Françoise Rosay, Paul Meurisse, Andrée Clément, Simone Signoret, Jacques Dacqmine
© Verlag für Filmschriften Christian Unucka
Das Viertel Montmatre in der französischen Metropole Paris: Obgleich sie die Tochter des Hauses ist, muss die junge Simone (Andrée Clément) im Hotel Bijou ihrer verwitweten Mutter “Madame“ Rose (Françoise Rosay) als deren Zimmermädchen die Böden schrubben und sonstige niedrige Arbeiten verrichten. Als heute ein Gast (André Nicard) vom Portier Armand (Georges Bever) die Treppe hinabgejagt wird, hält ihn die Madame an deren Absatz fest und lässt ihn seinen Mantel öffnen, darunter jener tatsächlich versuchte einige Bettlaken zu stehlen. Madame Rose befiehlt ihm, ihr für diesen Versuch 100 Francs zu zahlen, von denen er aber nur 50 Francs entrichten kann. Armand erklärt ihm, dass er damit noch zufrieden sein könne, habe die Madame Rose doch vor 15 Jahren ihren Ehemann für ein geringeres Vergehen mit ihrem Revolver eigenhändig erschossen. Die resolute Inhaberin jagt den Dieb lautstark vor die Tür, wo sie sich vor Passanten nochmals über die heutige Jugend auslässt, bevor sie unter jenen ihren alten Bekannten Victor Ménard (Paul Meurisse) entdeckt. Sie bittet ihn herein, er nimmt Platz und Madame Rose befiehlt Armand ihnen den Wermut zu bringen… Als Simone mit Paulette (Simone Max), der Angestellten der Reinigung schmutzige Handtücher und Bettwäsche abtransportiert, bleiben die beiden beim Straßenhändler François (Jacques Dacqmine) stehen, der seine billigen Halstücher und Schals als Exportware aus fernöstlichen Regionen anpreist und eine ganze Schar von Frauen um sich versammelt hat...
Mit seinem derben, geradewegs burlesken Humor erinnert Zur roten Laterne teils noch an den französischen Vorkriegsfilm und weist mit seiner neuen Generation aufstrebender Schauspieler – namentlich Meurisse und Signoret als skrupelloses Betrügerpaar – bereits in die 50er Jahre. Zu einer Zeit, da auch der US-amerikanische Film Noir erste Höhepunkte zeitigte, gibt vor allem Meurisse als Victor Ménard in Zur roten Laterne einen skrupellosen und eiskalten Gauner, den man gesehen haben sollte. Es ist die Niedertracht der Madame Rose und Victors sowie die letzten Endes nur scheinbare Unschuld und Aufrichtigkeit von Simone und François, die zu Missverständnissen führt, was den Verlauf der Handlung in für alle Beteiligten tiefe Fahrwasser treibt. Welt und Gegenwelt liegen wie im US-amerikanischen Film Noir benachbart, sie hausen unter ein und demselben Dach, und der Konflikt läuft für die Protagonisten auf eine Entscheidung hinaus, die so oder so mit Opfern verbunden sein muss… Die junge Simone Signoret ist stets auf dem Weg zu Ruhm und Ehre, aber sie spielt die Rolle der vollends abgebrühten Edelprostituierten Gíséle mit dem auch später für sie so unverkrampftem Esprit. Keiner der beteiligten Charaktere trägt jene weiße Weste, die er oder sie nach außen sein oder ihr eigen nennt, und sie alle versuchen sich in ihren greschäftlichen und damit fast schon automatisch kriminellen Belangen als auch in jenen der Liebe am laufenden Meter gegenseitig in die Pfanne zu hauen. Das Leben im Pariser Stadtteil Montmatre, so die Botschaft des Films, kennt keine bildungsbürgerliche Moral. Aber genau das verleiht den Charakteren und ihren Geschichten jenes Flair, das sie sehenswert macht. Der französische Film nimmt sich bereits in jenen 40er Jahren deutlich mehr Freiheiten heraus, als es sich der US-amerikanische bis in die 60er Jahre hinein zutrauen konnte. Wenn François am Morgen aus seinem Zimmer freigemut in das benachbart liegende von Gíséle hinüber geht und sie fragt, ob sie gut geschlafen habe, erwidert sie ihrem Gefährten der letzten Nacht, dass sie für den Schlaf leider nicht die nötige Zeit gefunden habe... Die Anziehung der beiden wurzelt in ihrer erotischen Attraktivität füreinander, und Regie-Veteran Jacques Feyder lässt daran keinerlei Zweifel aufkommen.
Lange vor dem Start der Nouvelle Vague in den späten 50er Jahren, deren wichtigste Vertreter Jean-Luc Godard, François Truffaut und Louis Malle sich auch in Deutschland großer Popularität erfreuen, wusste das französische Kino schon, wie es gleich der literarischen Tradition des Landes eine lebenssatte Erzählung in eine dramatische Form bringen kann. Mit Marcel Carné, Julien Duvivier oder Jean Renoir sind zwar hierzulande auch Autoren und Regisseure bekannt, die ihre Wurzeln in den 30er Jahren haben. Deren Filmwerke aber und neben ihnen ein ganzer Katalog von französischen Film Noirs der späten 40er und der 50er Jahre sind hierzulande nur schwer greifbar. In seinem letzten Drittel wirkt Zur roten Laterne ein wenig überfrachtet und hastig. Viele lose Enden müssen miteinander verknüpft werden, um das Finale auf den Weg zu bringen, doch dafür steht nicht genügend Zeit zur Verfügung. Vor allem die Beziehung der Madame Rose zu ihrer Tochter Simone hätte etwas weniger an Zuckerguss vetragen können - der Film wird seiner gut eingeführten Figur der Simone nicht mehr ganz gerecht. Dennoch lassen Autor und Regisseur im Ausgang des Konflikts nichts anbrennen. Sehenswert!
Aktuell gibt es weltweit keine BD- oder DVD-Edition, die Zur roten Laterne in einer bildtechnisch restaurierten Fassung und bestenfalls mit Untertiteln präsentierte. Im Internet kursieren mehrere bild- und tontechnisch miserable Kopien von Video- oder Fernsehmitschnitten, ungekürzt und im Originalformat, jeweils ohne Untertitel.