschick sondern ein Geheimauftrag von Köln nach Berlin: aus Volker Kutschers Antiheld wird ein Fernsehliebling. Noch schlimmer wurde im Fall Charlotte Ritters verfahren. Plötzlich kommt sie aus ärmsten Verhältnissen (Zille-Berlin) und neben Gelegenheitsjobs im Polizeipräsidium Alexanderplatz ist sie des Nachts eine Prostituierte im glamourösen Nachtclub Moka Efti. Da Johann Marlow und sein Assistent Liang Kuen-Yao, zwei der faszinierendsten Charaktere Kutschers, komplett gestrichen wurden, wird der Club (im Roman das Plaza am Küstriner Platz) vom sogenannten Armenier (Mišel Matičević) geleitet. Mit ihrer Figur fangen die Macher der Serie dann aber wenig an; sie bleibt marginal. Richtig misslungen sind die Lieder für und in Babylon Berlin, die konträr zum Szenenbild der Epoche von vornherein nicht authentisch sein sollten. Die nicht in der Ära verwurzelten, irgendwie jazzigen und doch zu sehr dem Pop und den Klängen des 21. Jahrhunderts nachempfundenen Songs à la Zu Asche, zu Staub sind ein hörbarer und sichtbarer Bruch. Zumindest mich haben sie inklusive der Diskotheken-Choreografie aller Tanzeinlagen immerfort irritiert. So bietet Babylon Berlin, reißerisch und grell, trotz der Opulenz seiner Bilder und trotz feiner Einzelleistungen eben keinen Grund zum Jubeln. Volker Kutscher, der als Autor seiner zwischen 2007 und 2024 erschienenen, zehnbändigen Gereon-Rath-Reihe durch die TV-Serie zusätzlich Aufmerksamkeit und Wertschätzung erhielt, hat sich vom Kosmos der Fernsehadaption höflich distanziert: Es seien verschiedene Welten. Nun, das ist richtig. Leider.
Von Babylon Berlin – Staffel 1 gibt es eine bild- und tontechnisch jeweils erstklassige 2-BD und 2-DVD-Box (2018) der Universum Film GmbH, München, ungekürzt im Originalformat ohne jegliche Untertitel und ohne Extras, wie das für die meisten deutschen Kino- und Fernsehproduktionen leider typisch ist. Zudem ist die erste Staffel auch in ungleich teureren Sammeleditionen beinhaltet, welche auch die zweite Staffel oder sogar alle vier Staffeln von Babylon Berlin (GER 2017-2022) als jeweils BD- oder DVD-Editionen bieten.