Schwarzer Kies

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Psychologische Verteidigung


Concorde Home Entertainment


Eddie Muller


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Film Noir Collection Koch Media GmbH


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Bewertung
****
Originaltitel
Schwarzer Kies
Kategorie
Post Noir
Land
GER
Erscheinungsjahr
1961
Darsteller

Helmut Wildt, Ingmar Zeisberg, Hans Cossy, Wolfgang Büttner, Anita Höfer

Regie
Helmut Käutner
Farbe
s/w
Laufzeit
115 min
Bildformat
Widescreen

 


 

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Das Dorf Sohnen liegt in der Pfalz und hat 520 Einwohner. In der Nähe befindet sich jedoch ein Luftwaffen-Stützpunkt der US-Armee, der aktuell zur Raketenbasis erweitert wird, und die 6000 Soldaten und ihre 3000 Angehörigen bringen Geld und Unruhe nach Sohnen... Am Schlagbaum zur Baustelle warten an einem tristen Herbsttag mehrere Lkw-Fahrer, um vom G.I. Bill Rodgers (Peter Nestle) einen gestempelten Lieferschein für den schwarzen Kies zu erhalten, der eine gewaltige Baugrube füllt. Als ein Dalmatiner am Wagen von Robert Neidhardt (Helmut Wildt) hochspringt, steigt jener aus und wirft ein Steinchen, damit der Hund davonrennen und den Weg freimachen kann. Aber ein anderer Fahrer wirft einen weit größeren Stein und erschlägt den Hund, der tot liegen bleibt. Bill Rodgers haut ihm die Faust ins Gesicht, und während die beiden Männer sich prügeln, nutzt Aufseher Otto Krahne (Wolfgang Büttner) die Gelegenheit, mehrere von Roberts Blanko-Lieferscheinen abzustempeln. Die Deutschen bereichern sich am Kies der US-Amerikaner, den sie stehlen, andernorts lagern und verkaufen. Neidhardt nimmt der Hundeleiche das auffällige Halsband ab und entsorgt sie in die Grube, wo sie unterm Kies, den ein Lkw soeben ablädt, im Nu begraben ist… Es ist Abend und Robert Neidhardt hält auf einer Landstraße neben dem Wagen des US-Majors John Gaines (Hans Cossy), der mit seiner Ehefrau Inge Gaines (Ingmar Zeisberg) gerade erst auf dem Stützpunkt angekommen ist und eine Motorpanne hat…

 

"Käutners Film noir als schonungsloses Porträt der jungen Bundesrepublik“, liest man auf dem Rücken der DVD-Edition (2017) der Concorde Entertainment GmbH. Ja, das ist wohl richtig. Aber Schwarzer Kies ist kein Meisterwerk, bei weitem nicht. In der Bundesrepublik Deutschland regierte 1961 stets Konrad Adenauer, und dafür ist das allemal ein ungewöhnlicher Kinofilm. Ich hätte gute Gründe, ihn mit lediglich 3 Sternen zu bewerten, und ich habe gute Gründe, dass ich es nicht getan und ihm stattdessen 4 gegeben habe. Ich war und ich bin in einem Zwiespalt, und das muss ich erläutern. Der Film erzählt eine Geschichte, die sich lohnt anzusehen. Wie von der ersten Szene bis zur Schlusssequenz sich über die Strecke von 115 Minuten (in der Premierenfassung) ein roter Faden durchzieht, der die Zuschauer bei der Stange hält, ist bemerkenswert und jenseits der Routine, die man dem damals 53jährigen Helmut Käutner allemal zugesteht. Neben Robert Siodmak (Nachts, wenn der Teufel kam, D 1957) und Wolfgang Staudte (Die Mörder sind unter uns, D 1946) war Käutner, der über 10 Jahre vorher mit Epilog - Das Geheimnis der Orplid (D 1950) bereits einen explizit BRD-kritischen Film Noir vorgelegt hatte, einer der wichtigsten deutschen Regisseure der 50er Jahre, zählt man Bernhard Wickis Ausnahmefilm Die Brücke (D 1959) als jenes Schlüsselwerk hinzu, das auch international zu Recht die meiste Beachtung fand. In Schwarzer Kies sehen wir eine Bundesrepublik so trist und hässlich und moralisch ausgehöhlt, wie sie im Zeitalter des Wirtschaftswunders partout nicht in die Landkarte der politischen Obrigkeit passte. Die Haltlosigkeit und der Egoismus der zentralen Akteure lassen den Zuschauer unablässig zwischen Anteilnahme und Ablehnung schwanken. Dennoch gerät dieses Filmdrama nicht zu jener Tour de Force, die es vorgibt zu sein.

 

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© Concorde Home Entertainment GmbH

Das Problem sind die Schauspieler in den zentralen Rollen, allen voran Ingmar Zeisberg als Inge Gaines. Ihr Rollencharakter bleibt zu stark den üblichen Klischees verpflichtet, um in ihrer Zerrissenheit zwischen dem impulsiven Robert Neidhardt und dem bürgerlichen Major John Gaines authentisch und glaubwürdig zu erscheinen. Bis auf zwei, drei starke Szenen zeigt sich die wichtigste Frau, die ihr Schicksal einst selbstbewusst in die Hand nahm, viel zu passiv und zu schwach. Helmut Wildt ist auch kein John Garfield oder Stanley Baker, die jeweils seine Rolle exzellent und vor allem nuanciert gespielt hätten. Aber Wildt fällt weniger ins Gewicht als Hans Cossy, der als deutscher Brian Donlevy den US-Major Gaines verkörpert und in einer kruden Mischung aus englischen Halbsätzen und Hochdeutsch mit angeklebtem Akzent so wie seine Frau Inge zu zahm und kaum wie ein Offizier der US-Armee wirkt. All das ist umso auffälliger, weil Wolfgang Büttner als Otto Krahne und Anita Höfer als Prostituierte Elli in ihren Nebenrollen deutlich besser sind. Dennoch hinterlässt der mit viel Druck und Dynamik von Kameramann Heinz Pehlke wunderbar umgesetzte Film in der Nachbarschaft von Henri-Georges Clouzots Lohn der Angst (FRA 1952) und Cyril Endfields Duell am Steuer (UK 1957) einen bleibenden Eindruck. Dir harsche Kritik der zeitgenössischen Journaille, die ihn 1961 ins Vergessen trudeln ließ, erweist sich aus heutiger Perspektive als Schutzreflex vor dem unverstellten Blick auf eine Lebenswirklichkeit, die zum Ende des Jahrzehnts mit dem Keimen des bundesdeutschen Autorenfilms ein neues Zeitalter einläutete. Wer ihn sehen möchte, sollte unbedingt zur Premierenfassung greifen, die das ursprüngliche von Helmut Käutner gesetzte Ende beinhaltet, und nicht zu der wider Käutners Zustimmung geschnittenen Kinofassung.

 

Es gibt eine in Kooperation mit der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung exzellent editierte 2DVD (2017) der Concorde Home Entertainment GmbH im schönen Digipack mit dem Film auf je zwei DVDs in der Premieren- und in der Verleihfassung, bild- und tontechnisch exquisit restauriert im Originalformat und jeweils ungekürzt. Im Inneren findet man ein 10seitiges Booklet mit Standfotos, einer Kurzbiografie Helmut Käutners von Anne Siegmayer, einer Abhandlung zur Veröffentlichungsgeschichte des Films von Anke Wilkening und einem weiteren (mir zu enthusiastischem) Filmessay aus der Feder von Rüdiger Suchsland, dazu den original Kinotrailer als Extra.

 


Post Noir | 1961 | International | Helmut Käutner | Helmut Käutner | Shirley O'Hara

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