James Stewart, Janet Leigh, Robert Ryan, Ralph Meeker, Millard Mitchell
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In den Rocky Mountains des südlichen Colorados sucht der ehemalige Rancher Howard Kemp (James Stewart) nach dem Mörder Ben Vandergroat (Robert Ryan). Sein Motiv ist nicht Rache sondern das Preisgeld in Höhe von 5000 US-Dollar, das auf die Ergreifung und Auslieferung Vandergroats ausgesetzt ist, nachdem jener in Abeline, Kansas, einen unbewaffneten Mann kaltblütig erschossen haben soll. Aber vom Geld erwähnt Kemp nichts, als er den alten Goldgräber Jesse Tate (Millard Mitchell) beim Frühstück überrascht und jener ihm von einer Feuerstelle berichtet, die er gestern in unmittelbarer Nähe entdeckt habe. Für ein paar Dollar, die Jesse Tate gierig an sich nimmt, reitet der Alte mit Howard Kemp zu der Feuerstelle und von dort auf der nun frischen Spur weiter. Aber schon bald werden sie von einer Gerölllawine aufgehalten, die sich offenbar nicht zufällig von dem Gipfel über ihnen löste. Dort oben halten sich Vandergroat und seine Freundin Lina Patch (Janet Leigh) verschanzt, die wegen eines kranken Pferdes nur langsam voran kommen. Weil er zudem keine Patronen mehr besitzt, muss sich Ben Vandergroat auf andere Weise gegen seine Verfolger zur Wehr setzen. Indessen Kemp und Tate überlegen, was zu tun ist, treffen sie auf einen ehemaligen Lieutenant der konföderierten Armee, Roy Anderson (Ralph Meeker). Der ist vor einigen Wochen unehrenhaft aus der Armee entlassen worden, nachdem er sich mit einer Indianerin eingelassen hatte, was wiederum die Rachegelüste ihres Stammes entfacht hat…
“Do business with the devil and you get it every time.“ Anthony Mann ist für mich der am meisten überschätzte Regisseur des Film Noirs der 40er und des Westerns der 50er Jahre. Dank der für ihre Zeit expliziten und oft amoralischen Gewalt, durch eine immerzu sorgfältige Kameraarbeit und die oft exquisite Wahl der Schauspieler stechen Manns Filme heraus. Demgegenüber sich gar ein ungewöhnlich minimalistischer Western wie Nackte Gewalt als konventionelle Unterhaltung aus Hollywood, mit einem Finale und mit einem Schluss, das und der konservative Vorstellungen moralischer Integrität vollends wiederherstellt. Die innerhalb von zwei Minuten vom Anti-Helden zum Helden mutierende Figur des Ranchers Howard Kemp – das Ganze ist so flach inszeniert, dass man wirklich das Gefühl hat, es wird ein Etikett aufgeklebt! - reitet mit Lina plötzlich einer neuen Heimat und einer zweiten Heirat entgegen. Schon dies disqualifiziert das vorhergehende Drama als „Shakespeare für Arme“, wollte man es mal zugespitzt formulieren, und mitunter sollte man das. Denn auch im vorherigen Handlungsverlauf wimmelt es von Widersprüchen und Ungenauigkeiten, die das Drehbuch von Sam Rolfe und Harold Jack Bloom - seinerzeit für den Oscar nominiert - als Schnellschuss entlarven. Als Roy Anderson durch eine Attacke auf ihn verfolgende Indianer seine drei Mitstreiter in Gefahr bringt, indessen Kemp gar verwundet wird, hat das für ihn keinerlei Nachspiel. Ben Vandergroat versucht Kemp umzubringen, der dank einer glücklichen Fügung einen Sturz vom Pferd den Steilhang hinab überlebt, doch niemand verliert darüber ein Wort. Als Lina Bens wahre Natur endlich erkennt, darf sie dennoch neben ihm liegen bleiben, damit sie - man gähnt schon, bevor es tatsächlich geschieht! - ihren wahren Liebling vor Bens bösen Absichten schützen kann. Besonders widersinnig: Howard Kemp hat eine Kugel im Bein und verbringt eine Nacht im Fieber - zwei, drei Tage später erklimmt er mit einer Spore als Steigeisen eine senkrecht aufragende Felsklippe….
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„Schade (…), dass sich Mann nicht konsequent dem Anti-Heldentum verschreibt sondern das harte Herz (...) Kemps durch das naive, devote Frauchen erweichen lässt“, schreibt Markus Klingbeil für Filmfuchs.de und lässt eine der wenigen kritischen Stimmen zum Film hören. Vor allem in den USA wird Nackte Gewalt über den grünen Klee gelobt. Vom besten Western Anthony Manns, von einem Klassiker ist die Rede - von einem Meisterstück, das jeder Cineast gesehen haben sollte. Mich hat er gehörig enttäuscht. Selbst die Rollencharaktere und ihre Darsteller sind in diesem psychologischen Thriller mit seinen Anleihen beim Film Noir nicht durch die Bank stimmig und erstklassig. Robert Ryan ist ein großartiger Schauspieler, aber hier neigt er zum Over-Acting. Ben Vandergroat wirkt mit seinem Dauergrinsen bloß wie eine Karikatur des "Bösen". James Stewart spielt in seinen fünf Western von Anthony Mann die nahezu gleiche Figur. Trotz seines Könnens und seiner hohen Präsenz wirkt Howard Kemp wie ein Modellcharakter. Lina in der Verkörperung durch Janet Leigh ist die typische Frau eines Anthony-Mann-Westerns: sexy, trotzig, einfältig und im Fall der Fälle unterwürfig. Sie ist nicht so null und nichtig wie Cathy O’Donnell in Der Mann aus Laramie (USA 1955) und nicht so antriebslos fatalistisch wie Shelley Winters in Winchester 73 (USA 1951), aber viel gibt ihre Figur nicht her. Grauenhaft klischeehaft ist erneut die Rolle der Indianer, über deren Tote niemand ein Wort verliert, wenn sie trotz Überlegenheit keinen Angriff auf drei bewaffnete Weiße zustande kriegen und als Schlachtvieh herhalten. Budd Boetticher hat diese Geschichte nach einem Drehbuch Burt Kennedys als Auf eigene Faust (USA 1959) fast ebenso verfilmt, erneut zum Entzücken der Filmkritik damals und heute und erneut als bestenfalls mittelprächtigen 08/15-Western.
Gute deutsche DVD Edition (2007) von Warner Bros . mit dem Film ungekürzt im Originalformat, bildtechnisch solide restauriert, wahlweise den deutschen Ton (nicht zu empfehlen) oder die original englische Tonspur mit optional deutschen Untertiteln, Extras fehlen konträr zur US-DVD (2006) von The Naked Spur (= Originaltitel) völlig, denn dort gibt es den original US-Kinotrailer, den Cartoon Little Johnny Jet sowie das achtminütige Pete Smith Specialty Things We Can Do Without, zudem statt deutscher französische und auch spanische Untertitel sowie eine französische Tonspur, dafür keine deutsche.
Pro & Contra
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Hab mir 'Naked Spur' kürzlich mal wieder angeschaut und muss einräumen, der Film besitzt in der Tat einige Schwächen, die oben auch angesprochen werden: Ein konsequenteres, pragmatischeres und Noir-gerechteres Ende wäre zweifellos gewesen, wenn James Stewart die Leiche von Robert Ryan trotz aller Proteste von Janet Leigh beim nächsten Scheriff abgeliefert und dort das stattliche Kopfgeld kassiert hätte. Eine Schlusseinstellung, in der Stewart allein mit dem Leichnam in die eine Richtung reitet - und die empörte Janet Leigh, die daraufhin nichts mehr mit ihm zu tun haben will, bleibt entweder allein zurück oder reitet in die andere Richtung davon. Dies wäre dem Zuschauer wohl nachhaltiger in Erinnerung geblieben als das geschönte Ende mit der vermeintlichen Läuterung des Hauptdarstellers. (Alternativ eine Schlussszene, in der James Stewart kurze Zeit später allein an den Ort zurückkehrt und die Leiche heimlich wieder ausbuddelt.)
Außerdem lässt Stewart sowohl Robert Ryan als auch Ralph Meeker - wie oben beschrieben - im Handlungsverlauf einiges durchgehen und man fragt sich, warum Stewart mit den beiden 'Unruhestiftern' nicht kurzen Prozess und sich dadurch das Leben erheblich leichter macht.
Unter den fünf Western von Anthony Mann mit James Stewart in der Hauptrolle liegen momentan bei mir jedenfalls nun wieder 'Winchester '73' und 'Bend of the River' vor 'Naked Spur'. Wenn auch in 'Bend of the River' das Happy End mit dem Tod von Arthur Kennedy und der Vereinigung von James Stewart und Julie Adams etwas aufgesetzt erscheint und nicht rundherum befriedigt.