Rudolf Hrušínský, Radoslav Brzobohatý, Bohus Záhorský, Helga Cocková, Sobeslav Sejk
Prag, Hauptstadt der Tschechoslowakei, an einem herbstlichen Nachmittag: Der Fotograf und Studienabsolvent Jan Coufalik (Miroslav Nohýnek) packt in einer abgedunkelten Wohnung eilig allerlei Habseligkeiten in einen Handkoffer. Dann greift er sich seinen Gehstock und läuft hinkend zur Busstation, wo er beim Fahrer (Karel Cernoch) der Überlandlinie von Prag nach Krompach ein Ticket zu der an der Staatsgrenze zur Bundesrepublik Deutschland gelegenen Ortschaft löst. Er bemerkt jedoch nicht, dass er von dem Fahrer eines Kombis beobachtet wird und dass dieser dem Bus folgt, als er sich auf seine mehrstündige Fahrt begibt… Es ist bereits dunkel, als Coufalik mit seinem Stock und dem Koffer an der Endstation der Linie den Bus wieder verlässt. Nur kurz blickt er sich um und sieht erneut den Wagen nicht, dessen Fahrer ihn aus der Entfernung im Visier hat. Sodann geht er zu Fuß in Richtung der Grenze und passiert ein Warnschild, das unbefugten Personen den Zutritt zu der bereits außerhalb des Ortes gelegenen Region verwehrt. Plötzlich steht er im Kegel von Autoscheinwerfern, dreht sich herum und hofft in Anbetracht des Wetters womöglich mitgenommen zu werden. Doch der Wagen beschleunigt, schert aus und fährt Jan Coufalik kurzerhand über den Haufen… Es ist bereits Vormittag, als Major Kalaš (Rudolf Hrušínský) und sein Kollege Nadporucik Varga (Radoslav Brzobohatý) von der Mordkommission der Polizei in Prag an dem nun abgesperrtenTatort eintreffen. Coufalik liegt tot im Graben, der Koffer ist fort…
Die Sichtung und Rezeption der Filmklassik aus der Tschechoslowakei, gerade auch durch Filmkritiker und ein Publikum im Westen Europas, ist längst nicht abgeschlossen. Selbst diejenigen, die mit Schauspielern à la Rudolf Hrušínský, zu seiner Zeit ein Meister der Zunft, vertraut sind, erleben hin und wieder Überraschungen. Unter dem Titel Angst lief Petr Schulhoffs erster Film um den Polizeioffizier Major Kalaš und dessen Partner Nadporucik Varga 1964 auch in Kinos der DDR, nicht jedoch in der Bundesrepublik. Quelle ist Eduard Fikers Roman Kilometr devatenáct (EA 1960), ein Spionageroman aus der Zeit des Kalten Krieges, dessen Handlung obendrein in die Vergangenheit des Zweiten Weltkriegs zurückreicht und allein deshalb wohl nie auf Deutsch verlegt wurde. Im Film fokussiert sich Schulhoff allerdings weniger auf die ehemals ranghohen Nazi-Offiziere, die in der BRD weiterhin im Dienst von Geheimdienstaktivitäten ihr schmutziges Spiel betreiben, sondern auf die Motive derer, die sich in einem Netz aus Verschwörung und Erpressung gefangen sehen. Letztere bringen eine Kette von Ereignissen in Gang, zu deren Gesamtbild der Mord an dem jungen Fotografen Jan Coufalik nur eins von vielen Puzzleteilen ist. Der oberflächlich konventionelle Kriminallfall entwickelt sich zunehmend zu einem Film Noir, darin die Angst seines Titels sich als das zentrale Motiv der von Liebe, Blutsbande und von einer dunklen Vergangenheit miteinander verknüpften Personen ist. Jeder Täter ist hier im Nu auch Opfer, dasjenige von äußeren Kräften ebenso wie dasjenige von sich selbst.
Kalaš und Varga haben als Staatsbeamte und als Kollegen ohne Privatleben die Ausstrahlung eines alten Eheppares. Beide Charaktere profitieren vom lakonischen Minimalismus ihrer wunderbaren Akteure Hrušínský und Brzobohatý. In einer Szene begleitet Varga seinen Vorgesetzten des Nachts bis vor dessen Haustür. Kaum hat Kalaš den Schlüssel im Schloss, bremst ein Polizeiwagen und ein Beamter meldet Neuigkeiten im Fall des ermordeten Coufalik... Mitverantwortlich für den Stil des Films ist auch Kameramann Bedrich Batka, der das im Regen und oft in der Nacht liegende Prag mit seinen tiefen Schatten in kontrastreichen Kompositionen auf Zelluloid bannt. Batka war auch Kameramann für die britisch-tschechische Produktion 31 Grad im Schatten (CSK/UK 1965), darin neben Rudolf Hrušínský auch Miroslav Nohýnek eine Rolle übernahm. Der einst in Berlin gebürtige Petr Schulhoff inszenierte Angst nach 10 erfolgreichen Jahren als seinen zehnten Spielfilm und lieferte mit Der Mörder verbirgt sein Gesicht (CSK 1966) und Blutspuren (CSK 1970) noch einen zweiten und dritten Fall für Major Kalaš, der letztere allerdings ohne Varga. Angst lief im August 2018 auf dem Noir Film Festival in Křivoklát, Tschechien, im Rahmen einer Retrospektive neben weiteren, dem US-amerikanischen Film Noir verwandten Klassikern aus den 40er, 50er und 60er Jahren der Tschechoslowakei.
Trotz der Popularität Rudolf Hrušínskýs in Tschechien gibt es bis dato keine BD- oder DVD-Edition dieses Post Noirs von Petr Schulhoff, demgegenüber sich in einschlägigen Online-Ressourcen eine bild- und tontechnisch gute Fassung (allerdings ohne Untertitel) findet, ungekürzt und im Originalformat.