Bewertung
****
Originaltitel
Headshot
Kategorie
Neo Noir
Land
THA/FRA
Erscheinungsjahr
2011
Darsteller
Nopachai Chaiyanam, Sirin Horwang, Chanokporn Sayoungku, Apisit Opasaimlikit, Kiat Punpiputt
Regie
Pen-Ek Ratanaruang
Farbe
Farbe
Laufzeit
101 min
Bildformat
Widescreen
Bangkok, Thailand: Beim kargen Licht einer Schreibtischlampe sitzt Dr. Suang (Kiat Punpiputt) in seinem spartanischen Büro und schreibt auf einer mechanischen Schreibmaschine einen Auftrag. Mit einigen Fotos des Politikers Jaran Jittanya steckt er den Brief in einen Umschlag. Aus einem Postfach entnimmt Tul (Nopachai Chaiyanam) das Schreiben Suangs und studiert aufmerksam die Fotos, bevor er sie zerhäckselt. Dann geht er ins Badezimmer und schneidet sich die Haare, zuletzt rasiert er seinen Schädel kahl. Auf dem Bett liegen das dreiteilige Gewand buddhistischer Mönche und eine großkalibrige Pistole. In einer Prozession von Mönchen nähert sich Tul der Villa Jittanyas, der darauf vorbereitet ist, seine Gaben in die Opferschale zu geben. Doch Tul entnimmt daraus seine Pistole, erschießt den Mann und mehrere seiner Leibwächter. Sein Partner Tin (Theeradanai Suwannahom) soll ihm den Rückzug decken, doch Tul wird in den Kopf getroffen und liegt stark blutend am Boden… Über drei Monate liegt er im Koma, bevor er in einem Krankenzimmer im Haus Dr. Suangs wieder zu sich kommt. Für sein Überleben nach einer so langen Zeit zahlt Tul jedoch einen hohen Preis, denn er sieht von nun an die Welt einzig und allein auf dem Kopf stehend. Vor sieben Jahren und fünf Monaten war Tul ein Polizist. Als er Zuhause vor einem Einsatz seine Waffe reinigte, hörte er zum ersten Mal von einem Buch, das ein Arzt unter dem Pseudonym „Dämon“ verfasst hatte. Sein Partner Yuth hatte es für ihn kopiert. Die Lektüre des Pamphlets, das er eingangs für absurd hielt, sollte Tuls Leben von Grund auf verändern…
„Pen-ek Ratanaruang ist ohne Frage der (…) beste Vertreter des neuen thailändischen Kinos und außerdem ein bekennender Verehrer des Film Noir. Mit “Leben nach dem Tod in Bangkok” und noch direkter mit “Invisible Waves” hat er (…) seinen eigenen höchst individuellen Neo-Noir-Stil kreiert“, schreibt Will bei DVD-Fan.net in der Besprechung von Headshot und solcher Einschätzung kann ich nur zustimmen. Headshot ist ein ruhiger und in vieler Hinsicht zurückhaltender Thriller, dem jedwede übertriebene Action und Dramatik des Hongkong-Kinos à la John Woo fehlt. Allein das unterscheidet ihn positiv vom Asienkino der letzten 10, 15 Jahre. Stattdessen setzt sein Drehbuchautor und Regisseur auf scheinbar klar definierte, tatsächlich aber desorientierte Alltagsmenschen, die über die Strecke der Handlung viele Facetten zeigen. Tul ist als Kriminalbeamter offen für eine Konstellation ethischer Werte. Dabei geht es ihm nicht nur beruflich um eine Ausrichtung zu Achtung und Aufrichtigkeit. Als er beim Ausheben eines Rings von Drogenschmugglern unwissentlich in ein Wespennest der Gier und Korruption in hohen Regierungskreisen sticht, bedeutet es für ihn die Begegnung mit einem ungeahnten Abgrund. Er kann sich entweder kaufen lassen oder sich entscheiden, der Versuchung standzuhalten. Da er sich ohne Zaudern zu Letzterem entschließt, ist sein Schicksal besiegelt. Ab hier erinnert die fatalistische Sicht auf die Menschen in der sogenannten Zivilisation an Ratanaruangs vorherige Neo-Noir-Dramen.
Damit ist auch der Wermutstropfen dieses Films benannt, der sich auf einer Linie mit den bereits genannten Neo Noirs seines Schöpfers nicht sonderlich fortentwickelt. Tul ist der zentralen männlichen Figur vor allem in Invisible Waves (2006) überaus verwandt und lediglich die verschachtelte, in viele Rückblenden segmentierte Erzählweise, die vom Erzähler aus dem Off (Tul) zusammengehalten wird, ist komplexer als die eher simple Handlung des 5 Jahre zuvor entstandenen Films. Etwas mehr Raum bekommen auch die (zwei) Frauenfiguren, die jeweils in der ersten oder in der zweiten Hälfte des Films fürs Geschehen relevant sind. Dank ihnen erweist sich der Begriff Femme fatale besonders vom Ende her betrachtet als pointiert. Es gibt mehrere benennbare Einflüsse, so etwa Sydney Lumets Tödliche Entscheidung (USA/UK 2007), der in einer Szene des Finales zitiert wird. Darüber hinaus ist Pen-Ek Ratanaruang jedoch eine ganz eigenständige Größe im Neo-Noir-Kanon, dem weder das internationale Filmplakat noch werbeträchtige Zitate wie „Stylisches Badass-Kino.“ (The Player) oder „Ultrabrutale Showdowns.“ (Cinemalounge.com) auf dem Cover der deutschen BD / DVD gerecht werden. Das erste trifft es nicht, das zweite gibt es nicht, und warum der Film erst ab 18 freigegeben ist, erschließt sich im direkten Vergleich mit vielen FSK-16-Werken nicht. Wer rasante Action und harte Gewalt sehen will, sollte woanders suchen. Headshot ist feines, konsequentes Neo-Noir-Kino, das sich für Freunde dessen unbedingt lohnt.
Erstklassige BD- und DVD-Editionen (2013) der Koch Media GmbH, die der anspruchsvollen Kameraarbeit Chankit Chamnivikaipongs voll gerecht wird. Ungekürzte Spielzeit im Originalformat mit wahlweise dem deutschen oder thailändischen Ton, dazu optional deutsche Untertitel, den Kinotrailer und ein 30minütiges Making of als Extras.