Vincent Spano, Michael Winslow, Kate Vernon, Jami Gertz, Raymond Serra
Alphabet City, ein Stadtteil im East Village der Insel Manhattan, New York: Der in Diensten der Mafia stehende Johnny Chunga (Vincent Spano) und Angela (Kate Vernon), seine Freundin und die Mutter ihrer gemeinsamen Tochter Renee (Christina Marie Denihan), liegen in Angies Fabriketage zu Bett und wollen miteinander schlafen, als das Baby plötzlich schreit… Angela kümmert sich darum, indessen sich Johnny anzieht und in die Nacht davoneilt, denn er hat einen Termin mit Gino (Raymond Serra), jenem Mobster, der ihm diesen Teil der Stadt als „seinen“ Bezirk zur Verfügung stellt. Mit einem Pontiac Firebird Trans Am Daytona 500 rauscht er durch die verregnete Stadt, wo dubiose Gestalten sich über brennenden Benzinfässern die Hände wärmen und alle wissen, wer er ist… Johnny ist der Mann, der Schutzgelder und die Einnahmen aus dem Drogenhandel kassiert, er kontrolliert die illegalen Geschäfte auf der Straße und er vollzieht Strafen, wenn es nötig sein sollte. Aber nach seinem Besuch bei Gino hat er ein Problem. Gino gibt Johnny die Anweisung, die Mietskaserne, darin seine Mutter (Zohra Lampert) und seine jüngere Schwester Sophia (Jami Gertz) leben, noch in dieser Nacht niederzubrennen. Auf seinem Weg dorthin macht Johnny Chunga einen Halt bei Lippy (Michael Winslow), einem seiner Drogendealer, der heute aber nicht im “Store“ nach dem Rechten sieht, sondern auf der Straße herumlungert. Lippy ist inzwischen selbst Junkie, was Johnny ihm wütend vorhält, doch der Appell verhallt…
Nach 10 Jahren als Autor und Filmregisseur im New Yorker Underground der Punk- und New-Wave-Generation, der er mit seiner Dokumentation The Blank Generation (USA 1976) ein Denkmal setzte, drehte Amos Poe mit Alphabet City seine erste kommerzielle Produktion als 35-mm-Film für ein Filmstudio von Rang, die Atlantic Releasing Corporation. Drei aufstrebende junge Schauspieler spielten die Hauptrollen: Vincent Spano (Rumble Fish, USA 1983), Michael Winslow (Police Academy, USA 1984) und Kate Vernon, die Musik steuerte Nile Rodgers von Chic bei. Doch der in 20 Nächten auf den Straßen von Manhattans Lower East Side mit minimalem Budget gedrehte Film floppte beim Publikum und bei der Kritik gleichermaßen und Amos Poe schuf für 7 Jahre überhaupt keinen Film mehr, bevor er mit Kreuzfahrt vor Manhattan (USA 1991) aufs Feld eigenwilligen Independent-Kinos zurückkehrte. Dass Alphabet City 2002 via Metro-Goldwyn-Mayer Home Entertainment LLC, die die Rechte der 1989 aufgelösten Atlantic Releasing Corporation innehatte, als DVD-Edition auf dem Markt kam, ist fast ein Wunder. Als “Amos Poe’s synthesizers and spandex noir“ haben ihn Lisa und Hannah Thomas 2015 im Programmheft für die umfassende Retrospektive Indie 80s der New Yorker BAMcinémathek bezeichnet und das trifft es. Daneben gibt es kaum Hinweise auf den Film als Neo-Noir-Thriller. Aber so wie Farley Granger und Cathy O’Donnell in Nicholas Rays Im Schatten der Nacht (USA 1948) haben Johnny Chunga und Angela nur sich selbst. Und wie Steve Brodie und Audrey Long in Anthony Manns Desperate (USA 1947) ist ihnen die Unterwelt auf den Fersen, um sie samt ihrem Kind zu töten, denn einen anderen Weg aus den Diensten der Mafia gibt es nicht.
US-Filmkritiker Roger Ebert hat Alphabet City seinerzeit als lächerlich gebrandmarkt, weil solcher Thriller mit Teenagern schlicht unglaubwürdig und banal sei. Für mich persönlich ist Brick (USA 2005) in dieser Hinsicht eine weit größere Enttäuschung. Vincent Spano und Kate Vernon waren immerhin 22, 23 Jahre alt und sind im Film bereits Eltern. Es gibt stimmig inszenierte Einzelsequenzen wie die Razzia in einem Drogenumschlagplatz, einem leerstehenden Fabrikgebäude auf einer Brache. Die Rollencharaktere werden gut eingeführt, Johnny und Angela zeigen eine glaubwürdige Chemie miteinander; das Finale im Fahrstuhl ist nicht originell, aber keinesfalls schlecht. Doch während Richard Attenborough als jugendlicher Mobster in Brighton Rock (UK 1947) überragend war, ist Vincent Spano als Johnny Chunga zu sehr der nette Kerl von nebenan. Einige der Darsteller agieren amateurhaft, ihre Szenen wirken forciert, so auch Johnnys Verhältnis zu Mutter und Schwester. Im Gegensatz zu vielen US-Kritikern finde ich Nile Rodgers‘ Soundtrack eher missraten, alle Stücke bleiben hinter denen für Chic und Sister Sledge anno 1979 weit zurück, und die Zeitgeist-Elektronik scheppert und plätschert monoton vor sich hin. Vor allem blieb es Amos Poe seitens des Studios verwehrt, die ursprünglich geplante Schlusssequenz zu drehen. Der enthaltene Schluss ist unglaubwürdig und schlecht inszeniert. Alphabet City ist eine Kuriosität der 80er Jahre, wie sie nur damals möglich war, doch nicht das in Vergessenheit geratene Meisterstück, das man nach dem weit besseren Subway Riders (USA 1981) von Amos Poe hätte erwarten können.
Gute US-DVD (2002) der MGM Home Entertainment LLC (Regionalcode 1) mit dem Film ungekürzt und je einmal im Originalformat 1.85:5 (Widescreen) und einmal im Vollbildformat (4:3) enthalten. Die original englische Tonspur ist gut verständlich, optional gibt es englische, spanische und französische Untertitel und den original Kinotrailer als Extra.