Neo Noir
| USA
| 1995
| Steven Soderbergh
| Joe Don Baker
| Peter Gallagher
| William Fichtner
| Elisabeth Shue
Bewertung
****
Originaltitel
The Underneath
Kategorie
Neo Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1995
Darsteller
Peter Gallagher, Alison Elliot, William Fichtner, Adam Trese, Joe Don Baker
Regie
Steven Soderbergh
Farbe
Farbe
Laufzeit
95 min
Bildformat
Widescreen
© Universal Pictures
Austin, Texas: Weil seine 56jährige Mutter (Anjanette Comer) ihren Freund Ed Dutton (Paul Dooley), einen Wachmann für Geldtransporte, heiraten wird, kehrt der Ausreißer Michael Chambers (Peter Gallagher) in seine Heimatstadt und zu seiner Familie zurück. Auf der Reise lernt er Susan Crenshaw (Elisabeth Shue) kennen, die bei einer hiesigen Bank eine Ausbildung absolviert und ihm zum Abschied ihre Adresse gibt. Doch vorerst muss sich Michael um all die Baustellen kümmern, die er bei seiner Flucht vor Gläubigern zurückgelassen hat. An erster Stelle gibt es seine ex-Frau Rachel (Alison Elliot), die der ehemalige Zocker auf den Schulden hatte sitzen lassen, die er einer leichtsinnigen Wette zu verdanken hatte. Sie ist jetzt mit dem dubiosen Clubbesitzer Tommy Dundee (William Fichtner) befreundet, der Michaels Wiederauftauchen - so wie Rachel - eher humorlos nimmt. Auch sein Bruder David (Adam Trese) hat nach der ersten Wiedersehensfreude nichts für ihn übrig, schon gar nicht, als Michael beschließt, auf Ed Duttons Anraten ebenfalls einen Job als Wachmann für Geldtransporte anzunehmen. Michael Chambers hat nirgendwo jemals Wurzeln geschlagen und außerdem ist mit ihrem ersten Wiedersehen sein Interesse an Rachel neu entfacht. Auch sie sieht sich mit ihren Gefühlen von einst konfrontiert, tut sich aber aufgrund der schlechten Erfahrungen schwer, wieder Vertrauen zu fassen. Darüber hinaus geht es ihr an Tommys Seite finanziell bestens, was für Rachel eine große Rolle spielt. Und zu guter Letzt gibt es einen Dritten, der eine solche Liaison unbedingt verhindern will…
“Steven Soderbergh's stylized noirish thriller The Underneath (1995) was a loose derivative of the film noir thriller Criss Cross (1949)” schreibt Tim Dirks für Filmsite und fasst damit wichtige Fakten bereits zusammen. Tatsächlich beruht dieser Neo Noir auf der gleichen Buchvorlage, nämlich auf dem Kriminalroman Criss-Cross von Don Tracy (EA 1934), der 1949 von Robert Siodmak als Gewagtes Alibi verfilmt wurde, seinerzeit mit Burt Lancaster, Yvonne de Carlo und Dan Duryea in den Hauptrollen. Regisseur Steven Soderbergh hatte mit seinem Debüt Sex, Lügen und Video (USA 1989) den Durchbruch geschafft, auch bereits mit Peter Gallagher in einer zentralen Rolle. Doch es sollte bis 2000 dauern, bevor Soderbergh mit Traffic - Die Macht des Kartells, für den er im Folgejahr den Oscar als bester Regisseur erhielt, sich international als großer Name etablieren konnte. Die Kehrseite der Medaille war weder ein Erfolg bei der Kritik noch beim Publikum, wenngleich der Neo Noir in jenen Neunzigern seine Blütezeit hatte. Nach Jack Nicholsons eigenständiger Fortsetzung von Chinatown (USA 1974) unter dem Titel Die Spur führt zurück (USA 1990) und nach Neo Noirs von Leuten wie John Dahl und Quentin Tarantino fanden zunehmend Remakes klassischer Film Noirs ihren Weg ins Kino, z.B. Narrow Margin - 12 Stunden Angst (USA 1990), Die Nacht von Soho (USA 1992) oder Kiss of Death (USA 1995), die oft sogar die Originaltitel ihrer Vorlagen aus den Vierzigern oder Fünfzigern beibehielten. Soderberghs Die Kehrseite der Medaille ist ein überaus vielschichtiger Neo Noir und bis heute ein Geheimtipp seiner Ära.
“There's what you want, and there's what's good for you. Ah, they never meet.” Mit seinen präzisen Portraits von Charakteren des US-amerikanischen Kleinbürgertums, der Tristesse ihres Alltags sowie deren geheimen Wünschen und verzweifelten Versuchen, ihrer sozialen Klasse zu entkommen und aufzusteigen, verzichtet Die Kehrseite der Medaille auf den üblichen Hollywood-Glamour und zwar ganz bewusst. Das US-Publikum schätzt solch einen Spiegel der Gegebenheiten oft gar nicht. Im Gegensatz zu den Abziehbildern und Comic-Figuren, die das Loser- und Low-Life-Arsenal eines massenkompatiblen Quentin-Tarantino-Films bevölkern und die stets nur Hollywood-Ausgeburten sind, rücken einem Steven Soderberghs Charaktere bedrohlich auf die Pelle. Wie Burt Lancaster in Siodmaks Original ist Peter Gallagher in der Rolle des unentschiedenen, hin und her getriebenen Glücksritters erstklassig besetzt. Bemerkenswert sind Alison Elliot und William Fichtner, keine großen Namen des zeitgenössischen Kinos, sowie eine stets zuverlässige Elisabeth Shue in einer frühen Rolle. Die non-lineare Erzählweise mit ihren ineinander geschachtelten Rückblenden hat Steven Soderbergh später für seinen Neo Noir The Limey (USA 1999) nochmals verfeinert. Die Fotografie und der Umgang mit Farben seitens Kameramanns Elliot Davis' und seitens der Regie sind bemerkenswert und lassen den Film als einen innovativen und selbstreflexiven Neo Noir seiner Zeit herausstechen. Fazit: Zu Unrecht vergessen und überaus empfehlenswert.
Erstklassige deutsche BD- und DVD-Editionen (2015) der Concorde Home Entertainment GmbH , die den Film bildtechnisch topp und ungekürzt im Originalformat beinhalten, jeweils mit Tonspuren auf Deutsch und auf Englisch, ohne Untertitel und ohne Extras.