Rheingold

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Film Noir Collection Koch Media GmbH


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Bewertung
****
Originaltitel
Rheingold
Kategorie
Neo Noir
Land
GER
Erscheinungsjahr
1978
Darsteller

Rüdiger Kirschstein, Gunther Malzacher, Elke Haltaufderheide, Alice Treff, Reinfried Keilich

Regie
Niklaus Schilling
Farbe
Farbe
Laufzeit
89 min
Bildformat
Widescreen

 


 

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Der Fährhafen Hoek van Holland an der niederländischen Nordseeküste am frühen Morgen: Hier startet täglich der Trans-Europ-Express Rheingold seine Fahrt Richtung Südosten bis hinab nach Genf in der Schweiz. Über Utrecht und Arnheim führt die Strecke, bis in Emmerich, dem ersten Halt in Deutschland, die Lok der Deutschen Bahn angekoppelt wird. Eine Stunde später fährt der TEE auf Gleis 15 in den Düsseldorfer Hauptbahnhof ein. In seinem Abteil bereitet Minibar-Kellner Wolfgang Friedrichs (Rüdiger Kirschstein) routiniert den Servierwagen vor. Er rückt seine Krawatte zurecht, zündet sich eine Zigarette an und und blickt auf den Bahnsteig hinaus. Mit Interesse beobachtet er, wie sich die Diplomatengattin Elisabeth Drossbach (Elke Haltaufderheide) dort von ihrer Mutter (Alice Treff) verabschiedet. Erstere ist regelmäßig bei der alten Dame zu Besuch, seitdem die Karriere auf internationalem Parkett ihren Mann Karl-Heinz Drossbach (Gunther Malzacher) aus dem Rheinland nach Genf zur UNO brachte. Traurig sieht die Mutter ihrer Tochter nach, die hastig in den Zug stieg, doch hinter der bereits geschlossenen Tür selbst etwas melancholisch zurückwinkt. Wolfgang Friedrichs verlässt sein Abteil, schließt es sorgfältig ab und drückt noch seine Zigarette aus, bevor er sich mit dem Servierwagen auf den Weg macht und den Passagieren des Rheingold Getränke und Snacks verkauft. Schon bald erreicht er das Abteil, in dem seine ehemalige Schulfreundin und heutige Geliebte Elisabeth Drossbach inzwischen ihren Sitzplatz einnahm…

 

Ist Elisabeth Drossbach eine Femme fatale klassischen Zuschnitts? Erst einmal erscheint sie dafür zu passiv, zu zart und zu fragil. Zugleich ist ihre Wesensart Motor der Filmhandlung, da sie sich zwischen zwei Männern, von denen sie jeweils profitiert und unter denen sie jeweils leidet, nicht zu entscheiden vermag. In Rückblenden erfährt der Zuschauer, wie Elisabeth unter dem Karrieremenschen Karl-Heinz-Drossbach, der nie nur auf den Gedanken käme, sie wegen einer wichtigen Entscheidung zu Rate zu ziehen oder gar zu fragen, zu verkümmern droht. Zugleich geht ihr Bekenntnis zu Wolfgang nicht über ein leidenschaftliches Verhältnis hinaus, das der Frau um die 40 Gelegenheit gibt, sich sexuell auszuleben und das ihr trotzdem nicht die Stärke verleiht, mit ihrem mehr als wohlhabenden Gatten zu brechen. Auf der Fahrt des TEE Rheingold in die Schweiz kommt es zum Showdown, als am Hauptbahnhof in Bonn Elisabeths Ehemann den Zug besteigt. Nicht aus Misstrauen, wie man denken könnte, sondern weil er aufgrund seiner bevorstehenden Versetzung nach New York in die damalige Hauptstadt der Bundesrepublik beordert wurde. Karl-Heinz Drossbach ist an Bord des Rheingold, der seit 1928 die von Sagen und der Flusslandschaft geprägte Rheinstrecke befährt, allerdings ein Fremdkörper: „Noch immer bedeutet dieser Zug den Reisenden mehr, als mit ihm nur von einer Stadt in die andere zu gelangen.“ So endet der Vorspann des Werks von Autor und Regisseur Niklaus Schilling, und es ist ein für den Film relevanter Satz. Der pralinensüchtige Astrologe (Alfred Baarovy), der Elisabeth ungefragt ein Horoskop erstellt und an den Wahrsager Bartolomaeus Timm (Albert Johannes) in Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns (GER 1946) erinnert. Der steuerflüchtige Erfinder (Reinfried Keilich) obskurer Accessoires des Alltags, der sich aus Deutschland in die Schweiz absetzen will. Der seiner Enkelin (Ulrike Quien) und dem Abteil Clemens Brentanos Mythos der verlockenden Loreley erzählende Großvater (Franz Zimmermann) und die stumme Schöne (Petra Maria Grühn), die Elisabeth nicht aus den Augen lässt. Schilling hat ein Gespür für eigenwillig kauzige Charaktere, mit welchen die Liebenden stets im Einklang sind, bevor der Erfolgsmensch Drossbach aus der Wirklichkeit einbricht und die Ordnung zerstört.

 

„Sie haben Schwierigkeiten mit ihrer Umgebung. Neptun im siebenten Haus… voreilige Verbindungen.“ Auf der Frontseite der DVD-Edition der EMS new media AG findet sich oben links der Hinweis “Thriller“. Tatsächlich gerät Niklaus Schillings romantisch-obsessive Dreiecksgeschichte für eine der Personen zu einer Zugfahrt in den Tod. Womöglich hat sich Jahre später Jim Jarmusch für seinen Spätwestern Dead Man (USA/GER/JPN 1995) davon inspirieren lassen - ein Film, der im Zug beginnt und dann der Liebe wegen mit dem Tod endet. Bei seiner Premiere auf der Berlinale im Februar 1978 ging Rheingold leer aus. Doch wurde Kameramann Ernst Wild im gleichen Jahr mit dem deutschen Filmpreis in Gold ausgezeichnet, die Produktion selbst erhielt den Deutschen Filmpreis in Silber. Obgleich die Geschichte im Laufe eines einzigen Tages spielt, zeichnet Wild in seiner Bildsprache eine bemerkenswerte Licht- und Schattenarchitektur, teils durch Rückblenden begünstigt, teils durch den brillanten Einbezug von Tageslicht und der Zugbewegung. Aus heutiger Sicht wirkt der Film radikal traumverloren und von all der zeitgenössischen, durch den Fleischwolf bundesdeutscher Filmförderung gedrehten und damit auf Fernsehtauglichkeit getrimmten Standardunterhaltung des 21. Jahrhunderts Lichtjahre entfernt. Die 70er Jahre boten nicht nur Rainer Werner Fassbinder, Roland Klick oder Wim Wenders einen idealen Nährboden. Auch der aus der Schweiz eingewanderte Niklaus Schilling konnte sich als ein geachteter Filmschaffender für einige Zeit etablieren.

 

Es gibt weltweit nur eine bild- und tontechnisch allemal solide deutsche DVD-Edition (2001) der EMS new media AG, ungekürzt und im Originalformat mit dem deutschen Originalton und deutschen Untertiteln für Hörgeschädigte. Als Extras gibt es ein Making Of, diverse Filmografien, eine Bildergalerie, den original Kinotrailer und ein Rheingold Special mit vielen Hintergrundinfos zum Film, das sich auf der Website der VISUAL Filmproduktion besser einsehen und lesen lässt. Die Filme Niklaus Schillings kann man auch im Online-Shop vom Deutschen Filminstitut & Filmmuseum e.V. in Frankfurt am Main erwerben, sie sind allerdings kostspielig.

 


Neo Noir | 1978 | International | Niklaus Schilling | Alice Treff

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