Daniel Auteuil, Olivia Bonamy, Catherine Marchal, Francis Renaud, Gérald Laroche
Marseille, Frankreich: Louis Schneider (Daniel Auteil) sitzt eines Nachts volltrunken in einem Linienbus und zündet sich unerlaubt eine Zigarette an. Als er feststellt, dass der Bus nicht in Richtung seiner Wohnung fährt, geht er zum Fahrer (Jean-Claude Lagniez) und zwingt ihn mit vorgehaltener Waffe zur Umkehr. Ein Fahrgast alarmiert per Handy die Polizei, die den Bus stoppt und mit großem Aufgebot die vermeintlichen „Geiseln“ von dem Betrunkenen befreit… Bei seinem Arbeitgeber, der Kriminalpolizei von Marseille, ist der im Rang eines Captains stehende Polizeioffizier Louis Schneider längst aktenkundig. Bei einem Verkehrsunfall starb seine Tochter und seine Frau Mathilde (Christine Chansou) liegt seither im Wachkoma. Diese Tragödie hat Schneider, inzwischen harter Alkholiker und Kettenraucher, nie verwunden. Als exzellenter Polizist leitet er mit seinem Kollegen Lt. Georges Matéo (Gérald Laroche) die Untersuchung einer Mordserie an reichen und alleinstehenden Frauen. Doch jetzt kann auch die Schneider wohlgesonnene Marie Angéli (Catherine Marchal) nicht verhindern, dass der Kollege Jumbo (Moussa Maaskri) von der Internen Revision den Vorfall mit dem Linienbus zwar unter den Tisch fallen lässt, jedoch Schneider seine Dienstwaffe abnimmt und zum nächtlichen Beschwerdedienst an den Schreibtisch versetzt… Indessen erfährt die vor 25 Jahren durch den grausam brutalen Mord an ihren Eltern schwerst traumatisierte Justine Maxence (Olivia Bonamy), dass der für die Tat zu lebenslanger Haft verurteilte und inzwischen 68jährige Charles Subra (Philippe Nahon) auf eine vorzeitige Entlassung hoffen darf…
„MR73 ist Olivier Marchals dritte Regiearbeit und (…) die Welt, die er porträtiert, ist brutal, korrupt, unmoralisch und ganz und gar hoffnungslos, ihre Helden sind im Innersten verwundet und von Hass zerfressen“, schreibt Jochen Werner für F.LM - Texte zum Film, als wolle er den Kanon des Neo Noirs in einem Atemzug zur Gänze umfassen. Tatsächlich ist MR 73 derart tief im Film Noir verwurzelt wie kaum ein zweites europäisches Werk seines Jahrzehnts. Wer seinen Film Noir konsequent auf den Punkt und an entscheidenden Stellen einer Wendung frei von Stereotypen sehen möchte, ist mit MR 73 gut bedient. Einerseits kennt und erkennt man einige Rollencharaktere in diesem Film. Der hartgesottene und vollends kaputte Polizeibeamte, - Louis Schneider - ein grauer, müder Leitwolf inmitten einer Herde jüngerer und gieriger Nachfolger, lauter eiskalt korrupter Kollegen, die sich in keiner Weise von den Verbrechern unterscheiden, die sie verfolgen und der Justiz ausliefern sollen. Dann gibt es die Frau, - Marie Angéli - die sich aufgrund einer unmöglichen Liebe selbst bestraft und der sexuellen Gier eines Anderen ausliefert, usw. Zugleich unterläuft Olivier Marchal aber mit einer cleveren und nachgerade epischen Anlage seines Films die Erwartungen des Zuschauers an einen Thriller und tut es mit bemerkenswertem Erfolg. Wenn ein enttäuschter Kitiker bemängelt, jener hätte sich auf einen Handlungsstrang fokussieren sollen, anstatt derer zwei ineinander zu weben, ist es ein Zeugnis jener Komplexität, an der Marchals Werk, wie ich finde, jedoch wächst und nicht scheitert. Dass nämlich die Suche nach einem Mörder oder das Motiv der Rache entweder gar nicht im Zentrum des Films oder zeitversetzt in einem anderen Kontext stehen, öffnet dieses Drama zum Abgrund des Lebens seiner Protagonisten und lässt die Zuschauer daran teilhaben. MR 73 ist dadurch nicht trivial und kein Thriller von der Stange, sondern ernstzunehmend harte Kost.
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„Mit MR 73 ist Olivier Marchal ein fulminanter und sehr düsterer Neo-Noir gelungen“, fasste es Joachim Kurz für kino-zeit.de zusammen und gibt anschließend seinem Erstaunen Ausdruck, dass der Film in Deutschland im Kino nie zu sehen war, sondern erst zwei Jahre nach seiner Premiere als BD und DVD erschien. In Frankreich brachte 36 - Tödliche Rivalen (FRA 2004) dem Autor und Regisseur Olivier Marchal den Durchbruch, aber jener bleibt mit seiner zuckrigen Musik, einem unerträglich faden Gérard Depardieu und dem banalen Schluss meilenweit hinter MR 73 zurück. Wie in der ganzen Neo-Noir-Trilogie, die Marchal einst mit Gangsters (FRA/BEL 2002) begonnen hatte, arbeitet er hier wiederholt mit erstklassigen Darstellern aus der zweiten Reihe - Guy Lecluyse, Francis Renaud und Catherine Marchal, Ehefrau des Regisseurs, sind in allen drei Filmen vertreten. Selbst ehemals ein Polizeibeamter zählt Olivier Marchal mit MR 73 zu den großen Vertretern französischen Neo Noirs, dem er damit Film einen Meilenstein in der Tradition Jean-Pierre Melvilles und Alain Corneaus hinzufügte. MR 73 ist allemal ein brutales und deprimierendes Werk, oft an der Schmerzgrenze, jedoch unbedingt sehenswert und unvergesslich.
Sehr gute BD- und DVD-Ausgaben (2010) der EuroVideo Bildprogramm GmbH mit dem Film ungekürzt im Originalformat, wahlweise den französischen Originalton und eine (keinesfalls empfehlenswerte, im Vgl. zu den Originalstimmen absurd entstellende) deutsche Synchronisation, dazu wahlweise deutsche Untertitel sowie ein Making Of als Extra.