Film Noir
| UK
| 1948
| Graham Greene
| Carol Reed
| Bernard Lee
| Denis O'Dea
| Geoffrey Keen
| Jack Hawkins
| Michèle Morgan
Bewertung
*****
Originaltitel
The Fallen Idol
Kategorie
Film Noir
Land
UK
Erscheinungsjahr
1948
Darsteller
Michèle Morgan, Ralph Richardson, Sonia Dresdel, Bobby Henrey, Denis O’Dea
Regie
Carol Reed
Farbe
s/w
Laufzeit
91 min
Bildformat
Vollbild
London, England: Der französische Botschafter (Gerard Heinz) muss übers Wochenende verreisen, da er seine Ehefrau und Mutter des jungen Phillipe (Bobby Henrey) nach langer Krankheit und Rekonvaleszenz wieder nach Hause holt. Es ist Freitagmittag und die Botschaft leert sich. Besucher und Angestellte strömen aus der Tür und verabschieden sich von Baines (Ralph Richardson), dem Butler und der guten Seele des Hauses. Mit ihm und Mrs. Baines (Sonia Dresdel) bleibt der Junge allein. Doch während sich Mr. Baines gutmütig um den Jungen kümmert, auch für dessen Schlange McGregor, die der Kleine in einem Mauerspalt seines Balkons verwahrt, Verständnis und Interesse hat, ist Mrs. Baines der Hausdrachen. Zwischen Erziehung und Schikane verläuft die Grenze bei ihr fließend. Im Souterrain der Großküche des Hauses vergeht keine Minute, dass die Ehepartner sich nicht im Widerspruch zueinander finden. Als Phillipe beim gemeinsamen Essen nichts zu sich nehmen will und dann Mrs. Baines zu verstehen gibt, dass er sie hasse, wird er von ihr auf sein Zimmer geschickt. Als er durchs Fenster sieht, wie Baines zu einem Spaziergang in Richtung Park aufbricht, entwischt er über die Feuerleiter und folgt ihm. Doch in dem Pub, den Baines gewöhnlich ansteuert, ist er nicht anzutreffen und auch sonst nirgendwo. Eher zufällig entdeckt ihn Phillipe auf dem Rückweg am Tisch eines kleinen Cafés. Dort sitzt Baines mit Julie (Michèle Morgan), einer aus Frankreich stammenden Angestellten der Botschaft. Das Paar scheint von der Ankunft des Jungen nicht bloß überrascht sondern auch nicht erfreut…
Erstens: So ganz fünf Sterne hat der Film nicht verdient, da die Schlussminuten die bis ins Finale konsequent geführte Dramatik leider verharmlosen. Zweitens: Der deutsche Titel Kleines Herz in Not ist sogar vor dem Hintergrund der in den 40ern und 50ern teils katastrophal übersetzten (oder schlicht umbenannten) Film Noirs irreführend. The Fallen Idol, das gefallene Idol - das ist Baines in der kongenialen Verkörperung durch Ralph Richardson, der den Butler großartig mit Leben füllt. Er steht im Mittelpunkt dieser Geschichte, sein Charakter - herzensgut und zugleich willensschwach bis feige! - wandelt auf dem abschüssigen Grund des Film-Noir-Terrains und bringt selbst die Handlung in Bewegung. Jene Dreiecksgeschichte zwischen ihm, seiner Frau und Julie wird für den Zuschauer in ihrem Gehalt durch die Augen des acht-, neunjährigen Phillipe transparent, doch ist es Baines, von dem dieser Film erzählt. “We've got to think of lies and tell them all the time. And then they won't find out the truth“, erläutert Phillipe sein Verständnis der Sache, nachdem diesem erwachsenen Freund, den er stets für mächtig und stark hielt, das eigene Schicksal über den Kopf zu wachsen droht. Und an einer anderen Stelle spricht Baines den geradezu prophetischen, tief im Film Noir jener Jahre wurzelnden Satz: „It's a great life if you don't weaken.“ Es sind Passagen wie diese, die den Zuschauer daran erinnern, dass Graham Greene nicht nur die zugrunde liegende Erzählung The Basement Room verfasste, sondern auch das Drehbuch für den Film Carol Reeds. “A rollercoaster of guilt, doubt and redemption”, schrieb die DVD Review.
Erstens: So ganz fünf Sterne hat der Film nicht verdient, da die Schlussminuten die bis ins Finale konsequent geführte Dramatik leider verharmlosen. Zweitens: Der deutsche Titel Kleines Herz in Not ist sogar vor dem Hintergrund der in den 40ern und 50ern teils katastrophal übersetzten (oder schlicht umbenannten) Film Noirs irreführend. The Fallen Idol, das gefallene Idol - das ist Baines in der kongenialen Verkörperung durch Ralph Richardson, der den Butler großartig mit Leben füllt. Er steht im Mittelpunkt dieser Geschichte, sein Charakter - herzensgut und zugleich willensschwach bis feige! - wandelt auf dem abschüssigen Grund des Film-Noir-Terrains und bringt selbst die Handlung in Bewegung. Jene Dreiecksgeschichte zwischen ihm, seiner Frau und Julie wird für den Zuschauer in ihrem Gehalt durch die Augen des acht-, neunjährigen Phillipe transparent, doch ist es Baines, von dem dieser Film erzählt. “We've got to think of lies and tell them all the time. And then they won't find out the truth“, erläutert Phillipe sein Verständnis der Sache, nachdem diesem erwachsenen Freund, den er stets für mächtig und stark hielt, das eigene Schicksal über den Kopf zu wachsen droht. Und an einer anderen Stelle spricht Baines den geradezu prophetischen, tief im Film Noir jener Jahre wurzelnden Satz: „It's a great life if you don't weaken.“ Es sind Passagen wie diese, die den Zuschauer daran erinnern, dass Graham Greene nicht nur die zugrunde liegende Erzählung The Basement Room verfasste, sondern auch das Drehbuch für den Film Carol Reeds. “A rollercoaster of guilt, doubt and redemption”, schrieb die DVD Review.
In der Nachfolge seines Film-Noir-Meisterstücks Ausgestoßen (UK 1947), das in Belfast spielt, findet Reed auch in London Gelegenheit, den Topos der Großstadt ins Werk einzubeziehen. Er war ein Meister der Bildsprache, vom Expressionismus der Zwanziger so deutlich beeinflusst wie in Hollywood sein Kollege Orson Welles. Bis heute ist es ein Genuss, diesem innovativen Gestus der Form nachzuspüren. Wer sich vergegenwärtigt, was Carol Reed 1948 zu leisten wusste, dem wird deutlich, wie andere noch lange in den Konventionen ihrer Zeit verharrten. Der Autor Graham Greene hatte sich seit 1942 mit mehreren Vorlagen für den Film Noir einen Namen gemacht und zeigte mit diesem Thriller, dass er das britische Pendant zu Chandler, Hammett und Woolrich genannt zu werden verdient. Der Film (aktuelle Einstufung der neuen DVD ist FSK 16) ist sowenig über und für Kinder wie Ted Tetzlaffs Film Noir Das unheimliche Fenster (USA 1949) mit dem späteren Kinderstar Bobby Driscoll. Graham Greene und Carol Reed führten ihre Zusammenarbeit im Jahr darauf fort und schufen Der dritte Mann (UK 1949), den bekanntesten englischen Film Noir aller Zeiten. Mit Veröffentlichung von Kleines Herz in Not – dessen deutscher DVD Arthaus / Studiocanal dankenswerterweise den englischen Titel voran stellt! – liegen in hierzulande nun alle vier Film-Noir-Werke des Meisterregisseurs als DVD-Editionen vor. Unbedingt ansehen!
Kleines Herz in Not gab es in England via Optimum Releasing Ltd. seit 2005 als DVD – bildtechnisch topp restauriert, ungekürzt im richtigen Format, mit Originalton ohne Untertitel und ohne Extras. In den USA wurde auch dieser Film Carol Reeds in die renommierte Criterion Collection aufgenommen. In Deutschland gibt es den Klassiker bei Arthaus / Studiocanal im Rahmen der schön editierten Reihe Arthaus Retrospektive. Deren DVD ist mit der original britischen Edition absolut identisch, also erstklassig, und bietet noch die deutsche Tonspur, die der Cineast jedoch vermeiden sollte, da er sich um den Genuss des wunderbaren Englischs von Meisterschauspieler Ralph Richardson bringt. Dessen deutsche Stimme ist vollends anders, bringt Passagen gestelzt oder nur zu drei Viertel korrekt übersetzt und beraubt das Drama um viele seiner pointierten Zwischentöne. Also unbedingt im Original anschauen, immerhin gibt es deutsche Untertitel (leider keine englischen), die das in jedem Fall ermöglichen. Was an der deutschen Synchronisation ebenfalls stört, sind die extrem in den Hintergrund gemischten, teils kaum noch vernehmbaren Raumgeräusche, die Dialoge wie ein Hörspiel wirken lassen. Im Übrigen ist die Arthaus-DVD rundum zu empfehlen.