Film Noir
| International
| 1950
| Luis Buñuel
| Gabriel Figueroa
| Alfonso Mejía
| Miguel Inclán
| Roberto Cobo
Bewertung
*****
Originaltitel
Los olvidados
Kategorie
Film Noir
Land
MEX
Erscheinungsjahr
1950
Darsteller
Roberto Cobo, Alfonso Mejía, Estela Inda, Miguel Inclán, Mário Ramírez
Regie
Luis Buñuel
Farbe
s/w
Laufzeit
77 min
Bildformat
Vollbild
Mexiko-City: Der Jugendliche El Jaibo (Roberto Cobo) ist aus der Jugendanstalt ausgebrochen, wo er per Gerichtsbeschluss aufgehoben war. Zurück in den Slums übernimmt er wieder die Führung seiner Bande, zu der auch Pedro (Alfonso Mejía) gehört, der dem Älteren ein treuer Assistent ist. Pedro ringt um die Liebe seiner Mutter (Estela Inda), die ihn wegen seiner Rumtreiberei und seines Unglücks bei der Arbeitssuche verstößt. Jaibo verspricht seiner Bande einträgliche Zeiten. Zugleich will er sich an Julian (Javier Amézcua) rächen, der ausgestiegen ist und in einer Fleischerei einer Arbeit nachgeht. Ein Überfall auf den blinden Sänger Don Carmelo (Miguel Inclán) scheitert zwar, bringt Pedro aber die Bekanntschaft Ojitos’ (Mário Ramírez), eines Jungen vom Land, den sein Vater an einer Straßenecke stehenließ. El Jaibo ist voller Hass auf alle, die ihn nicht fürchten. Er rächt sich an dem Blinden und zieht mit Pedro zur Fleischerei, in der Julian für seine Familie den Unterhalt verdient. Er stellt Julian zur Rede und schlägt ihn aus dem Hinterhalt nieder, noch bevor es Pedro verhindern kann…
Die Vergessenen wird selten im Zusammenhang mit dem Film Noir erwähnt - wie z.B. in Alexander Ballingers und Danny Graydons The Rough Guide to Film Noir (UK 2007). Dabei spricht vieles dafür, ihn den ästhetisch geprägten Retro-Klischees entgegen zu stellen. In relativer Nachbarschaft zu Hollywood, Kalifornien, in Mexiko-City gedreht, erinnert der Film eher an Akira Kurosawas Engel der Verlorenen / Der trunkene Engel (JPN 1948), der eine ähnliche Atmosphäre in Tokio kreierte. Die einleitenden Sätze gemahnen an Mark Hellingers Stimme in Jules Dassins semi-dokumentarischem Stadt ohne Maske / Die nackte Stadt (USA 1948) und im Kontext des italienischen Neo-Realismus’ ist Luchino Viscontis James-Cain-Adaption Ossessione (ITA 1943) nicht weit. Mit Blick auf die drastische Darstellung sozialer Härten erweisen sich einzig Edgar J. Ulmers B-Produktion Umleitung (USA 1945) und Robert Wise’s Ring frei für Stoker Thompson (USA 1949) vergleichbar vom Hollywood-Glamour befreit. Demgegenüber hat mancher Kritiker Parallelen zu den Dead End Kids gezogen, Laiendarstellern von der Straße, die in den Spätdreißigern viele Gangsterfilme der Pre-Noir-Phase in den USA kennzeichneten, u.a. in Sackgasse (USA 1937) und Chicago – Engel mit schmutzigen Gesichtern (USA 1938).
© Pierrot Le Fou / Alamode Film
1950 hätte weder in den USA noch in Deutschland ein Film wie Die Vergessenen gedreht werden können. Selbst Jules Dassins Die Ratte von Soho (UK 1950) kommt in Sachen Sozialdarwinismus nicht heran. Die Vergessenen ist kompromisslos und neben der grandiosen Regie Buñuels und der brillanten Kamera Gabriel Figueroas, der vor allem in seinen Nachtbildern an John Alton denken lässt, macht es seine Qualität aus. Das Finale ist brutal und sowohl glaubwürdig als auch überwältigend. Die jugendlichen Gangster in Die Vergessenen tragen keine Hüte, Anzüge, Krawatten, doch sind sie aus dem Stoff der echten Film-Noir-Charaktere – gepeinigt, getrieben, zuletzt verzweifelt. In Nachbarschaft zu einer aufstrebenden Welt mit ihren Neubauten, Eisenbahnen und Automobilen, leben sie abgetrennt auf einer Insel des Unglücks wie vom Schicksal verdammt. Nicht zuletzt Fernando Mereilles’ in Rio de Janeiro angesiedelter Publikumserfolg City Of God (BR 2003) erinnert in seiner Setzung und Sendung an Luis Buñuels Meisterwerk des lateinamerikanischen Kinos. Ein Film Noir für alle, die stets wissen, dass noir nicht Hollywood sondern schwarz bedeutet. Bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes erhielt Luis Buñuel 1951 den Preis für die beste Regie.
Alamode Film präsentiert eine DVD-Edition (2007), die den Vergleich mit der Criterion Collection, USA, oder mit der Reihe Arthaus Premium nicht zu scheuen braucht: bildtechnisch topp restauriert, mit deutschem und original spanischem Ton inklusive deutscher Untertitel, dazu das alternative Ende als Extra. Hervorragend!