Alina Levshin, Rauand Taleb, Artjom Gilz, Jörg Pintsch, Bettina Engelhardt
© Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF)
In einem von Kerzen erleuchteten Kellergewölbe hängt die als Kellnerin gekleidete Privatdetektivin Doro Decker (Alina Levshin) an Handgelenken angekettet von einem Stahlgerüst. „Es ist gar nicht so schlimm, wie’s aussieht“, lässt sie uns wissen. „Naja, obwohl… Das Blut pocht in meinem Kopf wie ein Presslufthammer.“ Drei Männer stehen um sie herum, einer mit einer Eisenstange bewaffnet, und sie wollen gern wissen, für wen sie arbeite… An einem sonnigen Tag geht Frau Decker mit einem Hamsterkäfig in der Hand zu einem Kiosk, indessen sie mit den Zähnen aus der Schachtel eine Zigarette fischt. Als sie einen Teenager beobachtet, der am Kiosk einen Wodka-Flachmann erwirbt, wird sie hellhörig und fängt den offensichtlich minderjährigen Kerl mit seinem Kauf ab. Sie zückt einen Dienstausweis, den sie sofort wieder in die Tasche steckt und gibt sich als „Derrick, Kriminalpolizei!“ aus. Erst beharrt der Junge darauf, schon 18 Jahre alt zu sein, knickt bei ihrer Frage nach seinem Ausweis aber ein, und Doro Decker beschlagnahmt den Flachmann. Dass sie wieder mal eine verwirrte Seele vor sich selbst gerettet habe, stellt sie fest, und ist zufrieden mit sich. Im Hafen residiert Doro Decker im ersten Geschoss einer Schiffswerkstatt, darin sie ein Loft bewohnt, zugleich ist dort ihr Büro. Vor der Tür der Detektei Decker wartet heute Sabrina Möncke (Mira Bartuschek), die schwangere Ehefrau des Imageberaters Sören Möncke (Michael Epp). Sie sei irritiert, berichtet sie, dass ihr Mann sich neuerdings ihr gegenüber so verschlossen zeige…
Die aus der Ukraine stammende Alina Levshin und der im Irak gebürtige Kurde Rauand Taleb sind für mich respektable und talentierte Schauspieler und zwar grundsätzlich und nicht am tendenziell niedrigen Standard der bundesdeutschen TV-Unterhaltung gemessen. Die Ursprungsidee der deutsch-belgischen Koproduktion und vom 2009 gegründeten Fernsehsender ZDFneo, Experimentierfeld und Ideenschmiede des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF), Anfang 2020 ausgestrahlten ersten Staffel von Dunkelstadt ist zudem attraktiv. In Anlehnung an den klassischen Film Noir und an den Neo Noir ist die Privatdetektivin Doro Decker eine Frau, die von ihrer Vergangenheit heimgesucht wird, die der Zigarettenmarke Marlowe und dem Whisky zugeneigt ist und per Erzählstimme aus dem Off ihre Zuschauer durch sechs knapp 45-minütige Episoden leitet. Obendrein konnten die Produktionsgesellschaften für die in der belgischen Hafenstadt Antwerpen gedrehte Serie die türkische Autorin und Regisseurin Asli Özge und den Kameramann Emre Erkmen gewinnen, die mit Auf einmal (GER/NL 2016) einen guten Neo Noir vorgelegt hatten. Schöpfer und Autoren des Formats sind Axel Melzener und Julia Nika Neviandt. Dass die Idee mit dem Tod des Vaters der Privatdetektivin, seines Zeichens Polizeibeamter, der im Dienst erschossen worden ist, von der hierzulande kaum bekannten britischen Serie Jericho (UK 2005) abgeguckt sein könnte, ist zumindest nicht auszuschließen. Auch Einflüsse von True Detective – Staffel 2 (USA 2015) sowie einiger als zum "Nordic Noir" zählender, skandinavischer TV-Produktionen sind erkennbar. Aber das muss ja nichts Schlechtes heißen. Es könnte als Signal einer Aufbruchsstimmung im bundesdeutschen Fernsehen sogar etwas Postives bedeuten, ein Vorzeichen von Qualität sein. Leider ist das Gegenteil der Fall.
„Auch „Dunkelstadt“ (…) sieht man die Ambition an, irgendwie am Puls der Zeit zu sein (…) Dabei verkennt sie [= die Serie – Anm. d. Verf.] jedoch vollends die von angelsächsischen Spitzenformaten geprägten Sehgewohnheiten ihres Zielpublikums – und wirkt deshalb so frisch wie „Der Alte“ und so innovativ wie „Derrick“, schrieb Julian Miller für Quotenmeter zum Serienstart im Februar 2020. Das klingt bissig und sarkastisch, trifft den Nagel jedoch auf den Kopf. Nichts an Dunkelstadt ist im Sinne des Film Noirs dunkel, nicht die Stadt und nicht ihre Rollencharaktere. Das Ganze ist so bieder und banal wie Vorabendserien à la Notruf Hafenkante (GER 2007 – heute) oder Alarm für Cobra 11 – Die Autobahnpolizei (GER 1996 - heute), und genau für letztere hatte das Autorenduo zuvor auch geschrieben. Ein Klischee jagt das nächste, und besonders schlimm wird es, wenn Melzener und Neviandt glauben, sie würden ihrer Privatermittlerin eine weltweise und coole Sprache in den Mund legen, wie Autoren im Hollywood der 40er Jahre sie einst Philip Marlowe oder Sam Spade angedeihen ließen: „Zwei Dinge rieche ich 100 Meter gegen den Wind: angebrannte Steaks und angebrannte Ehen.“ Oder: „Manchmal ahne ich, was Glück sein könnte. Ein Lächeln… Eine Hand. Aber wer würde es schon länger mit mir aushalten?“ Das und vieles andere klingt derart flach und/oder gestelzt, man traut seinen Ohren kaum: Doro Deckers Monologe sind (teils) zum Fremdschämen schlecht. Oliver Armknecht bezeichnete Dunkelstadt für film-rezensionen.de als „Recyclinganlage alter Klischees“. Der oben zitierte Julian Miller sieht in der Detektivin eine „Bibi Blocksberg für Erwachsene“. Ob zuletzt die Redakteure der Produktionsgesellschaften oder die Autoren die Schuld daran tragen, bleibt sich gleich. Dunkelstadt ist lediglich die x-te Bestätigung dafür, dass bundesdeutsches Fernsehen partout nicht an internationales Niveau anzuschließen vermag und daran, so scheint es, auch nicht anschließen will.
Von Dunkelstadt - Staffel 1 gibt es bis heute keine BD- oder auf DVD-Edition. Auch eine zweite Staffel ist aktuell (2022) für die bei der Kritik und beim Publikum durchgefallene TV-Serie nicht in Sicht. In der Mediathek des ZDF lassen sich alle sechs Episoden allerdings jederzeit kostenfrei anschauen.