Film Noir
| International
| 1946
| Wolfgang Staudte
| Friedl Behn-Grund
| Arno Paulsen
| Erna Sellmer
| Hildegard Knef
Bewertung
****
Originaltitel
Die Mörder sind unter uns
Kategorie
Film Noir
Land
GER
Erscheinungsjahr
1946
Darsteller
Hildegard Knef, Wilhelm Borchert, Robert Forsch, Arno Paulsen, Albert Johannes
Regie
Wolfgang Staudte
Farbe
s/w
Laufzeit
81 min
Bildformat
Vollbild
Berlin, 1945: Die Stadt liegt in Trümmern, das Dritte Reich ist Vergangenheit. Der Chirurg Dr. Hans Mertens (Wilhelm Borchert), ehemals Truppenarzt an der Ostfront, schlurft durch die zerstörten Straßen mit ihren Panzerwracks und in Ruinen spielenden Kindern. In dem Haus, darin er eine Wohnung bezogen hat, zerreißen sich die anderen Bewohner das Maul über seine Trunkenheit bei Tag und bei Nacht… Ein Zug fährt ein, noch außen auf der Lok und den Waggons fahren Tausende Flüchtlinge in die Großstadt zurück. Unter ihnen ist die junge Susanne Wallner (Hildegard Knef), eine Werbegrafikerin, die für vier Jahre in einem Konzentrationslager inhaftiert war. Als sie vor dem Haus steht, darin sie selbst vor Jahr und Tag gewohnt hat, betritt eine Kundin (Käthe Jöken-König) den im Parterre gelegenen Laden des Optikers Mondschein (Robert Forsch). Sie möchte von ihm noch in der Nacht eine Brille reapariert haben, die sie um 7 Uhr vor Arbeitsbeginn abholen will, und der alte Mann willigt ein. Viel mehr ist er an der nun ebenfalls im Laden stehenden Susanne Wallner interessiert, die sich freut, dass der Alte die Schrecken und Wirren des Krieges überlebt hat. Im Stockwerk darüber ist es eine geschwätzige Mieterin, die den dubiosen Wahrsager Bartolomäus Timm (Albert Johannes) davon in Kenntnis setzt, dass das Fräulein Wallner aus mehrjähriger Gefangenschaft ins Haus zurückgekehrt sei. Zugleich unterrichtet der gutmütige und besorgte Herr Mondschein die mit einem Koffer und einem Bündel Habseligkeiten beladene Susanne darüber, dass in ihrer Wohnung ein Dr. Hans Mertens sich eingenistet habe…
„Lasst Euch eine billige Weisheit mit auf den Lebensweg geben. Nur im Märchen hat man die Wahl zwischen Gut und Böse.“ Es ist erstaunlich wie dieses Drama, der erste deutsche Nachkriegsfilm, sich stilistisch an die Tradition des deutschen Expressionismus‘ anlehnt und parallel zum Film Noir in den USA die nahezu gleichen Orte und Charaktere abbildet. Der traumatisierte Kriegsheimkehrer, der sich bei Rückkehr in die Heimat nicht nur in der Großtadt mit den „Ruinen“ des Gestern konfrontiert sieht, sondern sich vor allem im eigenen Inneren darin verliert: Robert Ryan porträtierte ihn par excellence in Act Of Violence (USA 1948), ein Film dessen Racheplot teils deutlich an Die Mörder sind unter uns erinnert. John Hodiak ist das im frühen Film Noir häufige Amnesie-Opfer in Somewhere In The Night (USA 1946). Auch William Bendix und Alan Ladd kehren in Die blaue Dahlie (USA 1946) in eine USA zurück, die nicht mehr ist, was sie vor dem Krieg für sie war. Und wie in den US-Metropolen ist in Berlin die Schattenwelt der Nachtclubs, wo es Alkohol, Zigaretten und leichtlebige Frauen gibt, jene erste Adresse, die solche Charaktere aufsuchen, um auf eine ihnen noch verborgene Weise den eigenen Lebensfaden neu aufzunehmen. Hans Mertens ist ein typischer Film-Noir-Charakter in einer Geschichte, deren Wege ihn über enge Stiegen an Orte führen, darin nur vereinzelte Flecken Lichts die im Dunkel liegende Welt sichtbar werden lassen. Sein Erweckungserlebnis erinnert dann verblüffend an dasjenige James Masons als Professor der Chirurgie in Lawrence Huntingtons Abgründe (UK 1947) - beziehungsweise umgekehrt.
Die Film Noir Foundation, San Francisco, zeigte Die Mörder sind unter uns 2014 auf dem jährlich in ihrer Stadt ganze 10 Tage dauernden Festival Noir City. Mit Blick auf eine internationale Tradition des Film Noirs galt der Wolfgang-Staudte-Film als Beispiel für einen klassischen Film Noir aus Deutschland, den es als eigenständige Tradition gar nicht gibt. Nach erneuter Begutachtung des Werks lässt sich festhalten, dass einiges für diese Wahl spricht. Vor allem ist die Wiederaufnahme der expressionistisch geprägten, kontraststarken und von großflächigen Schattenzonen gekennzeichneten Kameraarbeit kein Zufall. Sie provoziert neben dem guten Schauspiel der beteiligten Akteure die sinistre Atmosphäre, die das Werk auszeichnet. Während noch der Film Noir The House On Telegraph Hill (USA 1951) die von der Wehrmacht und der Waffen-SS in Polen verübten Greueltaten thematisierte, mied das Filmschaffen der Bundesrepublik Deutschland die Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich bis in die Sechziger nahezu durchgehend. Peter Lorres in Ton und Thema verwandtem und ebenfalls im Film Noir verhafteten Der Verlorene (GER 1951) wurden Spott und rigorose Ablehnung zuteil. Die Filmrezeption der jungen Bundesrepublik war fünf Jahre später längst auf Eskapismus, auf Komödien und Romanzen billigen Zuschnitts programmiert und hatte lange Zeit Erfolg damit. Die Mörder sind unter uns ist ein Film, der vor allem bei wiederholtem Schauen seine Qualität offenbart, trotz einiger schwerfällig moralisierender Dialogpassagen, die auch seine dem Zeitkontext geschuldeten Schwächen belegen.
Gute DVD-Edition (2004) von Icestorm und sodann 2009 in der vom KulturSpiegel und Arthaus / Studiocanal in Kooperation herausgebrachten Edition deutscher Film mit dem Werk ungekürzt im Originalformat ohne Untertitel, bildtechnisch nicht brillant, aber allemal solide restauriert, leider ohne Extras.