Jean Gabin, Paul Frankeur, Marcel Bozzuffi, Lino Ventura, Annie Girardot
Paris: Auf dem Platz vor einer Filiale der Banque Nationale Industrielle kauft Frédo (Paul Frankeur) am Kiosk eine Zeitung. Indessen behält er den Eingang der Bank im Auge, aus dem zwei Männer heraustreten. Er geht einige Schritte und gibt dem in einer Nebenstraße an der Ecke stehenden Pépito (Lino Ventura) ein Zeichen. Jener erwartet dort mit Raymond (Jean Bérard) die Ankunft der beiden Geldboten, die jetzt in Richtung der Gangster abbiegen, Frédo direkt hinter ihnen. Pépito gibt das Signal weiter und Louis Bertain (Jean Gabin) fährt mit seinem Wagen vor. In dem Moment, als die Ahnungslosen bei Ihnen ankommen, geht es schnell: Pépito und Raymond bedrohen die zwei mit ihren Waffen und schlagen sie nieder. Zusammmen mit Frédo nehmen sie die Geldklassetten an sich, und ohne einen Schuss abzugeben, rasen die Gauner unter Bertains Führung von dannen. Doch der dreiste Überfall am helllichten Tag bleibt nicht unbemerkt. Der Wirt eines Bistros meldet die Tat der Polizei und schon an der nächsten Ecke pfeift ein Gendarm ihnen hinterdrein. Louis gelingt es, im dichten Verkehr der Metropole unterzutauchen. Als in ihrer Nähe das Martinshorn eines Polizeifahrzeugs hörbar wird, droht Frédo die Nerven zu verlieren. Er drängt Louis, der sie in einem Stau verborgen hält, über den Bürgersteig zu entkommen, doch Pépito raunzt ihn an, endlich Ruhe zu geben. Schließlich gelingt es den vier, in jenen entlegenen, verschlafenen Vorort zu gelangen, wo Louis als Schlupfwinkel der Bande eine Garage besitzt…
Adaptionen der Kriminalromane Auguste Le Bretons waren in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts oft ein Hinweis auf einen konsequent harschen und vollends zuckerfreien französichen Film Noir - mit Jules Dassins Meisterstück Rififi (FRA 1955) als dem bis heute über alle Genregrenzen hinaus bekannten Klassiker und mit Le Bretons Mitwirkung am Drehbuch von Jean-Pierre Melvilles Drei Uhr nachts (FRA 1956) als ebenbürtigem Geheimtipp. Gilles Grangiers Verfilmung des Romans Le rouge est mis (EA 1954) reicht hier nicht ganz heran. Dank seiner herausragenden Besetzung und mit einem flotten Erzähltempo und viel Gespür für seine Rollencharaktere und die Schauplätze inmitten von Paris kann sich dieses Werk jedoch bis heute sehen lassen. Das Wichtigste vorab: Jean Gabin ist in Bestform und zieht das hochkarätige Ensemble mit sich. Lino Ventura, zu dem Zeitpunkt noch ein Filmstar im Werden, wiederholt quasi seine Rollen aus Wenn es Nacht wird in Paris (FRA/ITA 1954) und Razzia in Paris (FRA 1955), wo er jeweils den ebenso impulsiven wie kalten Gangster spielte, und er führt die Figur mit der ihm eigenen Lässigkeit zur Vollendung. Viele der übrigen Charaktere und ihre Schauspieler sind gleichfalls fulminant: Paul Frankeur ist bis in die 70er Jahre aus dem französischen Kino nicht wegzudenken und trat u.a. in Filmen Julien Duviviers, Jean-Pierre Melviles, Marcel Carnés und Luis Bunuels in Erscheinung. Marcel Bozzuffi, in William Friedkins French Connection / Brennpunkt Brooklyn (USA 1971) Fernando Reys rechte Hand fürs Grobe, erweist sich als Gabins willensschwacher, illoyaler Bruder in der geradezu perfekten Rolle. Die unheinmlichen vier / Die Nacht bricht an ist ein französischer Film Noir im Fahrwasser von Jacques Beckers Wenn es Nacht wird in Paris (FRA/ITA 1954) und brachte in vier Jahren die vierte Kollaboration von Gabin und Ventura, denen Kommissar Maigret stellt eine Falle (FRA/ITA 1958) und Der Clan der Sizilianer (FRA 1969) schließlich noch nachfolgten.
So wie Henri Decoin oder Henri Verneuil hat Gilles Grangier bis heute den Ruf, in der zweiten Hälfte der 50er Jahre der Erneuerung des französischen Kinos durch Louis Malle, François Truffaut und Jean-Luc Godard eher im Weg gestanden als solche mitbegründet zu haben. Aber mit derlei Pauschalurteilen tut man solchen Leuten Unrecht. Als erfahrene Autoren und Regisseure waren diese drei mehr als kompetent, sich mit kühlem Blick und dennoch mit Leidenschaft dem Was und Wie einer jeden Filmerzählung zu widmen. Die detailverliebte Weise, in der Gilles Grangier in Die unheimlichen vier / Die Nacht bricht an dem Pariser Leben in Cafés und Bistros und billigen Absteigen eine Bühne gibt, ist für mich der tiefere Genuss dieses allemal spannenden und von glaubwürdigen Charakteren geprägten Film Noirs, der gleich auf mehreren Ebenen mit Überraschungen aufwartet, noch bevor der Zuschauer dem Abspann folgt. Wie so viele Film-Noir-Klassiker aus Frankreich ist auch dieser, der einst auch in Deutschland und in Österreich im Kino lief, hierzulande längst in Vergessenheit geraten und harrt seiner Wiederentdeckung.
Unter dem Originaltitel Le rouge est mis gibt es via Gaumont Vidéo eine erstklassige französische BD und auch DVD (2011) mit dem Film ungekürzt (85 Minuten und nicht 95, wie in einigen Quellen online behauptet) im Originalformat, bild- und tontechnisch exzellent restauriert, dazu Dominique Maillets 58-minütige Dokumentation Gabin-Grangier-Audiard: Le film noir à la française und den original Kinotrailer als Extras. Wie fast immer gibt es dazu nur den französischen Originalton und optional französische Untertitel.