Lino Ventura, Marlène Jobert, Michel Constantin, Paul Crauchet, Alain Mottet
Paris: Ein Mann (François Jaubert) auf der Flucht hetzt mit einer Pistole bewaffnet durch die Straßen. Als Passanten auf einem Wochenmarkt versuchen ihn zu überwältigen, erschießt er sie und rennt weiter. Sobald er über einen Bauzaun klettert, wähnt er sich in Sicherheit, aber schon erklingt die Sirene eines Polizeiwagens, und auf einer Brachfläche wird er von Inspektor Marceau Leonetti (Lino Ventura) mit mehreren Schüssen getötet. Leonetti hat in der Pariser Polizei längst einen Ruf. Er ist erfolgreich, aber nie zimperlich, und er liefert von ihm inhaftierte Personen oft mit Blessuren ab. Als er eines Abends nach Hause fährt sieht er auf einem Rondell Henri de Fayac (Paul Beauvais), Sohn eines Staatsanwalts, in einem Mercedes Benz 300 SL mit offenen Flügeltüren im Kreis fahren, während seine Verlobte Thelma (Aude Olivier) ihm etwas zuruft. Leonetti folgt dem Wagen und zwingt ihn zum Halten. Indessen der betrunkene Junggeselle mit Mühe aussteigt, schlägt er sich an einer der Flügeltüren den Kopf an. Auf der Fahrt ins Präsidium gibt Thelma Leonetti zu verstehen, dass er ihr das Leben gerettet habe, demgegenüber ihm Henri mit seines Vaters Einfluss und mit Konsequenzen droht. Kurz darauf wird Leonetti zu seinem Vorgesetzten Arnold (Albert Dagnant) zitiert. Jener erklärt ihm, dass Staatsanwalt de Fayac mit Kenntnis von Leonettis Akte wegen des Vorfalls Beschwerde eingereicht habe. Arnold versetzt den Inspektor Leonetti in das Commissariat du XVIII, wo er fern vom Hauptstadttrubel vorerst kaltgestellt scheint…
“French neo-noir was also inebted to crime literature (…) that showed a more explicit concern with social and political issues (…) and with a clear, if complex, relationship to American neo-noir“, formuliert Andrew Spicer in seinem Historical Dictionary of Film Noir (EA 2010) und erwähnt unter anderem auch José Giovannis Dernier domicile connu, wie der Film im Original betitelt ist. Absurd mutet in dem Zusammenhang allerdings die Biographie des Autors und Regisseurs an, der während des Zweiten Weltkriegs, also während der Besetzung Frankreichs durch die Nationalsozialisten, mit den Deutschen kollaborierte und mit ihrer politischen Ideologie sympathisierte. Nach dem Krieg wurde er für drei Morde, die er als Mitglied einer kriminellen Bande beging, zum Tode verurteilt, entkam jedoch der Todesstrafe und wurde 1956 nach etwas über 11 Jahren Haft entlassen. Ein Jahr später erschien sein Roman Le trou (EA 1957), dem kurz darauf Le deuxième souffle (EA 1958) und Classe tous risque (EA 1958) folgten. Alle drei Werke wurden verfilmt, alle drei von namhaften französischen Regisseuren ihrer Zeit - von Jacques Becker, Claude Sautet und Jean-Pierre Melville. Sowohl in Der Panther wird gehetzt / Volles Risiko (FRA/ITA 1960) nach Classe tous risque als auch in Der zweite Atem (FRA 1966) nach Le deuxième souffle spielte Lino Ventura die Hauptrolle, ebenso in José Giovanis zweiter Regiearbeit Im Dreck verreckt (FRA/ITA/MEX 1968). Der Neo Noir Der Kommissar und sein Lockvogel / Die letzte Adresse war sein dritter Film als Regisseur. Das Drehbuch schrieb Giovanni nach Joseph Harringtons Roman Die lautlose Jagd (EA 1966), im Original The Last Known Address. Das Resultat ist ein dramaturgisch zupackender und von Anbeginn vollends desillusionierter Neo Noir mit einem fulminanten Portrait der Metreopole Paris durch Kameramann Étienne Becker und mit einer exquisiten Besetzung in den Haupt- und in vielen der Nebenrollen.
“The suspense is built in and the noir atmosphere and downbeat ending make the film seem fresh despite its age“, schlussfolgert Dan Willard für Films by the Year und liegt vollends richtig. Für mich zählt das Werk zum Kernbestand der Filme Lino Venturas, obgleich es heute international nur wenig bekannt und bis dato außerhalb Frankreichs nicht auf BD oder DVD veröffentlicht wurde. Die Chemie Marlène Joberts mit Lino Ventura ist bemerkenswert; die quälend endlose Ermittlung und die von Zynismen und berufsmäßiger Kälte gezeichnete Atmosphäre im Staatsapparat bilden den perfekten Rahmen für einen Neo Noir, der nicht nur historisch in der Nachbarschaft von William Friedkins French Connection / Brennpunkt Brooklyn (USA 1971) oder Claude Sautets Das Mädchen und der Kommissar (FRA/ITA1971) angesiedelt ist. José Giovanni wollte später nicht, dass seine Verbindung zum Faschismus und seine harte kriminelle Vergangenheit publik würden. Allemal seine Verbindung zum Nationalsozialismus in jungen Jahren mutet mit Blick auf den fast nihilistischen und definitiv systemkritischen Tenor des Films seltsam widersprüchlich an. Wer heute einen Neo Noir sucht, der jenseits von Meisterstücken Jean-Pierre Melvilles das typisch Französische jener Zeit exemplarisch zur Geltung bringt, ist mit Dernier domicile connu stets bestens beraten.
Eine französische DVD-Edition (2006) von Gallimard bringt den Film in deren Série Noire bild- und tontechnisch einwandfrei, auch ungekürzt im Originalformat mit dem original französischen Ton ohne andere Tonspuren und ohne Untertitel, typisch für französische Veröffentlichungen, dazu den Kinotrailer als Extra.