Pedro Armendáriz, Anita Blanch, Rebeca Iturbide, Eva Martino, José María Linares-Riva
In Mexiko-Stadt ist Marcos Arizmendi (Pedro Armendáriz), ein aus Kuba stammender Profisportler des Rückschlagspiels Jai Alai, einer Variante des Pelota Vasca aus dem Baskenland, ein Star sondergleichen. Auch heute Abend sind in der Sporthalle viele illustre Gäste der mehr und der minder gehobenen Gesellschaft ihrer Metropole anwesend. Die hübsche Rebeca Villarreal (Rebeca Iturbide), die in Marcos verliebt ist und in eine Affäre mit ihm schlitterte, weilt mit ihrem Vater (Julio Villarreal) vor Ort und sieht mit Begeisterung dem Duell der gegeneinander spielenden Duos zu. Rebeccas Bruder Armando (Carlos Múzquiz) ist Angestellter der Arena und ruft in einer weißen Livree vor den Sitzreihen hin und her tänzelnd den aktuellen Stand der Wetten aus, indessen er von Zuschauern ihre Einsätze in bar entgegennimmt. Zudem sitzt die Nachtclubsängerin Lucrecia (Eva Martino) auf den Rängen, in die sich der mit einigen Handlangern in der Halle befindliche Berufsspieler Marcial (José María Linares-Riva) verliebt hat. Aber auch Lucrecia ist dem immerzu erfolgreichen Marcos hörig, und als jener wieder als strahlender und gefeierter Sieger aus dem Match hervorgeht, ist es nicht nur Marcial sondern auch der alte Señor Villarreal, der eine verdrießliche Miene aufzieht. Marcos Arizmendi genießt den Jubel und die Verehrung seines Publikums ohne Reue. Für ihn zählt allein der Sieger und sonst niemand. Außer ihm selbst ist jeder ein Nichtsnutz und Verlierer, wie er in der Kabine auch seine Mitspieler spüren lässt…
“La noche avanza is all hatred, jealousy, cheating, double crossings, uncontrolled passions. It’s all darkness and pessimism leavened only by black humour”, schreibt José Arroyo für First Impressions. Ich muss gestehen, dass man es kaum besser auf den Punkt bringen könnte. Mit Ausnahme von Rebeccas Bruder Armando ist jede einzelne Figur dieses nachtdunklen Film Noirs vom enorm produktiven und stilsicheren Autor und Regisseur Roberto Gavaldón (Verbrecherische Hände, MEX 1951) bis ins Mark egoistisch und darauf aus ureigene Begierden zu stillen. Allen voran ist es Marcos Arizmendi, der bewunderte und gefeierte Champion der populären Sportart Jai Alai, dessen Sozialdarwinismus in seiner bis ins Mark amoralischen Art im Grunde nicht zu überbieten ist. Als Homme fatale des Film Noirs kann er es mühelos mit Walter (Vittorio Gassman) in Giuseppe De Santis‘ Bitterer Reis (ITA 1949), mit Tom Riley in Basil Deardens Die blaue Lampe (UK 1950) oder mit Jack Early (Howard Duff) in Joseph Pevneys Shakedown (USA 1950) aufnehmen. Solche Männer benutzen ihnen nahestehende Menschen nur als Trittleitern auf dem Weg nach oben, denn sie sind sich selbst der nächste und kennen nichts als die Doktrin des Erfolgs. In La noche avanza wird die aus dem Exil nach Mexiko-Stadt zurückgekehrte Sara (Anita Blanch) zum Motor der Handlung, welche als ex-Geliebte des umtriebigen Marcos‘ aufgrund einer Erbschaft zu Reichtum gelangt zu sein scheint. Ihre Villa und ihre Juwelen ziehen den ruchlosen Profisportler magnetisch an, der zu der im Vergleich zu Rebeca und Lucrecia eindeutig älteren Frau stets in Liebe entbrannt zu sein vorgibt. Genau darauf hatte sie gehofft und Marcos will sich die Beute ihres Besitzstands keinesfalls entgehen lassen. Zuvor muss er allerdings die von ihm schwangere Rebeca und deren Familie beschwichtigen. Letzteres scheint zu gelingen, als ihm der vermeintlich schwache Marcial, den er vor Lucrecia zu demütigen wusste, in die Quere kommt. Außer Marcial hat aber auch Armando Villarreal die Absicht sich an Marcos Arizmendi zu rächen. Was folgt, ist ein Film Noir par excellence - vom Ensemble vor und von der Crew hinter der Kamera exzellent umgesetzt.
Die Produktion steht dem US-amerikanischen Film Noir der Zeit in nichts nach, und interessanterweise waren gleich mehrere US-Amerikaner federführend an dem Film beteiligt. Der seit Mitte der 30er Jahre in Mexiko tätige Kameramann Jack Draper (Mystery In Mexico, USA 1948) bannte den Film auf Zelluloid. Den Filmschnitt besorgte der ebenso lange bereits im Nachbarland tätige Charles L. Kimball (Palast der Sünde / Die Andere, MEX 1946). Auch Szenenbildner Edward Fitzgerald (Die Vergessenen, MEX 1950) war ein Auswanderer, den es nach Mexiko verschlagen hatte. Das Drehbuch beruhte auf einer Erzählung Luis Spotas, der im Jahr zuvor bereits für Roberto Gavaldóns Verbrecherische Hände (MEX 1951) die Vorlage geliefert hatte. Im Gegensatz zu letzterem kam La noche avanza seinerzeit jedoch nicht ins deutschsprachige Kino und ist hierzulande bis heute im Grunde unbekannt. Es ist dringend an der Zeit das zu ändern.
Es gibt vom Studio Latino in deren Reihe Joyas del cine Mexicano und im Vertrieb des Ventura Entertainment LLC. eine bild- und tontechnisch solide mexikanische DVD-Edition (2005) mit dem Werk ungekürzt im Originalformat und inklusive des spanischen Originaltons ohne Untertitel. Auf dem Filmfestival NOIR CITY, San Francisco, lief im Februar 2020 unter Schirmherrschaft der dortigen Film Noir Foundation und unterm Titel Night Falls eine bild- und tontechnisch exquisit restaurierte Fassung des Films mit englischen Untertiteln.