Film Noir
| USA
| 1951
| Joseph Losey
| Hal Mohr
| Emile Meyer
| Howard St. John
| Howland Chamberlain
| John Drew Barrymore
| Preston Foster
| Robert Bice
| Joan Lorring
Bewertung
****
Originaltitel
The Big Night
Kategorie
Film Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1951
Darsteller
John Barrymore jr., Preston Foster, Joan Lorring, Howard St. John, Dorothy Comingore
Regie
Joseph Losey
Farbe
s/w
Laufzeit
72 min
Bildformat
Vollbild
© United Artists Corporation
Der 17jährige George (John Barrymore jr.) wird von mehreren Halbwüchsigen gehänselt, weil er noch nie einen Kuss erhalten habe und auch das blonde Gift Mike verweigert ihm einen. Nach Schlägen und Spott trottet der Junge in Handy Andy’s Bar & Grill, ein Lokal, das sein Vater Andy La Main (Preston Foster) betreibt und wo der Halbwaise mit ihm und Barkeeper Flanagan (Howard Chamberlain) seit 16 Jahren unter einem Dach wohnt. Hier isst er sein an der Theke zu Abend und liest den Sportteil der Zeitung, indessen sein Vater ihn mit einem Geburtstagskuchen überrascht. Georges Freude darüber ist gering, das Verhältnis von Vater und Sohn ernst und getrübt, doch bläst der junge Mann die Kerzen aus, wie ihm geheißen. Nur eine brennt weiterhin… In dem Augenblick betritt der einflussreiche Sportkolumnist Al Judge (Howard St. John) mit zwei Leibwächtern das Lokal und fordert den alten La Main auf hinterm Tresen hervor zu kommen. Vor dem Sohn und Flanagan und vor allen Gästen muss Andy La Main sein Hemd ausziehen, wird nun erst zum Niederknien gezwungen und dann von Al Judge mit dem Spazierstock solange geschlagen, bis er zusammenbricht. Flanagan versorgt den zerfetzten Rücken seines Chefs, George wirft die Gäste hinaus, der Alte schleppt sich in sein Bett. Doch als der Junge in seiner Verzweiflung die Kneipe abschließt und das Kassengeld holt, entdeckt er einen Revolver, den er sich in die Hosentasche steckt. Kurz darauf entfleucht er in die Nacht…
Joseph Losey war einer der streitbaren Geister mit einem Menschenbild und einer Weltanschauung, die ihn mit jener erzkonservativen Welle der Politik in den USA der Spätvierziger in Konflikt brachte. Noch mehr als im Fall von Orson Welles oder John Huston zeigen Loseys frühe Filme die Handschrift des Autorenfilmers, was mit Blick auf die Drehbücher, an denen er beteiligt war, nicht unlogisch scheint. Demgegenüber waren die 50er stets die Ära der großen Studios, die in Regisseuren und Autoren Angestellte sahen, deren Filme als Auftragsarbeiten aufgefasst wurden. Wie Jules Dassin und John Berry musste Losey sein Heimatland während der McCarthy-Ära verlassen und arbeitete danach ein Leben lang im englischen Exil. Die Nacht der Wahrheit ist ein Film Noir aus der Frühphase seines Schaffens und zählt zu den fünf US-Produktionen im Werkskanon des mit der Harold-Pinter-Verfilmung Der Diener (UK 1963) zu Weltruhm gelangten Künstlers. Besonders Dem Satan singt man keine Lieder (USA 1951), der seit 2011 in einer von der Film Noir Foundation restaurierten Fassung vorliegt, bewies die Schärfe und die Härte von Loseys Sicht auf die Gesellschaft der USA in jener Zeit des Umbruchs. An diesen Höhenflug reicht der exzellent besetzte und von Kameramann Hal Mohr in stimmungsvolle Bilder getauchte Die Nacht der Wahrheit nicht heran. Aber auch hier geht es um Demütigung und Willkür, um Jung und Alt, um Schwarz und Weiß, um Gewalt und Unterwerfung in der Tradition jener Sozialdramen aus Hollywood, wie sie Mitte der Dreißiger en vogue waren und 1951 vom House Commitee on Unamerican Activities (HUAC) und damit indirekt vom FBI unter J. Edgar Hoover konsequent ausgemerzt werden sollten.
Loseys Film Noir spielt nicht in der glamourösen Oberschicht und nicht im bieder patriotischen Mittelstand. Wie in Nicholas Rays Im Schatten der Nacht (USA 1948) oder in John Berrys Steckbrief 7-73 (USA 1951) sind es die mittellosen Einzelgänger, die von der Wohlstandsgeselschaft vergessenen und an ihrem Rand platzierten Figuren, denen die Bühne bereitet wird. Das Publikum wird Zeuge ihres verschwitzten und zähen Kampfes ums Überleben, zu dem die Wahrung eines letzten Rests von Würde so notwendig ist wie für den Schiffbrüchigen auf offener See die Planke. Die Nacht der Wahrheit ist frei von Frohsinn und Feierlaune, selbst wenn sie in den Etablissements, die sich der Zerstreuung und Unterhaltung verschrieben, mit Macht herbeizitiert werden sollen. Wie in späteren Filmen Loseys ist die Atmosphäre bedrückend, klingen aller Worte bitter und harsch, werden die inneren Verletzungen im Licht der Systeme von Kommunikation allen Blicken zugänglich. In diesem Sinne ist Die Nacht der Wahrheit so sehr Anti-Hollywood, wie das im Rahmen der Produktionsbedingungen seiner Zeit noch möglich war. Für den Film Noir Teuflisiches Alibi (UK 1957) nutzte Joseph Losey erneut ein Vater-Sohn-Verhältnis als Spiegel seiner eindrücklich klaren Sicht auf die Mechanismen von Herrschaft und Unterdrückung inmitten einer westeuropäischen Wirtschaftsmacht mit ihrem Heiligenschein der ausentwickelten Demokratie.
Die erste digitale Veröffentlichung des Films (2008) war jene in der 8-DVD-Box The Joseph Losey Collection durch die Optimum Releasing Ltd. / Studiocanal. Seit 2012 gibt es eine einzelne australische DVD (RC 4) mit dem Film ungekürzt und im Originalformat, bildtechnisch sauber restautriert, ohne Untertitel und ohne Extras.