Daniel Gélin, Hildegard Knef, Jean Lefebvre, Daniel Sorano, Frédéric O‘Brady
Der Hamburger Hafen an der Unterelbe im Jahr 1943: Französische Kriegsgefangene hantierten unter Aufsicht deutscher Wachsoldaten mit Schubkarren, fuhren Bauschutt und Sand über eine Großbaustelle. Einer von ihnen war Pierre Louviers (Daniel Gélin), der regelmäßig von der vorbeigehenden Maria Müller (Hildegard Knef) mit Zigaretten versorgt wurde. Selbst wenn sie auf ihn geschossen hätten, erinnert er sich, hätte er sich der Frau, zu der er in Liebe entbrannt war, doch genähert. Jeden Gedanken an Flucht hatte er, der sich ans monotone Leben in Gefangenschaft gewöhnt hatte, längst aufgegeben, als Maria eines Tages eine Brosche verlor und er sie an sich nahm. Doch die Zeit hatte sich gegen sie verschworen… 15 Jahre später kehrt Pierre als Maschinist auf einem Frachtschiff nach Hamburg zurück und geht mit den Seeleuten Jean-Marie (Daniel Sorano) und Georges (Jean Lefebvres) auf Landgang. Am nächsten Morgen wird ihr Schiff um 6:00 Uhr früh auslaufen, und Pierre, der aufgrund seiner Kriegsgefangenschaft etwas Deutsch spricht, vereinbart mit dem Bootsführer, dass er die drei um 5:30 Uhr in der Frühe am Quai abhole. Pierre ist in sich gekehrt, wundert sich über die Veränderungen in dem Hafen, der damals ganz anders ausgesehen habe. Georges mag diese Art an ihm nicht sonderlich und neckt ihn deswegen, doch Pierre erbittet sich von seinen Freunden zwei Stunden Zeit. Er möchte Maria Müller finden und begibt sich per Tram bis zur Stadthausbrücke und von dort in die Wilhelmstraße, wo er die Nr. 18 sucht…
”La fille de Hambourg feels like a pastiche of Allégret’s early film noirs – it has all the ingredients of the director’s greatest films, but it looks as if Allégret has forgotten the recipe”, schreibt Pat Travers in seiner Besprechung des Werks für French Films. Ich kann die Einschätzung gut nachvollziehen, teile sie überwiegend auch. Erstmal ist aber ungewöhnlich, dass eine französische Produktion zur Gänze in Hamburg und damit im Ausland angesiedelt ist, so wie Carol Reeds britischer Klassiker Der dritte Mann (UK 1949) in Wien, Österreich, und Jules Dassins US-amerikanischer Film Noir Die Ratte von Soho (USA 1950) in London, England, gedreht wurden. Die ersten 20 Minuten sind atmosphärisch dicht, von Kameramann Armand Thirard (Die Teuflischen, FRA 1955) gut eingefangen, der den Film insgesamt veredelt. In der 23. Minute trifft Pierre Louviers Maria Müller wieder, welche wir zuvor nur in der zweiten Minute des Films für wenige Sekunden sahen. Exakt zu dem Zeitpunkt, da die Geschichte Fahrt aufnehmen sollte, geht es mit dem Film jedoch bergab. Fortan liegt Pat Travers leider richtig. Die Drehbücher für Yves Allégrets Filme der späten 40er schrieb u.a. Jacques Sigurd. Er verlieh den Geschichten die Dramaturgie und den Biss, den sie brauchten. Davon ist trotz Beteiligung Frédéric Dards, der im gleichen Jahr als Verfasser der Romanvorlage und als Drehbuchautor für Édouard Molinaros Mit dem Rücken zur Wand (FRA 1958) deutlich besser war, nichts zu merken. Daniel Gélin ist zwar der richtige Darsteller für Das Mädchen aus Hamburg, aber sein Pierre entpuppt sich als unfreundlicher und aggressiver Macho, der nach 15 Jahren aus dem Nichts auftaucht und Maria Müller, seine damals 17-jährige, platonische Liebe, wie einen Besitz behandelt. Hildegard Knef verkörpert einmal mehr die desillusionierte, allemal coole Frau der Großstadt, ein Geschöpf der Nacht und der Nachtclubs, in Hamburg Zuhause und doch entwurzelt. Sie tut es routiniert und bleibt glaubwürdig, ist aber nie herausragend.
„Die feinfühlig in Szene gesetzte Liebestragödie ist in den Ruinen dieses von den Verleihern um rund 30 Minuten gekürzten Streifens noch erkennbar“, schreibt Andreas Schneider in seiner Rezension des Films für Vivàsan Pictures, in der er aus seiner Enttäuschung über die finale Kinofassung keinen Hehl macht. Auch mir ging die holprige und abrupte Erzählweise gegen den Strich, die das Finale aufgesetzt und übertrieben erscheinen lässt. Schon 1959 hatte sich Hildegard Knef in einem Interview zu Recht über die Verstümmelung des Films beklagt und ihrem Ärger Luft gemacht. Mit Die Schenke zum Vollmond (FRA 1948) hatte Yves Allégret einst eine ähnliche Filmgeschichte inszeniert, in der Hauptrolle Simone Signoret als in Antwerpen, Holland, lebende Prostituierte Dédée, die mit dem Schiffskapitän Francesco (Marcello Pagliero), Seemann aus Italien, in eine stürmische Liebesaffäre schlittert, die sich für beide als gefährlich erweist… Aber der 10 Jahre zuvor erschienene Film Noir geriet Allégret zum Meisterstück. Ebenfalls stand Marcel Carnés Klassiker Hafen im Nebel (FRA 1939) für das Hamburger Drama Pate, darin in einer einzigen Nacht in Le Havre die Liebe zwischen Jean Gabin und Michèle Morgan aufflammt und mit Anbruch des Tages für immer erlischt. Fazit: Womöglich gab es in jener ungekürzten, ursprünglichen Version von Das Mädchen aus Hamburg mehr als das bisschen Potential, das man dem Werk vereinzelt ansieht. Am Ende ist dessen Kinofassung nur eine irrelevante Fußnote des europäischen Film Noirs, mehr nicht.
Eine französische DVD-Ausgabe (2012) der LCJ Editions Productions beinhaltet das Werk als La fille de Hambourg bild- und tontechnisch solide in der (mit 86 Minuten) ungekürzten Kinofassung und im Originalformat, mit französischem Originalton und mit optional französischen Untertiteln. Hierzulande scheint das Werk, das auch im Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland zu sehen war, so gut wie vergessen.