Film Noir
| USA
| 1949
| William Dieterle
| Milton R. Krasner
| Douglas Dick
| Mickey Knox
| Robert Cummings
| Sam Jaffe
| Wendell Corey
| Ann Doran
| Loretta Young
Bewertung
****
Originaltitel
The Accused
Kategorie
Film Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1949
Darsteller
Loretta Young, Robert Cummings, Wendell Corey, Sam Jaffe, Douglas Dick
Regie
William Dieterle
Farbe
s/w
Laufzeit
101 min
Bildformat
Vollbild
© Paramount Pictures Corporation
An der Klippenküste des Pazifiks nahe dem Highway 101 bei Malibu, zwischen Los Angeles und San Francisco, begibt sich Wilma Tuttle (Loretta Young), Professorin für Psychologie, abends zu Fuß auf die Straße. Sobald ein Auto naht, versteckt sie sich, doch einem Lastwagen der Pacific Coast Haulage Co. kann sie nicht ausweichen und als der Fahrer ihr die Mitnahme anbietet, stolpert und fällt sie. Der hilfsbereite Mann geleitet sie zum Auto, nimmt sie ein Stück des Weges mit und ergeht sich ausschweifend über Liebespaare im Mondschein, während seine Beifahrerin beharrlich schweigt. An einer Bushaltestelle am Stadtrand von Los Angeles steigt Wilma Tuttle aus und sieht ein zur Hälfte abgerissenes Werbeplakat für einen Film mit Gail Russell und Macdonald Carey, auf dem in hohen Lettern das Wort Murder prangt… Sie steigt in den Linienbus, der eben ankommt, und fährt nach Haus. In ihrem Apartmentblock ruft ihr die Haushälterin Mrs. Conner (Sara Allgood) vom Hof aus zu, dass die Universität häufiger versucht habe sie zu erreichen. Endlich in ihrer Wohnung blickt Wilma erschrocken in den Spiegel. Sie setzt sich an ihren Schreibtisch, bemerkt eine Notiz und schlägt die Hände vors Gesicht, indessen sie zu weinen beginnt. War es wirklich erst heute Morgen? Sie erinnert sich, wie sie im Seminar eine Klausur zum Thema der menschlichen Reflexe schreiben ließ. Die Französin Susan Duval (Suzanne Dalbert) verteilte die Bögen, doch der provokante Bill Perry (Douglas Dick) hatte nur Augen für seine Professorin…
Ein bemerkenswerter, von Anbeginn mit Blick auf den Erzählfluss ungewöhnlicher Film, den die exzellenten Schauspieler und die stilsichere Regie über den Standard der Zeit heben. Loretta Young war eine so erfahrene wie vielseitige Darstellerin, die mit Barbara Stanwyck und Joan Crawford ihren Durchbruch bereits in den Dreißigern hatte, aber auch im Film Noir der Vierziger zeigte, was sie konnte - allerdings nicht als Femme fatale. Vergewaltigt / Frau in Notwehr ist ganz ihr Film, so wie zwei Jahre später auch Cause For Alarm! (USA 1951). Loretta Youngs subtiles Spiel ist stets der Figur gewidmet und entbehrt der sonst häufigen Eitelkeit, den und die Filmpartner zu übertrumpfen, weshalb ihre Prof. Dr. Wilma Tuttle von der ersten Minute an glaubwürdig wirkt. Dies war seinerzeit insbesondere im Kontext eine Seltenheit, wie Audrey Totter als Psychotherapeutin in Vincent Shermans Anklage - Mord (USA 1947) bewies, die nicht zuletzt aufgrund der Drehbuchschwächen zur Karikatur einer studierten Frau verdammt wurde. In William Dieterles Gegenentwurf bescheren bereits die ersten 20 Minuten dem Film-Noir-Liebhaber eine Aura des Unwohlseins und des drohenden Unheils, die in der konsequent seriösen Behandlung des Themas im Skript und im Film ihren Ursprung hat. Der deutsche Ersttitel Vergewaltigt wurde bald in Frau in Notwehr geändert - zu Recht, denn die Vergewaltigung findet nicht statt, stattdessen kommt es zu einer unbeabsichtigten Tötung aus Notwehr.
© Universal Studios
“It's remarkable! Your brains don't show a bit.” Leider verliert der Film nach besagtem Auftakt merklich an Tempo und wird mit Erscheinen von Robert Cummings in seinem Verlauf zunehmend vorhersehbar. Doch zeigen auch die männlichen Darsteller erstklassige Leistungen, vor allem Wendell Corey. Zudem lebt das Werk von der moralischen Doppelbödigkeit, denn Wilma Tuttle verschleiert ihre Tat und zwar aus Angst, nirgendwo auf Glauben an ihre Aussage zum Tathergang zu stoßen. Diese Überzeugung einer Frau in einer beruflichen Spitzenposition und in einem akademischen, hoch gebildeten Umfeld spricht Bände und ist gewissermaßen der Subtext des Films. Die im inneren Monolog von der Erzählerin (Wilma Tuttle) wiederholt zur Sprache gebrachte Position wird (trotz der späteren romantischen Verwicklungen) nie in Frage gestellt. Würde dieser Klassiker - thematisch für einen Neo Noir ein gefundenes Fressen - heute nochmals gedreht, würde der Tathergang bedeutend drastischer und die weitere Entwicklung nochmals dramatischer ausfallen, ein Zugewinn und ein Verlust gleichermaßen. William Dieterles Film lebt einzig von der impliziten Drohung aufgrund der polizeilichen Untersuchung, also von Wilma Tuttles Ohnmacht in Anbetracht der faktischen Beweislast. Erst das macht sie als Charakter und den Film selbst zum Bestandteil des Werkskanons, den man heute als klassischen Film Noir erachtet. Erstaunlich bleibt daher, warum gerade dieser Film bis dato derart wenig Beachtung fand und weltweit nicht als BD oder DVD erhältlich ist.
Vergewaltigt / Frau in Notwehr erschien in den USA als DVD-R (2016) in der Vault Series von Universal Pictures, ungekürzt im Originalformat und in sehr guter Bildqualität, mit englischem Originalton ohne Untertitel und ohne Extras. In Europa gibt es eine exzellente spanische DVD bei Cine Club Channel (2017) mit ebenfalls dem englischen Ton sowie mit spanischen Untertiteln.