Sydney Tafler, Susan Shaw, Ronald Howard, Melissa Stribling, Colin Tapley
London, England: Benny Mercer (Sydney Tafler) wohnt wie sein sein Nachbar Pop (Laidman Browne) in einer Mietskaserne, wo sie jeweils ein Zimmer haben. Benny ist ein Hehler und verkauft Diebesgut, US-amerikanische Nylonstrümpfe, auf dem Schwarzmarkt. Die Polizei kennt ihn bereits und nimmt ihn auch am heutigen Tag wieder hoch, so dass er am gleichen Abend, als er sich in einem billigen Restaurant mit seiner Freundin Molly (Susan Shaw) trifft, ihrerseits Angestellte in einem Schnönheitssalon, erneut deprimiert und pleite ist. Doch Molly ist keinesfalls gewillt ihn zu bemitleiden und im Gegenteil aufgebracht darüber, dass sie das Leben nicht genießen können und in dieser Absteige essen, deren Kellner Mario (Ian Wallace) nicht einmal den Kaffe richtig servieren kann. Sie wünscht sich, dass Benny endlich zu Geld käme und sie gemeinsam aufs Land reisten. Als er ihr vorschlägt, erneut ins Kino zu gehen, lehnt sie wütend ab und kündigt ihm an, dass sie heute Abend mit ihm im Flamingo, einer Cocktailbar, einen Drink nehmen werde. Und Benny weiß, dass er ihr das nicht ausschlagen darf… Im Flamingo ist kaum Betrieb, außer ihnen und dem Barkeeper George (Glyn Houston) sind lediglich der Chrirurg Robert Mannering (Colin Tapley) und seine Freundin Caroline Blaine (Melissa Stribling) als Gäste vor Ort. Mercer erkennt den Mann, dessen Bild er kürzlich in einer Tageszeitung sah. Als Miss Blaine sich zu den Waschräumen begibt, bemerkt er obendrein, dass ihre schicke Handtasche stets auf dem Barhocker thront…
Als Susan Shaw und Sydney Tafler für Die Flucht vor Scotland Yard (UK 1947) erstmals gemeinsam vor der Kamera standen, war er 32 und sie lediglich zarte 18 Jahre alt. Fünf Jahre später bekleideten sie die Hauptrollen in Ken Hughes‘ Film Noir Wide Boy, einer B-Produktion der Merton Park Studios, doch Susan Shaw hatte inzwischen in Anthony Asquiths The Woman In Question (UK 1950) und in Basil Deardens Unterwelt (UK 1951) ihr Talent zur Schau gestellt, und der Durchbruch schien nicht weit. Sydney Tafler spielte wahlweise Hauptrollen in B-Filmen (Assassin For Hire, UK 1950) oder agierte als ein Nebendarsteller in A-Produktionen; allein im Jahr 1952 brachte er es auf acht Auftritte in Film und Fernsehen. Wide Boy basiert auf einer Erzählung des australischen Autors Rex Rienits und verfügt über einige gute Ideen, doch in letzter Konsequenz wirken die Zuspitzung der Handlung im letzten Drittel und vor allem das Finale forciert, Das verzweifelte und zum Scheitern verurteilte Bemühen des Schmalspurganoven Benny Mercer, sich via Erpressung ein größeres Stück vom Kuchen abzuschneiden und damit Moolly an sich zu binden, hätte man weit besser erzählen und besser in Szene setzen können. Vor allem Molly ist als Rollencharakter kaum der Rede wert, und obwohl Susan Shaw im Abspann und auf den Filmplakaten an zweiter Stelle genannt wird, ist sie über weite Passagen des Films hinweg abwesend. Das Finale auf einer Eisenbahnbrücke in Paddington, durchaus spannend inszeniert, erinnert mich an Roy Ward Bakers Jim Ackland unter Mordverdacht / Zwielicht (UK 1947).
“You mean, you got a job?“ – „Oh, Molly! How many times have I got to tell you, don’t mention that word to me!?“ Wie so oft im britischen Film Noir jener Jahre bleibt bedauerlich, dass die einzelnen Bestandteile nicht mehr ergeben und großteils zwar unterhaltsam sind, in der Summe jedoch im Mittelmaß untergehen. Der Regisseur Ken Hughes drehte nach diesem Erstling während der 50er Jahre noch manchen Film Noir, von denen Die Fahrt in den Abgrund (UK 1957) mit Victor Mature und Diana Dors besonders erwähnenswert ist. In ihren Nebenrollen erinnern Ronald Howard, Colin Tabley und Melssa Stribling noch heute daran, wie viele exzellente Darsteller in zweiter Reihe das britische Nachrkriegskino aufzuweisen hatte. Die talentierte Susan Shaw jedoch wurde kein Star des britischen Kinos. Nach weiteren Auftritten in B-Produktionen heiratete sie 1954 in zweiter Ehe den in den USA gebürtigen Schauspieler Bonar Colleano, den sie einst am Set von Unterwelt (UK 1951) kennengelernt hatte. Colleano verunglückte 1958 mit nur 34 Jahren tödlich, ein Verlust, den Susan Shaw nie überwand und der in eine lebenslange Alkoholsucht mündete. Als sie 1978 mit 49 Jahren völlig verarmt an Leberzirrhose starb, lag ihr letzter Auftritt in einem Film bereits 15 Jahre zurück. Nur ein Jahr später starb mit 63 Jahren auch Sydney Tafler.
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