Neo Noir
| USA
| 1996
| Paul Thomas Anderson
| Robert Elswit
| Philip Baker Hall
| Philip Seymour Hoffman
| Samuel L. Jackson
| Gwyneth Paltrow
Bewertung
*****
Originaltitel
Sydney / Hard Eight
Kategorie
Neo Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1996
Darsteller
Philip Baker Hall, John C. Reilly, Gwyneth Paltrow, Samuel L. Jackson, Philip Seymour Hoffman
Regie
Paul Thomas Anderson
Farbe
Farbe
Laufzeit
98 min
Bildformat
Widescreen
© Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. © Sony Pictures Home Entertainment
Frühmorgens vor einem Imbisslokal an einer Fernstraße außerhalb von Las Vegas, Nevada: Hier sitzt John (John C. Reilly) auf dem nackten Boden, völlig mittellos und ohne einen Plan für seine Zukunft. Da wird er von einem älteren Herrn namens Sydney (Philip Baker Hall) angesprochen und auf einen Kaffee eingeladen. Nur zögernd gibt der misstrauische John zu verstehen, dass er in Vegas ursprünglich die 6000 US-Dollar für die Beerdigung seiner Mutter habe zusammen bringen wollen. Sydney ist ein professioneller Spieler und er bietet John seine Hilfe an. Aber John wittert eine Falle und bleibt zurückhaltend, bis er in Anbetracht seiner Aussichtslosigkeit auf das Angebot des schwer durchschaubaren Sydneys eingeht. So fahren sie nach Reno, wo Sydney seinem Novizen im Casino beibringt, wie man mit einfachen Tricks an den Spielautomaten schnell zu etwas Kleingeld kommen kann… Zwei Jahre später: Sydney und John sind ein Team - zwei Profispieler, die in den Casinos leben und dort Nacht für Nacht ihr Auskommen finden. Eines Abends fühlt sich Sydney, er sitzt allein an einem Tisch des Restaurants und spielt zum Zeitvertreib Keno, von der jungen Kellnerin Clementine (Gwyneth Paltrow) bedrängt. Er ahnt, dass sie ihre Dienste auch jenseits der Kellnerei anbietet und weist sie in ihre Schranken. Doch John, der Clementine schon einige Wochen im Auge hat, ist von der Frau umso mehr angezogen, indessen er mit dem dubiosen Angestellten eines anderen Casinos namens Jimmy (Samuel L. Jackson) an Sydneys Tisch erscheint. Die Abneigung Sydneys gegen den großspurigen Jimmy mit seiner Ausstrahlung eines Zuhälters verheißt von der ersten Minute an nichts Gutes…
Der deutsche Titel auf Englisch – Last Exit Reno – hat zum Inhalt keinen nachvollziehbaren Bezug, sondern paraphrasiert bloß den populären Romantitel Last Exit Brooklyn des US-amerikanischen Autors Hubert Selby. Ansonsten stimmt in diesem Kammerspiel um vier schillernde Charaktere am Rand der gesellschaftlichen Wahrnehmung einfach alles. So unaufgeregt und cool der Autor und Regisseur Paul Thomas Anderson seinen Film eingangs aufs Gleis setzt, so voller Überraschungen und unerwarteter Wendungen packt das Drama später zu. Mit seinem Fokus auf den Geschichten der Rollencharaktere und einem unglaublich guten Gespür für seine Schauplätze, gelingt Anderson ein Neo Noir, der einige der in ähnlichen Kontexten angesiedelten Filme alt aussehen lässt. Weder The Cooler – Alles auf Liebe (USA 2003), der von Andersons Drama teils beeinflusst scheint, noch Der Dieb von Monte Carlo (FRA/UK/IRL/CAN 2002) können Last Exit Reno ansatzweise das Wasser reichen. Mit Letzterem, Neil Jordans Remake von Jean-Pierre Mellvilles Drei Uhr nachts (FRA 1956), teilt Last Exit Reno nach Paul Thomas Andersons eigenen Angaben jedoch einen wesentlichen Impuls – nämlich genau jenen französischen Film Noir der klassischen Ära. Zuvor drehte Anderson auch den Kurzfilm Cigarettes & Coffee (USA 1993), der einige der hier auftretenden Charaktere und den Darsteller Philip Baker Hall enthielt.
Es ist das Skript und es sind die Schauspieler, die Last Exit Reno zu seinem Format verhelfen. Der meist als Nebendarsteller auftretende Philip Baker Hall trägt den Film nahezu allein. Doch auch Gwyneth Paltrow (Sieben, USA 1995) und Samuel L. Jackson (Jackie Brown, USA 1997) füllen ihre Charaktere derart mit Leben, dass es ein Genuss ist. Last Exit Reno ist ein kleiner Film und doch großes Kino! Das klingt nach Klischee, aber Paul Thomas Andersons Debüt setzt dies – Kameramann Robert Elswit hat sichtbar Anteil daran! - wie kaum ein zweiter Film der Neunziger um. Wer Last Exit Reno ohne Erwartungen an Actionsequenzen im Minutentakt, Spezialeffekte und den sonstigen Schnickschnack zeitgenössischer Produktionen ansieht, kann wehmütig werden. Der Film macht 16 Jahre nach seiner Premiere deutlich, was Hollywood heute fehlt – gute Geschichten und deren in allen Registern bis ins Finale kompetente Verfilmung. Anderson hatte als Debütant 1996 erhebliche Mühe, sich gegen die Interessen seiner Produzenten durchzusetzen. Nur mit Ach und Krach gab es am Ende eine Schnittfassung von ihm (der Rohschnitt war 2 ½ Stunden lang), aus dem ursprünglichen Sydney wurde Hard Eight und auch sonst gab es Zugeständnisse ans Big Business. Zu einer Zeit, da Leute wie Quentin Tarantino mit mittelmäßigen Filmen Riesenerfolge feierten, kam Last Exit Reno in Deutschland mit über zweijähriger Verspätung 1998 gar nicht erst ins Kino sondern bloß als Videokassette auf den Markt. Wer Louis Malles Atlantic City (FRA/CAN 1980) schätzt, wird auch hier auf seine Kosten kommen. Unbedingt zu empfehlen!
Exzellente deutsche (leider vergriffene) DVD-Edition von Sony Pictures Home Entertainment (2000), die den Film ungekürzt im Originalformat mit wahlweise deutscher oder englischer Tonspur und dazu mehreren Untertiteln anbietet. Die englische DVD von Paramount Pictures (2008) ist ebenso gut, hat allerdings keine deutsche Tonspur. Extras gibt es so oder so keine.