Film Noir
| USA
| 1948
| Edgar G. Ulmer
| Bert Glennon
| Harry Cheshire
| Louis Hayward
| Raymond Burr
| Sydney Greenstreet
| Zachary Scott
| Martha Vickers
Bewertung
****
Originaltitel
Ruthless
Kategorie
Film Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1948
Darsteller
Zachary Scott, Louis Hayward, Diana Lynn, Sydney Greenstreet, Lucille Bremer
Regie
Edgar G. Ulmer
Farbe
s/w
Laufzeit
105 min
Bildformat
Vollbild
© Verlag für Filmschriften Christian Unucka
Auf einer nächtlichen Küstenstraße in New Jersey nähert sich ein Wagen einem palastartigen Anwesen. Vic Lambdin (Louis Hayward) und seine Verlobte Mallory Flagg (Diana Lynn) fahren zu einem Galaempfang des Wall-Street-Brokers Horace Woodruff Vendig (Zachary Scott), einst Intimus und Parner Vics. Und Lambdin tut sich bis heute schwer, aus dem Schatten der gemeinsamen Vergangenheit in ein neues Leben zu finden, wie Mallory weiß. Die beiden treten in den Festsaal, wo Horace Vendig in Gesellschaft von Delegierten der Vereinten Nationen und des US-Außenministeriums soeben eine Rede hält. Darin teilt er mit, dass er das gesamte Anwesen und die umgebenden 3000 Hektar Land sowie ein Vermögen von 25 Millionen US-Dollar einer Stiftung zur Wahrung des Weltfriedens zur Verfügung stelle. Im Gespräch mit den Vendig-Kennern George (Douglas Evans) und Prescott (Bert Moorhouse) erfahren sie, dass wohl eher die Steuerlast Grund für den pathetischen Auftritt sei und die Ankündigung, um Punkt Mitternacht auf seiner Yacht den Hoffnungen einer unbestimmten Zukunft entgegen zu reisen… Vic Lambdin und seine Begleiterin werden in Horace Vendigs Arbeitszimmer gebeten. Noch ist niemand dort und so genießen sie den Blick vom Balkon über die Bucht in einer Sommernacht. Als ihr Gastgeber erscheint, ist die Begrüßung zwischen ihm und Vic recht unterkühlt. Doch als Mallory Flagg vom Balkon hereintritt, verliert Horace Vendig für einen Moment beinahe die Fassung…
“All you gotta do is figure out what the common people gotta have, and grab it tight.” Derlei Sätze wollte man in den USA der Spätvierziger nicht hören, zumindest nicht mehr lange. In der Zeit politischen Konservatismus’, die mit der McCarthy-Ära zu einem der dunkelsten Kapiel in der Geschichte der USA führte, waren Anfang 1948 zehn als Hollywood Ten in die Geschichte eingegangene Drehbuchautoren, Regisseure, Schauspieler und Produzenten zu Haftstrafen von 6 bis 12 Montaten verurteilt worden – unter ihnen Alvah Bessie, Autor des im April 1948 in die Kinos gekommenen Film-Noir-Melodrams Ohne Erbarmen. Auch dessen Co-Autor Gordon Kahn landete auf der Schwarzen Liste und beide bekamen in Hollywood nie mehr einen Fuß auf den Boden. Später verarbeitete Bessie sein Schicksal in der Autobiografie Inquisition in Eden (EA 1965). Indessen brachte Rundfunkredakteur Tony Kahn, Sohn des 1962 verstorbenen Gordons, mit The Day The Cold War Came Home (1987) und der Radio-Dokumentation Blacklisted (1995) viele Details zur Verfolgung durch das Komitee für unamerikanische Umtriebe (HUAC) und das FBI ans Licht, die sich auch auf Angehörige und Freunde erstreckte. Das erklärt, warum Edgar G. Ulmers (Detour, USA 1945) für die Verhältnisse des B-Regisseurs opulent ausgestattete Produktion, die neben einer lebenssatten Erzählung mit einem exquisiten Ensemble und wunderbarer Kameraarbeit aufwartet, bald in der Versenkung verschwand und noch bis heute kaum bekannt ist. Erst 2013 brachte Olive Films (USA) den Film in einer ungekürzten Fassung von 105 Minuten und in exzellenter Bildqualität als BD und DVD auf den Markt, was aktuell zur Wiederentdeckung und zu einer Neubewertung führt.
„He wasn’t a man. He was a way of life.” Aussagen wie diese verdeutlichen, dass es sich um eine grundsätzliche Kritik am American Way of Life handelt, um den ungebremsten Kapitalismus in der Hand von Mächtigen wie Horace Woodruff Vendig. Während Orson Welles als zentraler Protagonist Charles Foster Kane in seinem Citizen Kane (USA 1941), dessen Vorbildfunktion für Ohne Erbarmen unübersehbar ist, in der Nachbildung des US-amerikanischen Zeitungsmoguls von anrüchiger politischer Coleur, William Randolph Hearst, einen Larger-than-Life-Charakter errichtete, ist Horace Vendig der eiskalte, aalglatte Funktionär eines Systems, dessen Triumph eine tiefe Verwurzelung in der staatseigenen Legalität ist. “I’m an adding machine,“ gibt Vendig seinem loyalen und einzigen Freund Vic Lambdin zu verstehen, kurz bevor sich ein Geschäftspartner, durch den skruppellosen Vendig in den Ruin getrieben, von eigener Hand das Leben nimmt, was jedoch Vendig so kalt lässt, wie jedes andere Opfer vor und nach ihm. Die Schwäche des Films besteht darin, dass seine epische Geschichte auch für 105 Minuten zu groß scheint, demgemäß mancher Charakter und manche Entwicklung mehr Zeit und mehr Sorgfalt verdient hätten. So leidet das Werk daran, was aufgrund äußerer Limitationen fehlt, nicht jedoch an dem, was vorhanden ist. Ein erstklassiges Trio an Hauptdarstellern belegt, in welchem Maß die formidable Diana Lynn ein Hollywoodstar hätte werden müssen – und es nie wurde. Sie starb 1971 mit nur 45 Jahren, wenige Wochen nach Martha Vickers (Tote schlafen fest, USA 1946), die mit 46 das Zeitliche segnete. Ohne Erbarmen ist Edgar G. Ulmers größter und in mehr als einer Hinsicht sein bester Film, was für mich den von Film-Noir-Freunden oft über den grünen Klee gelobten Detour einschließt. Enorm kurzweilig und für alle Liebhaber klassischen Kinos empfehlenswert!
Sehr gute BD- und DVD-Editionen (2013) der Olive Films (USA), die das Werk ungekürzt im Originalformat und bild- und tontechnisch topp restauriert zur Verfügung stellt, leider ohne Untertitel und ohne Extras.