Edward Norton, Gugu Mbatha-Raw, Alec Baldwin, Willem Dafoe, Bruce Willis
© Warner Bros.
New York in den 50er Jahren: Der am Tourette-Syndrom leidende Lionel Essrog (Edward Norton) und Gilbert Coney (Ethan Suplee) arbeiten als Assistenten des Privatdetektivs Frank Minna (Bruce Willis) und warten im Stadtteil Hamilton Heights in einem am Straßenrand parkenden Wagen auf ihren Chef. Als Kinder waren sie mit ihren Kollegen Tony Vermonte (Bobby Cannavale) und Danny Fantl (Dallas Roberts) den Züchtigungen im Waisenhaus St. Vincent's Home for Boys in Brooklyn ausgesetzt, aus dem Minna sie befreite. Frank kommt zu Fuß und erklärt den beiden im Wagen durchs Seitenfenster genau, was sie für ihn, der sich jetzt mit einigen Herren treffen wird, zu tun haben. Gilbert möchte wissen, worum es gehe, denn Frank erscheint ihnen entgegen seiner Gewohnheit etwas nervös, aber jener gibt keine Informationen zu dem Fall preis. Frank verlässt sich auf Essrog, der ein fotografisches Gedächtnis hat und begibt sich in eine im dritten Stock gelegene Wohnung eines auf der gegenüberliegenden Straßenseite gelegenen Hauses. Zur vereinbarten Zeit geht Essrog zur Telefonzelle, ruft Frank an, der den Hörer abnimmt und das Telefon in eine halb offene Schublade steckt, so dass Lionel mithören kann. Ein Wagen kommt die Straße entlang, zwei Herren steigen aus, indessen zwei weitere Männer den Hauseingang zu Fuß erreichen. William Liebermann (Josh Pais), sein Assistent Lou (Fisher Stevens) und ein extrem groß gewachsener Schläger (Radu Spinghel) begeben sich zum Treffen mit Private Eye Frank Minna…
“He was more philosophical than your average gumshoe, but he liked to do his talkin' on the move, so here's how it all went down”, erklärt Lionel Essrog, die Erzählstimme des Films den Zuschauern zu Beginn. Aber Frank Minna, von dem hier Rede ist, hat sich mit korrupten Amts- und Würdenträgern eingelassen, die jenseits seiner Kragenweite sind und sich von ihm nicht unter Druck setzen lassen… Der Neo Noir Motherless Brooklyn ist so ziemlich in jeder Hinsicht ein Old-School-Thriller - Lionel Essrog als Erzähler ist nur das Sahnehäubchen. Obwohl es zu erwarten war, hat mich überrascht, in welchem Ausmaß er alte Schule ist und sein will und damit an so unterschiedliche Werke wie Ben Afflecks Live By Night (USA 2016), Steven Soderberghs The Good German (USA 2006) oder Roman Polanskis Chinatown (USA 1974) erinnert. Ursprünglich ist die gleichnamige Romanvorlage (EA 1999, auf Deutsch 2003) aus der Feder Jonathan Lethems in der Gegenwart der 90er Jahre angesiedelt. Es war die Idee Edwards Nortons, der hier als Autor, Regisseur, Produzent und Hauptdarsteller in Personalunion auftritt, sie in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückzuverlegen. In jenen 90er Jahren war Lethem ein aufstrebender, junger Schriftsteller, der mit Motherless Brroklyn, seinem fünften Roman in fünf Jahren, gleich mehrere hochrangige Literaturpreise einheimste und dank fulminanter Feuilleton-Kritiken seinen endgültigen Durchbruch verzeichnete. Und… in jenen 90er Jahren war der junge Schauspieler Edward Norton nach Auftritten in Tony Kayes American History X (USA 1998), in John Dahls Rounders (USA 1998) und in David Finchers Fight Club (USA 1999) ein Shooting Star des jungen, alternativen Hollywoodfilms. Noch im Jahr des Erscheinens des Romans erwarb der 30-jäjhrige Norton die Filmrechte und kündigte an, das Werk auf die Leinwand bringen zu wollen. Erst 20 Jahre später, im August 2019, hatte der Film auf dem Telluride Film Festival, USA, seine Premiere und fand Edward Nortons Herzensprojekt zu einem gelungenen Abschluss.
“The narrative and the characters are so interesting, and the whole theme (…) so riveting that Norton's immensely ambitious film succeeds as a compelling exercise in neo-film noir", schreibt David Stratton für The Australian und ich kann ihm nur zustimmen, ist doch die Liebe zum Detail auf vielen Ebenen dieser Produktion bemerkenswert. So sind die Schauplätze und ihre zeitgemäße Ausstattung durch das Kameraauge Dick Popes (Nicholas Nickleby, UK/USA 2002) auf den Punkt inszeniert, und sogar eine via CGI entstandene Pennsylvania Station (das Bauwerk wurde aufgrund der kommerziellen Interessen von Lobbyisten 1963 abgerissen) überzeugt auf ganzer Linie. Der von Michael Kenneth Williams kongenial personifizierte “Trumpet Man“ ist der Jazzlegende Miles Davis nachempfunden, Daniel Pemberton und Wynton Marsalis sorgten diesbezüglich für einen stimmige Musikbegleitung. Edward Norton liefert in der Hauptrolle eine wunderbar pointierte Einzelleistung ab, und das Ensemble im Ganzen erweist sich als durch die Bank hochwertig. Die von vielen Wendungen und unerwarteten Pointen gezeichnete Handlung, zu Teilen Nortons freier Adaption der Vorlage geschuldet, driftet explizit in Richtung des klassischen Film Noirs nach Erzählungen von Raymond Chandler und Dashiell Hammett ab. Beizeiten etwas langatmig ist Motherless Brooklyn ein für die heutige Zeit ungewöhnliches Stück Erzählkino, das ohne Mätzchen und Effekthascherei eine Geschichte bietet, die nicht gerade neu, aber pointiert und relevant daherkommt.
Es gibt eine jeweils exzellent editierte deutsche BD und DVD-Ausgabe (2020) der Warner Bros. Entertainment GmbH mit dem Film ungekürzt im Originalformal, bild- und tontechnisch einwandfrei, dazu den englischen Originalton und die deutsche Kinosynchronisation, optional Untertitel auf Deutsch, Englisch, Dänisch, Schwedisch, Norwegisch und Finnisch, ein 10-minütges Making of mit aufschlussreichen Details zum Film als Extra. Empfehlenswert!