Phillip Reed, Hillary Brooke, Robert Lowery, Veda Ann Borg, Byron Barr
© Paramount Pictures Corp.
In einem Nachtzug in Richtung Big Town trifft der Reporter Steve Wilson (Phillip Reed) des Morgens beim Rasieren seinen Bekannten Willard Erskine (John Dehner). Letzterer wundert sich, wähnt er Wilson doch in New York, wo jener als Sensationsjournalist ein Auskommen fand und eine Reputation erwarb. Steve fragt Willard seinerseits, warum er nicht in Chicago sei und Melodien für Werbejingles komponiere. Der gibt ihm zu verstehen, dass er inzwischen einer ehrbaren Berufung nachgehe und selbst Lieder für Werbespots einsinge. Daraufhin teilt Wilson seinem Kumpel Erskine mit, dass in Big Town die Tageszeitung The Illustrated Press von einem gewissen Amos Peabody (Charles Arnt) übernommen worden sei. Der habe ihn angerufen und ihm den Posten als Chefredakteur angeboten. Bei dessen fünftem Versuch habe er zugestimmt. Solches veranlasst Willard zu einem sarkastischen Kommentar, dass nämlich Peabodys Zeitung in einem schlechten Zustand sein müsse, wenn sie nach einem “News Doctor“ wie Wilson verlangte, als der Zug unter Getöse schlagartig zum Halten kommt und die Passagiere wie Puppen durch die Luft geschleudet werden. Steve und Willard bleiben unverletzt, aber ein Junge klagt über sein Bein. Mit einer Kleinbildkamera bewaffnet stürmt Steve Wilson hinaus und schießt Fotos. Kurz darauf steht er bei einem Bahnhofsvorsteher (Will Wright) im Büro und lässt sich mit Big Town verbinden, wo er The Illustrated Press verlangt, um das Zugunglück zur Schlagzeile zu machen…
”I am too old to be bitter and too hungry to be a crusader.” Daniel Mainwaring schrieb nach seinem unter dem Pseudonym Geoffrey Holmes veröffentlichten Roman Build My Gallows High (EA 1946) das Drehbuch zu Jacques Touneurs Goldenes Gift (USA 1947), zu einem der besten Film Noir-Klassiker seiner Zeit. Maxwell Shane ist unter Connaisseuren des Film Noirs als Autor von Fear In The Night (USA 1946) bekannt. Er legte mit Die gläserne Mauer (USA 1953), bei dem er auch Regie führte, einmal mehr ein hochwertiges Skript vor. Auch das Ensemble von Big Town, dem ersten von vier B-Produktionen der Paramount Pictures Corporation nach der damals populären CBS-Hörspielreihe im Rundfunk, ist erwähnenswert: u.a. Hillary Brooke, John Dehner und Harry Cheshire sind zu sehen, und der Autor und Regisseur Blake Edwards (Der letzte Zug, USA 1961) tritt in einer winzigen Nebenrolle auf. Es könnte sich also um einen Geheimtipp handeln, vergleichbar anderen Kinoproduktionen nach Serienformaten im US-Radio, etwa jenen um den mit Richard Dix grandios besetzten The Whistler (USA 1944 - 1948), der es auf acht knapp einstündige Filme brachte. Aber das ist leider nicht der Fall. Im Gegenteil! Solches Entree in die mit Phillip Reed und Hillary Brooke bis 1948 in allen vier Filmen besetzten Serie, die jeweils von Mainwaring und Shane geschrieben wurden, ist eigentümlich missglückt. Ich drücke mich bewusst höflich aus, gerade weil ich es nicht fassen konnte, wie holprig und lächerlich die Geschichte um den Aufstieg von The Illustrated Press voranschreitet. Es ist qualvoll zu sehen und zu hören, was für ein Bierdermann und Besserwisser Steve Wilson ist, was für ein spießbürgerlicher, zugleich amoralischer Profiteur der Schattenseiten des Überlebenskampfes und der mit ihm verbundenen Verbrechen in Big Town. Obendrein ist befremdlich, dass ein Film der Paramount Pictures Corporation derart miserabel inszeniert und dergestalt dilletantisch geschnitten wurde.
© Paramount Pictures Corp.
“This is a (…) rather drearily handled and over-familiar 1946 B-movie film noir crime thriller story (…) and there’s not a really fresh performance or truly brand new idea in sight”, schreibt der sonst optimistische und gnädige Derek Winnert und liegt mit seiner Einschätzung zu 100 % richtig. Genaugenommen ist Hillary Brooke die und das Einzige, was Big Town mit seiner Laufzeit von lediglich 1 Stunde erträglich werden lässt. Was die Geschichte besonders in ihrer zweiten Hälfte aus dem Ruder laufen lässt, sind Sprünge in der Entwicklung der Filmhandlung, demnach vieles gar nicht auf der Leinwand stattfindet. Im Finale kommt es dann zu einem Selbstmord in einer Gefängniszelle. Jeder weiß, dass der bis zum Rufmord ehrgeizige Sensationsjournalist Steve Wilson daran die Hauptschuld trägt. Mit einer Hetzkampagne trieb er einen Unschuldigen in den Freitod. Er gibt sich geschlagen und zeigt sich einsichtig. Plötzlich aber tauchen seine Mitarbeiter und Amos Peabody bei ihm auf. In ca. 30 Sekunden können sie ihn davon überzeugen, dass er im Grunde ein toller Kerl sei und man einfach nochmals von vorn beginnen solle. Ruckzuck erfreuen sich alle wieder ihres Arbeitseifers und des Lebens im Allgemeinen... Ich schreibe das selten, aber Big Town ist kein Filmklassiker sondern unfassbarer Schrott, wie er zu allen Zeiten des Filmschaffens seinen Weg ins Kino fand (und findet).
Es gibt eine US-amerikanische DVD-Edition (2016, codefree) der Alpha Video Distributor, Inc. mit dem Film ungekürzt im Originalformat, bild- und tontechnisch katastrophal, also in keiner Weise restauriert, mit der original englischen Tonspur ohne Untertitel und mit zwei Episoden der dritten Staffel der TV-Serie Big Town (USA 1950 - 1956) als Bonus-Features.