Impasse des deux anges

Paris, Frankreich: Aus dem Schließfach mit der Nr. 13 entnimmt der Marquis Antoine de Fontaines (Marcel Herrand) jenes sagenhafte Diamantcollier, das in der Familie Verdier-Fontaine nach deren Tradition nur bei Hochzeiten getragen wird. Er greift seinen Mantel und Hut und begibt sich nach draußen, aber ein uniformierter Bediensteter der Bank trägt ihm die Handschuhe hinterher und erhält zum Lohn eine Zigarre. Der Chauffeur öffnet dem Marquis den Verschlag seines Wagens und jener steigt ein… Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße sitzen die Schmalspurganoven Minus (Paul Demange) und Bébé (Reggie Nalder) auf der Terrasse eines Bistros und trinken Weißwein. Sie haben die Szene genau beobachtet und Minus gibt Bébé Kleingeld für das Telefon. Jener ruft einen nur unter dem Spitznamen “Le Vicomte“ bekannten Schurken (Jacques Castelot) an, der im Vorzimmer einer Export-Import-Firma am Schreibtisch sitzt. Nachdem er erfahren hat, dass der Marquis mit Blick auf die bevorstehende Hochzeit mit der Varieté-Schauspielerin Marianne (Simone Signoret) das Colliers aus dem Schließfach entnahm, setzt er die ebenfalls anwesende Josiane (Jacqueline Fontaine) über die Entwicklung ins Bild. Es klingelt und ein Fremder (Paul Meurisse) wird hereingeführt, den “Le Vicomte“ seinem eigenen Boss (Paul Amiot), der hinter einer mit der Aufschrift Direction versehenen Tür sitzt, als den Spezialisten ankündigt. Der Direktor spricht den Herrn auf Englisch an und führt ihn persönlich in sein Büro…

“Maurice Tourneur's last film was not a success but is superbly atmospheric and is one of the early french film noirs“, resümiert Reza Said in einer Rezension für letterboxd für dieses trotz seiner Stars heute unbekannte Werk der späten 40er Jahre. Es ist übrigens nicht, wie von einigen Rezensenten irrtümlich behauptet, der erste Film, darin Paul Meurisse und Simone Signoret gemeinsam auftraten. Diese Ehre gebührt dem zwei Jahre zuvor erschienenen Film Noir Zur roten Laterne (FRA 1946) von Jacques Feyder und Marcel Blistène. Auch der war eine Produktion von Eugène Tucherer, ebenso im Auftrag von B.U.P. Française, und neben den genannten Hauptdarstellern sind auch Paul Demange, Jacqueline Fontaine und Simone Max in beiden Filmen vertreten. Obwohl Impasse des deux anges floppte, traten Simone Signoret und Paul Meurisse noch zwei weitere Male gemeinsam vor die Kamera: zuerst in Henri-Georges Clouzots brillantem Thriller Die Teuflischen (FRA 1955) und zuletzt in Jean-Pierre Melvilles Meisterstück über die französische Résistance namens Armee im Schatten (FRA/ITA 1969). Ebenso erwähnenswert ist der Kameramann, der Maurice Tourneurs Impasse des deux anges mit wunderbaren Nachtbildern zu einem Film Noir der Extraklasse werden ließ, nämlich Claude Renoir, der später für so unterschiedliche Produktionen wie Barbarella (FRA/ITA 1968) und French Connection II (USA 1975) hinter der Kamera stand. Er verleiht dem Film jene an Werke des Poetischen Realismus‘ der 30er Jahre gemahnenden Charakter, jene feine Melancholie, die zugleich im Wiedersehen der über Jahre hinweg getrennten Liebenden, der Schauspielerin Marianne am Vorabend ihrer Hochzeit und dem just aus der Haft entlassenen Jean (Paul Meurisse), einem Safe-Spezialisten, begründet liegt. Nun ist der Film nicht ohne Humor, was für einen Film Noir nicht untypisch ist, zeigt sich jener vor allem in einem bitteren Sarkasmus‘ wurzelnd, was hier der Fall ist. Konträr verzeichnen einige Quellen das Werk als Komödie, zumal es in Österreich scheinbar als Zwei Engel in der Klemme und in England als Dilemma Of Two Angels bekannt wurde. Diese Titel sind jedoch irreführend. “Impasse des deux anges“ ist der Name einer Straße, der Sackgasse der zwei Engel, darin Jean vor 7 Jahren als Student ein Hotelzimmer bewohnte und in Marianne die Liebe seines Lebens fand.

Der auch als Produzent und Drehbuchautor tätige Regisseur Maurice Félix Tourneur, der Vater von Jacques Tourneur (Goldenes Gift, USA 1947), war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten über 70 Jahre alt und Impasse des deux anges war in einer bereits 35 Jahre währenden Karriere sein 84. Film. Es wurde auch sein letzter, da er im darauffolgenden Jahr durch einen Autounfall arbeitsunfähig wurde, demgegenüber er noch weitere 13 Jahre lebte und erst 1961 mit 85 verstarb. Obgleich er von Cineasten bis heute geschätzt wird, sollte man auch Impasse des deux anges mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen, denn dieser geruhsame und bizarre Film Noir überzeugt nicht zuletzt durch sein Finale und den exquisit konsequenten Schlusspunkt. Im Übrigen sollte es mich wundern, wenn sich vom Auftakt, welcher Paul Meurisse als “Spezialist“ auf den Plan ruft, nicht auch John Huston für seinen Film Noir Asphaltdschungel / Raubmord (USA 1950) zumindest ein wenig inspirieren ließ.

Obwohl in Frankreich die heimische Filmklassik geachtet und gepflegt wird, gibt es meines Wissens bis heute (2021) weltweit keine BD- oder DVD-Edition des Films, der im deutschsprachigen Raum seinerzeit nicht im Kino lief, dafür in einer erstaunlich gut restaurierten Fassung aber in diversen Online-Portalen mit englischen Untertiteln auffindbar ist.