Bewertung
****
Originaltitel
Máng jǐng
Kategorie
Neo Noir
Land
CHN/GER/HK
Erscheinungsjahr
2003
Darsteller
Yixiang Li, Baoqiang Wang, Shuangbao Wang, Jing Ai, Zhenjiang Bao
Regie
Yang Li
Farbe
Farbe
Laufzeit
89 min
Bildformat
Widescreen
In Chinas Provinz Henan: Zwei Minenarbeiter im Kohlebergbau, Tang Zhaoyang (Shuangbao Wang) und Song Jinming (Yixiang Li), werden mit ihrem Kollegen Tang Zhaoxia (Sun Wei) in den Schacht hinabgelassen. Zu dritt stehen sie im offenen Aufzug, während das Quadrat Tageslicht über ihren Köpfen kleiner wird. Und zu dritt verrichten sie ihre Arbeit im Stollen, wo sie mit bloßer Muskelkraft die Kohlen aus dem Berg schürfen. In der Pause reicht man die Wasserflasche herum und Tang fragt Zhaoxia, ob er Sehnsucht nach seiner Familie habe. Es ist das Zeichen für Song und mit Hammer und Pickel erschlagen die zwei ihren Kollegen und lassen es wie einen Unfall aussehen, indem sie Gestein über der Leiche niederlassen. Oben angekommen, deklamieren sie, dass Zhaoxia ein Bruder Tangs gewesen sei und dass der Manager (Zhenjiang Bao) die Behörden alarmieren müsse, damit die Familie entschädigt werde und man den Vorfall untersuchen könne. Jener versucht zwar zu zeigen, inwieweit er mit den Staatsbeamten auf gutem Fuß stehe, doch alle wissen, dass ihn ein Todesfall in der Mine die Lizenz kosten könnte. Tang gibt sich uneinsichtig und der Manager lässt die Zufahrtswege zur Mine absperren. Song übernimmt die Verhandlungen, in deren Verlauf man sich auf eine Summe von 30.000 Yuán einigt, von denen Song ohne Wissen Tangs 2.000 für seine vermeintliche Diplomatie einstreicht. Kaum ist das Geld ausbezahlt, packen die beiden ihre Habe und setzen sich in einen Bus, der sie in die nächste Stadt bringt…
“Documentarian Yang Li’s first fictional narrative film Blind Shaft (2003) is a kind of Chinese film noir”, schreibt Ken Hanke in seiner Rezension für Mountain Xpress und das trifft es allemal, muss man andererseits auch festhalten, dass solches Werk sich in erheblichem Abstand von jener Tradition in den USA der Vierziger bewegt. Die Verfilmung der Novelle Shenmu, die in Italien und Frankreich auch übersetzt erschien, aus der Feder des mehrfach ausgezeichneten Autors Liu Qingbang nutzt ihre Kriminalhandlung für die detailgenaue Darstellung gesellschaftlicher Verhältnisse in der chinesischen Provinz. Der Film fokussiert sich dabei auf seine Charaktere Song Jinming und Tang Zhaoyang, die selbst vom Land sind und in Diensten ihrer Familien das „erwirtschaftete“ Geld nach Hause senden. Die beiden beziehen sich als Duo von Mördern auf einen diffusen und immer wieder fraglichen Kodex des Vertrauens, der es ihnen ermöglicht, gegenüber Dritten jedwede Art der Ethik außen vor zu lassen. Zum Problem wird das für ihre rein materialistisch orientierte Partnerschaft, als der von Tang aufgegabelte, gerade einmal sechzehnjährige Yan Fengming (Baoqiang Wang) den weniger abgebrühten Song an seinen eigenen Sohn erinnert, dessen Schulbildung ihm wichtig ist. Yan Fengming sieht sich gezwungen, auf einer Fortführung des Schulbesuchs zu verzichten, hofft aber, mit dem Geld aus dem Bergbau früher oder später zu seiner Familie zurückkehren und seine Bildung vervollständigen zu können.
”China has a shortage of everything but people.“ Ein Mensch zählt wenig, heißt es übersetzt, ein Leben mehr oder weniger spielt keine Rolle. Auf der Kehrseite solcher Medaille ist dies als Angebot zur Identifikation ebenso ein Nichts und es ermöglicht den Unerschrockenen, nach ihren eigenen Regeln zu spielen. Identität oder das Fehlen einer solchen, das ist, was Li Yangs Blinder Schacht zuletzt auch im Kontext des Neo Noirs zu einem gelungenen Hybrid unterschiedlicher Stile und Einflüsse werden ließ, die auf stimmige Weise zueinanderfinden und das Drama aus seinem Inneren steuern. Schon frühzeitig wird der Zuschauer auf die Zwistigkeiten, auf das dünne Eis der Beziehung wischen Tang und Song hingewiesen, die sich solange als tragfähig erweist, solange sie beiderseits von ihrer todbringenden Kooperation profitieren. Natürlich ist ihr Materialismus inmitten eines im Umbruch befindlichen Systems auch ein zynischer Seitenhieb auf die Grundfesten der politischen Ordnung. In einer aberwitzigen Szene stimmen die Gangster zusammen mit zwei Prostituierten die maoistische Hymne Long Live Socialism an, nur dass ihre Begleiterinnen sie auf einige populäre Änderungen des Textes aufmerksam machen... Blinder Schacht erhielt in China ein Aufführungsverbot. Sein Regisseur Yang Li drehte zwar noch den Spielfilm Blind Mountain (CHN 2007), dessen variable Enden die chinesische Zensur befrieden halfen, doch ein seither als Blind River angekündigter Abschluss der Trilogie steht noch aus. Im Februar 2003 gewann Blinder Schacht bei den 53. Internationalen Filmfestspielen in Berlin den Silbernen Bären. Ins Kino kam er in Deutschland erst über 2 ½ Jahre später, im November 2005. Eine deutsche BD oder DVD gibt es bis heute nicht.
Exzellente englische DVD-Ausgabe (2004) der Optimum Releasing Ltd. mit dem Film ungekürzt im Originalformat, die Tonspur ist original Mandarin mit englischen Untertiteln, dazu gibt es den Kinotrailer als Extra.