Jo In-Sung, Chun Ho-Jin, Min Namkoong, Lee Bo-Yeong, Goo Jin
Der 29jährige Kim Byung-doo (Jo In-Sung) stürmt auf eine Polizeiwache und schlägt auf seinen Bruder Byunbg-sik (Lee Sin-seong) ein, der nach einem Raubüberfall verhört wird. Die Mutter (Sunwoo Eun-Sook) der beiden, mit denen noch ihre Schwester Sun-Ok (Heo In-Jae) unter einem Dach lebt, ist erbost über die Schande, die der Jüngere sich selbst und seiner Familie antat. Aber sie ist auch krank und in einem Monat muss die Familie aus ihrer Wohnung ausziehen - es sind Geldsorgen, um die sich Kim Byung-doo persönlich zu kümmern verspricht. Er ist ein junger, unbedeutender Gangsterboss im Clan des mächtigen Präsidenten Hwang (Chun Ho-Jin) und hat eine Schar von sechs Helfern, die ihm unterstellt sind. Seine rechte Hand ist der impulsive, gewaltbereite Jong-Soo (Goo Jin), der zwei jüngere Handlanger mit einem Baseballschläger züchtigt, als Kim Byung-doo heute zu ihnen stößt. Er schwört sie auf die Prinzipien ihrer Gemeinschaft ein, dann begeben sie sich an die Arbeit... Und so steht Kim Byung-doo selbst vor einem Apartmenthaus und brüllt, so dass alle es hören, seine eigene Familie habe nichts zu essen, weil die Mieter in 503 ihm nicht die Schulden zurückzahlten. In deren Apartment bedroht er sie und lässt sich noch eine Massage verabreichen, bevor er von dannen zieht… Sein Weg führt ihn zu Sang-Chul (Yun Je-Mun), seinem direkten Vorgesetzten im Clan, der sich für das eingetriebene Schuldgeld bei Kim Byung-doo zwar bedankt, ihm jedoch nicht helfen kann oder will, trotz des Wohnungsproblems und der kranken Mutter…
“A Dirty Carnival works on many levels, and Yoo manages not only to entertain, but to achieve an emotional richness and almost epic scope rarely seen in the genre“, schreibt James Mudge für Beyond Hollywood über einen Film, den ich ohne Wenn und Aber für ein Meisterwerk des zeitgenössischen Films in Südkorea und in Fernost überhaupt halte. Schon während des Vorspanns mit seiner Eröffnungsmusik zu den ersten Schritten in Kim Byung-doos Geschichte wird klar, dass sich der Autor und Regisseur Yoo Ha nicht allein am US-amerikanischen Gangsterfilm à la Martin Scorseses Hexenkessel (USA 1973) orientierte, sondern auch den europäischen Neo Noir von Größen wie Jean-Pierre Melville oder Alain Corneau im Blick hatte. Wenn ich Yoo Has Film hingegen mit dem im gleichen Jahr erschienen Departed - Unter Feinden (USA/HK 2006) vergleiche, der als US-Remake des grandiosen Infernal Affairs - Die achte Hölle (HK 2002) Scorseses Rückkehr zu alter Form einläuten sollte, so ist das Scorsese-Spätwerk keinesfalls schlecht, doch als ein Gangster-Epos mit tiefen Wurzeln im Film Noir ist Yoo Has A Dirty Carenival eindeutig besser. Für mich sogar besser als der genannte Hexenkessel, der (heutzutage noch stärker) unterm Over-Acting des jungen Robert De Niros und der ständigen Beschallung durch Pop-Musik aus Scorseses Schallplattensammlung leidet. Wie seinerzeit Harvey Keitel liefert Jo In-Sung eine fantastische Darstellung ab, die mit der subtil nuancierten Ausgestaltung der zentralen Figur Kim Byung-doo viel zur Intensität dieses südkoreanischen Meilensteins beiträgt. Die Art und Weise, wie das Skript und die Dramaturgie das Spannungsfeld zwischen dem Privatleben und dem Gangstertum als Sphären der Existenz jenes Protagonisten ausloten, zeugt von einer vollends dem Erzählkino geschuldeten, ungemein sensiblen Sichtweise durch das Kameraauge und ist großes Kino in Reinkultur.
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Der Neo Noir A Dirty Carnival entwickelt aus der Summe der von ihm feinfühlig entwickelten Einzelschicksale ein Portrait der südkoreanischen Gesellschaft. Darin spielen die im US-amerikanischen und auch im französischen Film Noir so relevanten Themen wie Freundschaft, Loyalität, Liebe und Vertrauen tragende Rollen, womit das Werk, wie mancher Kritiker feststellte, nicht unbedingt neuartig ist. Selten jedoch fand sich die Thematik des Prinzips der Seniorität in solcher Weise unters Mikroskop der cineastischen Analyse gerückt wie hier. Von Anbeginn beschäftigen Yoo Ha die Mechanismen von Herrschaft und Gehorsam auf allen Stufen der hierarchischen Leiter jener Gegenwelt der in ihren Spitzen von der Zivilgesellschaft hoch respektierten “Gangster“, interessiert Ha sich für die in komplexer Bewegung befindlichen Grenzlinien zwischen Tätern und Opfern, die sich der Zuordnung in moralische Alltagsnormen meist verweigern. Der von Kritikern statuierte Nihilismus jener Weltsicht, wie sie in A Dirty Carnival zu finden sei, nährt sich aus der Abwesenheit von Toleranz auf nahezu allen Ebenen menschlichen Miteinanders. Wie im klassischen Film Noir können in solch einem (oft erschreckend alltäglichen) Szenario des sozialdarwinistischen Dschungels, darin Geld und Macht über Alles und Nichts entscheiden, schon das Mitgefühl, mit Sicherheit aber Vertrauen und Liebe nur in jenen Schritt münden, den die Außenwelt als Schwäche werten und saktionieren wird. Genau das erweckt Yoo Ha auf der Leinwand mit einer Nonchalance und Präzision zu dramatischem Leben, dass es zumindest mir beizeiten die Sprache verschlug. Großartiger Film!
Es gibt via Splendid Film GmbH eine wunderbar editierte BD-Edition (2012) in deren Reihe Amasia Premium und als DVD (2007) unterm Titel Straßen der Gewalt als 2-Disc Special Edition mit dem Film ungekürzt im Originalformat. Bild- und tontechnisch ist diese Fassung einwandfrei, es finden sich die original koreanische Tonspur und auch eine (wie gewohnt inadäquate) deutsche Synchronisation, dazu optional deutsche Untertitel (bei der BD sogar Niederländisch) und (bei der Special Edition als Bonus-DVD) ein Making Of, geschnittene Szenen, ein Bericht vom Fotoshooting, die Premiere auf den Filmfestspielen in Cannes (etc.) als Extras von zusätzlich 173 Minuten Spielzeit. Vorbildlich!