Barbara Stanwyck, Robert Preston, Stephen McNally, Edith Barrett, John Hoyt
© Verlag für Filmschriften Christian Unucka © Universal-International Pictures Inc.
Chicago, Illinois, bei Nacht: In einer spärlich erleuchteten Gasse liegt ein Bündel Dollarnoten am Bordstein und ein Paar Spielwürfel prallt von dort zurück und bleibt liegen: die Zahlen obenauf ergeben 7. Schon ergreifen die Finger von Frenchy (John Harmon) die zerknitterten Noten, platzieren den nächsten Einsatz auf dem Asphalt, worauf die Hände anderer Männer ihr Geld dazulegen. Frenchy lässt in seiner Hand die Würfel klackern und hält sie seiner Begleiterin Joan Phillips (Barbara Stanwyck) an die Lippen: “Kiss‘em for me, baby.“ Die tut, wie ihr geheißen, und der Spieler wirft das Paar erneut gegen den Bordstein. Wieder gewinnt er, rafft gierig das Geld zusammen, doch in dem Moment, als er sich seine Würfel greifen will, tritt ihm einer der Mitspieler (Jack Stoney) mit dem Fuß auf die Hand. Er begutachtet das Würfelpaar und reicht es herum, und im Nu ist allen klar, dass es sich um “loaded dice“, um manipulierte Würfel handelt. Frenchy sucht das Weite, mehrere Männer folgen ihm. Einer aus der Gruppe (Jimmie Dundee) hält, bevor auch sie entfliehen könnte, Joan fest. Als sein Kumpel (Charles Sullivan) zurückkehrt, prügeln die beiden Männer auf die Frau ein, die schließlich bewusstlos zu Boden stürzt, als in der Ferne Polizeisirenen hörbar werden… Der Journalist David Boothe (Robert Preston) läuft eiligen Schrittes den Korridor eines Krankenhauses entlang und erkundigt sich nach der eingelieferten Joan Phillips. Schließlich handelt es sich bei ihr um seine Ehefrau Joan Boothe, die er seit einem Jahr nicht zu Gesicht bekam…
“Say this for Miss Stanwyck: she plays a gambling lush with as much lip-licking and jittering as Ray Milland put into The Lost Weekend. (…) But (…) this passionate disturbance over gambling seems completely contrived and ludicrous”, schrieb im Mai 1949 anlässlich der Filmpremiere Bosley Crowther für die New York Times, der das Vehikel für Hollywoodstar Barbara Stanwyck damit ungespitzt in den Boden rammte. Glücksspiel und die Abhängigkeit davon wurden schon im US-Kino der 30er Jahre thematisiert, etwa in George Abbotts The Cheat (USA 1931) mit Tallulah Bankhead oder in Dudley Murphys Don’t Gamble With Love (USA 1936) mit Ann Sothern und Bruce Cabot. Niemand sonst als Barbara Stanwyck hatte in Archie Mayos Gambling Lady (USA 1934) die Hauptrolle in gespielt. Crowthers Erwähnung von Billy Wilders Das verlorene Wochenende (USA 1945) leuchtet trotzdem ein. Solcher Film Noir, der Ray Milland den Oscar als bester Hauptdarsteller einbrachte, zog im Kielwasser mehrere Produktionen zu Alkohol- und Spielsucht nach sich. So erntete Susan Hayward dank Stuart Heislers Melodram Smash-Up: The Story Of A Woman (USA 1947), darin sie eine Alkoholikerin verkörperte, ihre erste Oscar-Nominierung. Parallel zu Spielfieber erschien Robert Siodmaks Der Spieler (USA 1949) mit Gregory Peck und Ava Gardner, eine lose Adaption des Romans (EA 1867) eines in Vor- und Abspann ungenannten Fjodor Michailowitsch Dostojewskis, und Mervyn LeRoys Hoher Einsatz (USA 1949) mit Clark Gable und Alexis Smith. Die drei genannten Werke sind jeweils kein Film Noir und Spielfieber ist nach meiner Einschätzung bestenfalls zu einem Drittel ein solcher.
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“Baked into the recipe are moral overtones directed at women who do not observe the advice of their husbands”, schreibt Eric Somer für Film Noir Board, der das Werk auf der Grenze zwischen Film Noir und einem für die Zeit seiner Entstehung typischen “woman's film with Babs in the lead” einstuft. In Billy Wilders Frau ohne Gewissen (USA 1944) oder in Lewis Milestones The Strange Love Of Martha Ivers (USA 1946) gab Barbara Stanwyck, eine herausragende Schauspielerin ihrer Zeit, die Femme fatale. Hier war sie, für den Film Noir 40er typisch, eine starke Frau und eine selbstbewusste Persönlichkeit, welche die Männer ihres Lebens zu dominieren wusste. In Spielfieber ist sie das Gegenteil. Was immer sie tut, ist dilettantisch. Als sie zu Beginn der Rückblende, die ihren Abstieg von der Ehefrau in die Gosse bebildert, mit einer Kleinbildkamera in einer Zigarettenpackung in einem Spielcasino in Las Vegas ihrem Gatten nacheifert und zu journalistischen Zwecken Fotos schießt, wird sie sofort ertappt und zur Rede gestellt. Als Spielsüchtige gewinnt sie einzig, wenn die Männer am Steuer des Großen und Ganzen es gestatten: “You just do like Papa tells you. Pick up your chips and stick to the house games, like you did yesterday.” - “Okay.” Joan Boothe, so wird deutlich, hat für nichts ein Talent und für vieles eine Schwäche. Der Grund dafür, und nun wird es grotesk, ist ihre dominante, ältere Schwester Ruth Phillips (Edith Barrett), - überflüssig und lächerlich dramatisch - die sie nach dem Tod der Mutter allein aufziehen musste... Die beschriebene Eröffnungsszene, die wirklich Film Noir ist, dauert exakt 1 Minute und 15 Sekunden. Die restlichen 98 Minuten sind kaum der Rede wert. Regisseur Michael Gordon drehte im Folgejahr nach einem Skript von Roy Huggins und Oscar Saul, zwei der vier Autoren von Spielfieber, für Universal Pictures Dein Leben in meiner Hand / Frau auf der Flucht (USA 1950). Auch der Homme fatale blieb der gleiche, Stephen McNally, nur die schwache Ehefrau im freien Fall war statt Barbara Stanwyck Ida Lupino. Das Ergebnis, obwohl tatsächlich Film Noir, erwies sich einmal mehr als unteres Mittelmaß.
In der deutschen Édition Film Noir von Artkeim² gibt es als deren Nr. 8 eine bild- und tontechnisch exzellente Fassung des Films als BD und als DVD (2021), letztere im vorbildlich gestalteten Mediabook und somit für alle Sammler klassischen Hollywoodkinos eine wunderbare Edition fürs Regal. Neben dem Film ungekürzt im Originalformat mit dem englischen Originalton und der deutschen Kinosynchronisation gibt es ein Booklet mit Bildmaterial und Essay zu Filmstar Barbara Stanwyck als Extra. International ist The Lady Gambles seit 2010 häufig veröffentlicht worden, auch von Universal Pictures, aber erst im 3-BD- Box-Set The Dark Side Of Cinema III (2020) von Kino Lorber als ein Film Noir in neuer HD-Restaurierung auf BD, also in der auch via Artkeim² angebotenen, hochwertig restaurierten Fassung.